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»Aber natürlich«, sagte Nora, tief in Gedanken versunken …

Santarin eilte einen Gang entlang bis zu einer tapetenbespannten Stahltür, die er mit zwei Schlüsseln öffnete. Schnell trat er in den großen, indirekt beleuchteten Raum. Hier befand sich der Kurzwellensender, über den Kontakt zu den Funkwagen gehalten wurde. Zwei junge Männer saßen vor dem Gerät. Einer sprach gerade russisch mit einem Einsatzwagen. Auch hier waren die Möbel antik, die Wände von Seidentapeten bedeckt. Über einem Wandbord, direkt unter einem alten Stich, befand sich eine Telefonsteckdose. Santarin stöpselte den Apparat, den er abstellte, ein und hob den Hörer ans Ohr. Er sprach Französisch.

»Mercier? Da bin ich wieder. Was war das? Wieso rufen Sie diese Nummer? Woher kennen Sie die überhaupt?« Das Gespräch war zu einem Apparat gekommen, der einen Zerhacker besaß.

»Ich kenne sie eben.« Merciers Stimme klang an Santarins Ohr, ganz nah, aber völlig verändert – nicht länger bedrückt, nein, triumphierend. »Ich kenne sie schon eine ganze Weile. Wir besitzen hier in Paris einen Apparat mit gleichem Zerhacker. Es kann niemand mithören. Also, Santarin, um es kurz zu machen: Ich habe den Tresor dieses Anwalts knacken lassen. Heute nacht. Mit der ersten Frühmaschine bin ich nach Paris geflogen. Ich komme nicht zurück. Das gesamte Material, das ich im Tresor fand, ist bereits bei meinen Vorgesetzten. Wir kennen AP Sieben nun auch.«

»Sie lügen«, sagte Santarin heiser.

»Ich lüge nicht. Der Anwalt heißt Rudolf Stein. Kohlmarkt elf. Ich fand nicht nur den Film und das chiffrierte Manuskript von Doktor Aranda, sondern auch den Klartext, den die Staatspolizei entschlüsselt hat. Er ist auf Papier der Trans geschrieben. Ich lese Ihnen ein Stück vor, damit Sie mir glauben …«

Santarin lauschte reglos. Ein Muskel zuckte unter seinem rechten Auge. Nach einer Weile sagte er: »Das genügt. Sie haben es also geschafft, Mercier. Gratuliere.«

»Danke. Sie sind mir doch nicht etwa böse?«

»Böse? Keine Spur! Wie kommen Sie auf eine solche Idee?«

»Dann bin ich beruhigt.« Mercier räusperte sich. »Das heißt … ganz beruhigt nicht. Wenn dieser Anwalt Stein seinen Tresor öffnet – ich habe ihn wieder ordentlich verschließen lassen –, dann wird er natürlich entdecken, daß das Material fehlt. Vielleicht hat er es schon entdeckt. Vielleicht entdeckt er es in einer Stunde. Vielleicht in zwei Stunden. Vielleicht morgen. Was geschieht dann? Stein wird Aranda anrufen. Was wird Aranda tun? Reden, nehme ich an. Laut und vernehmlich. In der Schweizer Botschaft. Auf einer internationalen Pressekonferenz. Ich bin ganz sicher, daß er reden wird, wenn er begreift, daß das Material sich nun auch in unserem Besitz befindet. Und das muß er begreifen, denn Sie und Grant hatten es ja schon. Ein bißchen peinlich, wie?«

»Sie elender …«

»Nicht doch. Jetzt ist nicht die Zeit zu fluchen. Jetzt ist vielmehr die Zeit, zusammenzuhalten, finde ich. Von hier aus kann ich nichts unternehmen, leider. Und es geht wirklich um Minuten jetzt, das sehen Sie doch ein, mein Lieber …« Der Russe drückte die Gabel des Telefons nieder. Die Verbindung war unterbrochen.

»Aranda ist immer noch in der Möven-Apotheke«, erklang eine russische Männerstimme aus dem Lautsprecher des Kurzwellensenders.

»Sie warten weiter, Tolstoi. Bleiben Sie auf Empfang«, antwortete der eine der jungen Männer.

»Verstanden, Lesskow …«

Im Lautsprecher krachte es laut, mehrere Male.

»Was ist das bloß heute?« fragte der zweite junge Mann.

»Schwere atmosphärische Störungen«, sagte sein Kollege.

Santarin stand immer noch reglos. Er sah durch ein Fenster des Raumes in die trostlose Dämmerung hinaus, die sich über die Stadt gesenkt hatte, mitten am Tage. Dann griff er nach dem Hörer, hob ihn auf und wählte schnell.

Fünf Minuten später kehrte der Russe zu Nora Hill zurück. Er entschuldigte sich lächelnd noch einmal für die Unterbrechung.

»Aber das macht doch nichts«, sagte Nora Hill, gleichfalls lächelnd. Santarin setzte sich.

»Also«, sagte er, »um nun auf diesen kroatischen Exilpolitiker zu sprechen zu kommen …«

78

»Jetzt kennst du die ganze Geschichte«, sagte Wolfgang Groll.

Der Weinhauer Seelenmacher lehnte sich in dem großen Ohrensessel des Arbeitszimmers zurück und sah schweigend auf den Teppich. Groll trug einen Pyjama, einen Schlafrock darüber, Socken und Pantoffeln. Er war, während er erzählt hatte, zwischen den Bücherwänden auf und ab gegangen, vorbei an einem halb geöffneten Fenster, durch das kalte Luft in den überheizten Raum strömte. Hier brannte gleichfalls elektrisches Licht, denn draußen wurde es von Minute zu Minute düsterer. Groll sah schlecht aus. Während seines Berichtes hatte er ein paarmal nach Luft gerungen und Dragees geschluckt.

Tags zuvor, am Montagnachmittag, war ihm während einer Besprechung mit Kriminalbeamten plötzlich totenelend geworden. Man hatte den Polizeiarzt gerufen. Der kannte solche Anfälle des Hofrats seit Jahren. Er untersuchte Groll und entschied: »Sie fahren auf der Stelle heim und legen sich ins Bett. Da bleiben Sie die nächsten drei Tage. Total überarbeitet.«

»Unsinn. Mir geht es schon wieder ausgezeichnet«, murrte Groll.

»Schon wieder ausgezeichnet! Sie wollen also unbedingt so lange schuften, bis Sie glücklich einen Herzinfarkt haben, wie? Wollen Sie das?«

»Ja«, antwortete Groll. »Das will ich, Doktor. Und zwar einen tödlichen Herzinfarkt natürlich. An meinem Grab sollen keine Reden …«

»Schluß jetzt!« Der Arzt wurde energisch. Er bestand darauf, daß Groll pausierte, er werde täglich nach ihm sehen.

Sie stritten. Schließlich wurde Groll von seinem obersten Chef aufgefordert, zu tun, was der Arzt sagte.

Der fuhr ihn in seinem Wagen (Groll besaß keinen eigenen) heim und kaufte unterwegs noch verschiedene Arzneien. Er wachte darüber, daß Groll sich auch wirklich auszog, ins Bett legte und die Mittel nahm.

»Es ist doch jeden Winter dieselbe Geschichte, Doktor!«

»Streifen Sie den Ärmel hoch.« Der Polizeiarzt hantierte mit einer Spritze und gab Groll noch eine Injektion. Danach schlief dieser bald. Er verbrachte eine angenehme Nacht. Am Morgen kam der Arzt wieder.

»Hören Sie, Doktor, mir geht es gut, ich kann wirklich in den Laden!«

»Nur über meine Leiche! Sie bleiben im Bett. Abends schaue ich wieder vorbei. Wehe Ihnen, wenn Sie rauchen oder trinken!«

»Wo werde ich«, sagte Groll. Als dann, eine Stunde später (der Hofrat hatte inzwischen Seelenmacher angerufen und gebeten, ihn zu besuchen und mit ihm Schach zu spielen) Manuel Aranda eintraf, stand Groll, entzückt über den Anlaß, auf, zog einen Morgenmantel an und ging mit seinem Besuch in das Arbeitszimmer.

»Im Sicherheitsbüro sagte man mir, Sie seien zu Hause. Verzeihen Sie, daß ich einfach herkomme. Aber ich habe Ihnen so viel zu erzählen …«

Manuel war sehr aufgeregt gewesen. Er hatte kaum geschlafen in dieser Nacht. »Natürlich, wenn es Ihnen schlecht geht …«

»Mir geht es ausgezeichnet! Die alte Cognacpumpe macht manchmal Geschichten. Sie haben es ja erlebt. Nichts dahinter. Ich werde hundert … Zigarre?«

»Nein, danke.«

»Aber ich.« Groll zündete eine seiner geliebten Virginiers an. »Nun erzählen Sie, Manuel!«

Und der erzählte – alles, was er von Daniel Steinfeld erfahren hatte, alles, was er nun wußte. Eine Stunde lang erzählte er. Groll wanderte hin und her in dem mit Büchern angefüllten Zimmer und unterbrach selten durch eine Frage. Zuletzt sagte er: »Das also ist die Wahrheit. Es tut mir leid für Sie, Manuel, es tut mir ehrlich leid.«

»Es braucht Ihnen nicht leid zu tun. Ich kenne die Wahrheit, das ist das Wichtigste.«

»Aber daß Ihr Vater …«

»Darüber werde ich hinwegkommen«, erwiderte Manuel.

»Was machen Sie jetzt?«

Manuel war verlegen geworden.

»Ich bin mit Irene Waldegg verabredet …«

Groll nickte.