»Jedes Zimmer ist anders eingerichtet. Wir haben auch einen Swimming-pool und ein Kino – unten. Die Zimmer kosteten mich ein Vermögen. Sehen Sie, hier zum Beispiel, das chinesische …«
Es gab – die Führung ging weiter – auch ein in französischem Rokoko eingerichtetes Zimmer mit galanten Kupferstichen aus der Zeit. Es gab ein indisches, ein griechisches und ein Harems-Zimmer. Ein Raum war einer Klosterzelle nachgebildet, ein anderer einer Kerkerzelle, einer völlig in Schwarz gehalten. Manuel sah eine mittelalterliche Folterkammer samt Inventar und Stichen aus den Büchern des Marquis de Sade. Ein Zimmer hatte Spiegelwände und eine spiegelnde Decke. An zwei Türen schwang sich Nora Hill eilig vorüber. Die kleinen Milchglashalbkugeln über ihnen brannten.
»Es werden bald alle Zimmer besetzt sein«, sagte die Frau mit dem schönen Gesicht voller Menschenverachtung.
»Wo kommen diese Mädchen her?«
»Zum Teil wohnen sie hier, zum Teil in der Stadt. Wenn ich mehr oder eine bestimmte brauche, telefoniere ich. Ich bin an einigen Nachtlokalen beteiligt. Georg holt, was verlangt wird, mit dem Wagen.«
»Georg?«
»Der Diener. Mein Liebhaber – Sie dachten es sich natürlich. Nicht? Seltsam. Schon seit sechs Jahren. Er ist einer von den Schlechten. Mit einem Dummen könnte ich es auf die Dauer nicht ertragen. Bedient mich ganz hervorragend, wirklich. Und ist völlig verrückt nach mir. Freilich, er hat schon alles gehabt, so wie er aussieht und gebaut ist. Eine Gelähmte mit Geld hatte er noch nicht. Welch ein Reiz …«
Sie öffnete eine weitere Tür. Das Zimmer war in schwülstigstem Stil eingerichtet, vollgeräumt mit Möbeln der Jahrhundertwende. Ein großes Ölgemälde zeigte einen jungen Mann, der vor einem etwas älteren kniete. Beide waren nackt. Der Jüngere liebte den Älteren.
»Auch dafür ist gesorgt«, sagte Nora Hill. »Ich habe selten solche Kunden, aber ich habe sie. Und auch ein paar wirklich verläßliche Knaben. Das ist wichtig. Die meisten sind doch ein erpresserisches Gesindel. Die ich habe, nicht. Verdienen sehr viel bei mir. Das ist natürlich teurer als das andere. Knaben haben mir noch nie Verdruß bereitet. Mädchen schon häufig. Ach, aber wo gibt es einen Beruf ohne Ärger?«
Sie war weitergeeilt …
»Cheerio!«, sagte Nora Hill nun und hob das Glas. Sie saß vor dem prasselnden Feuer des Kamins, Manuel gegenüber. Beide tranken. Nora Hill sagte: »Also: Ich kannte Valerie Steinfeld. Ich kannte sie gut. Ich bin in der Lage, Ihnen zu erzählen, was sie getan hat. Es ist keine Geschichte aus Tausendundeiner Nacht. Es ist eine arge, lebensgefährliche Geschichte. Was haben Sie?«
»Wieso?«
»Ihr Blick. Sie dachten: Umsonst wird diese Frau mir nichts erzählen!« Manuel zögerte. »Natürlich dachten Sie das. Und es stimmt auch.«
»Ich verstehe«, sagte Manuel und stellte sein Glas hin. Ein Stück Holz im Kamin krachte laut, es klang wie ein Schuß.
»Nein, Sie verstehen nicht, junger Freund. Keine Erpressung! Kein Geld! Ich habe genug. Auch nicht Ihre Dokumente.«
»Was für Dokumente?«
»Herr Aranda!« Sie sah ihn ironisch an.
»Sie wissen …«
»Natürlich. Aber ich sage Ihnen doch, ich will das Manuskript nicht haben.«
»Was denn?«
»Ich erzähle Ihnen alles, was ich von Valerie Steinfeld weiß. Ich helfe Ihnen, das Geheimnis um den Tod Ihres Vaters zu lüften. Sie müssen sich nicht …«
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»… auf mich verlassen, das versteht sich. Sie werden heute nacht auch nicht Valerie Steinfelds ganze Geschichte zu hören bekommen. Nicht, weil ich Sie enervieren will. Sondern damit Sie Gelegenheit haben, Stück um Stück nachzuprüfen, ob ich Ihnen die Wahrheit erzähle.«
»Großartig macht sie das«, sagte Gilbert Grant.
»Unser Goldkind«, sagte Fedor Santarin und spielte mit seinem Brillantring.
Der Amerikaner und der Russe saßen in einem Zimmer, eingerichtet wie das eines kleinen Mädchens. Teddybären und Puppen lagen herum, desgleichen Spielzeug, niedliche Kleidchen, Baby-Doll-Nachthemden, bunte Haarschleifen und Kinderschuhe. Grant hatte die Füße auf einen Tisch gelegt. Die Hüftflasche voll Bourbon hielt er in der Hand. Von Zeit zu Zeit nahm er einen großen Schluck. Sein Gesicht war rot wie immer, die Augen tränten wie immer. Santarin hatte sich abends noch einmal rasiert. Er saß auf dem niederen Bettchen. Wieder sprach er höflicherweise englisch.
Grant wischte sich den Mund ab und fragte: »Aber wird sie es auch durchhalten?«
»Sie muß, Gilbert, seien Sie beruhigt. Mord verjährt in Österreich erst nach zwanzig Jahren. Wir haben noch viele Jahre Zeit.«
Unterdessen hatte Nora Hill, die drei Zimmer entfernt von den beiden saß, weitergesprochen. Ihre Stimme kam aus einem Lautsprecher. Der hing an einem Nagel, welcher auch ein Bild von Schneewittchen und den Sieben Zwergen am Kopfende des Bettchens trug.
»… Sie sollen sich davon überzeugen, daß es die Wahrheit ist, die ich berichte.«
Manuel Arandas Stimme erklang: »Wie fange ich das an?«
»Indem Sie zu all den anderen Leuten gehen, die in diesen Fall verwickelt sind, und sie auffordern, ihre Geschichte zu erzählen.«
»Die erzählen nichts. Ich habe das schon versucht.«
»Oh«, sagte Nora Hills Stimme, »wenn Sie kommen und das wissen, was ich Ihnen heute abend berichten will, werden die Herrschaften reden, alle, verlassen Sie sich darauf.«
»Und das wird Zeit und Zeit kosten«, murrte Grant. »Falls Aranda jetzt etwas zustößt …«
»Ich habe Jean Mercier herbestellt.«
»Hierher?« Grant fuhr auf.
»Ja. Er kommt erst später. In einer Stunde etwa. Ich sagte ihm, daß wir nun zusammenhalten müssen, so grotesk das ist.«
»Erst wenn Sie die ganze Geschichte von mir erfahren und bei allen anderen Menschen nachgeprüft haben, werde ich einen Wunsch äußern«, erklärte Nora Hills dunkle Stimme. »Natürlich denken Sie an das B-Projekt, aber ich …«
»An was für ein Projekt?«
»Da!« Fedor Santarin, der mit einer Puppe spielte, richtete sich auf. »Ich verstehe nicht«, erklang Nora Hills Stimme.
»B-Projekt – was ist das?«
»Keine Ahnung.«
»Aber Sie sagten es doch eben!«
»Sie müssen sich verhört haben, junger Freund.«
»Bestimmt nicht! Und ich verstehe nicht …«
»Sie haben sich verhört. B-Projekt? Was soll das heißen?«
»Das weiß ich doch nicht!«
»Ach, nun lassen Sie das schon. Das ist ja albern!«
»Verzeihung. Was … was sagten Sie denn wirklich?«
»Keine Ahnung. Sie haben mich ganz nervös gemacht.«
»Ist sie nicht großartig!« Santarin strahlte. »Wie sie ihm das unterjubelt! Und er hat keine Ahnung! Das bedeutet, es ist so, wie ich sagte: Er hat uns belogen, er besitzt keinen Code-Schlüssel.«
»Vielleicht blufft er«, grunzte Grant.
»Nie! Das war echt! Er blufft, ja, indem er lügt. Den Mercier soll er ruhig bluffen. Der soll ruhig glauben, Aranda besitzt den Schlüssel. Ich habe es nie geglaubt. Sie zweifelten. Darum habe ich Nora gebeten, die Probe zu machen. Sind Sie jetzt überzeugt?«
»Ja«, sagte Grant.
»Was für eine Frau!« schwärmte Santarin.
»Was für ein Jammer, daß eine solche Frau ein Krüppel sein muß.« Grant seufzte sentimental.
»Jammer? Ein Glück! Es gibt nichts Klügeres als körperlich Deformierte«, sagte Santarin.
»Und was ist das für ein Wunsch?« fragte Manuels Stimme.
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»Nicht einmal ein Wunsch, eine Bitte«, antwortete Nora Hill. »Unsere Gläser sind leer. Machen Sie zwei neue Drinks, seien Sie so nett, ja?«
Er nickte.
»Und diese Bitte«, sagte sie, während er die schweren Whiskygläser füllte, »müssen Sie nicht einmal erfüllen. Sie können sie abschlagen.« Ich hoffe, das Mikrophon da oben an der Esse funktioniert wirklich, und Santarin und Grant hören alles, dachte sie. Was ich hier tue, ist von ihren höchsten Vorgesetzten in Washington und Moskau gutgeheißen worden. Santarin hatte die Idee. Er ist der Gerissenere von diesen beiden elenden Schweinen, die mich da erpressen. Was kann ich tun? Nichts. Nur das, was sie verlangen. Mord verjährt in Österreich erst nach zwanzig Jahren. Manuel schwieg und drehte sein Glas in den Händen. Wieder hörte er aus der Tiefe Stimmen und Musik.