»Wenn ja«, sagte Khouri, »dann haben sie nichts mit Volyova zu tun.«
»Du gibst es also zu.« Sudjic lächelte sparsam wie ein braves Schulmädchen, das sich nach einem sportlichen Sieg demonstrativ in Bescheidenheit übt. »Aber auch wenn du leugnest, es spielt ohnehin keine Rolle. Tatsache ist, dass sie dich enttäuscht hat. Sie und das ganze Triumvirat. Du kannst mir nicht erzählen, dass dir die letzte Aktion gefallen hat.«
»Ich bin nicht sicher, ob ich an dieser Aktion alles verstehe, Sudjic. Über einiges muss ich mir erst noch klar werden.« Khouri spürte die Kälte ihrer nassen Hosen am Gesäß. »Dazu bin ich übrigens hier herunter gekommen. Um Ruhe und Frieden zu finden. Und meine Gedanken zu ordnen.«
»Und um zu sehen, ob etwas von seiner Weisheit auf dich abfärbt?«
Sudjic nickte zum Captain hin.
»Er ist tot, Sudjic. Vielleicht bin ich die Einzige hier, die das begreift, aber deshalb ist es doch die Wahrheit.«
»Vielleicht kann Sylveste ihn heilen.«
»Selbst wenn er das könnte, würde Sajaki es zulassen?«
Sudjic nickte wissend. »Natürlich, natürlich. Ich verstehe vollkommen. Aber hör zu.« Sie senkte die Stimme zu einem verschwörerischen Flüstern, obwohl nur die überall umherschleichenden Ratten sie belauschen konnten. »Sie haben Sylveste gefunden — ich hörte es eben, bevor ich herunterkam.«
»Gefunden? Du meinst, er ist hier?«
»Nein, natürlich nicht. Sie haben eben erst Kontakt aufgenommen. Noch wissen sie nicht einmal, wo er ist, nur dass er noch lebt. Jetzt müssen sie den Dreckskerl erst mal an Bord bringen. Und da kommst du ins Spiel. Ich übrigens auch.«
»Wie meinst du das?«
»Ich will nicht behaupten, dass ich verstehe, was im Trainingssaal mit Kjarval passiert ist, Khouri. Vielleicht hat sie einfach durchgedreht, obwohl ich sie von allen auf dem Schiff am besten kannte und eigentlich nicht gedacht hätte, dass sie der Typ dafür wäre. Wie auch immer, Volyova hatte damit einen Vorwand, sie zu erledigen — wobei ich nicht gedacht hätte, dass das Miststück sie wirklich so sehr hasste…«
»Es war nicht Volyovas Schuld…«
»Wie auch immer.« Sudjic schüttelte den Kopf. »Das ist nicht so wichtig — im Moment. Aber es bedeutet, dass sie dich für die Mission braucht. Du und ich, Khouri — und vielleicht das verdammte Miststück selbst — wir werden hinuntergehen und ihn holen.«
»Das kannst du noch gar nicht wissen.«
Sudjic schüttelte den Kopf. »Offiziell nicht. Aber wenn du erst mal so lange auf diesem Schiff bist wie ich, dann weißt du auch, wie man die üblichen Kanäle umgeht.«
Dann schwiegen beide, und nur das Tropfen einer undichten Leitung irgendwo im überfluteten Korridor unterbrach die Stille.
»Sudjic, warum sagst du mir das? Ich dachte, du kannst mich nicht ausstehen?«
»Das war vielleicht so«, sagte die andere. »Früher. Aber jetzt brauchen wir dringend Verbündete. Und ich dachte, du wärst mir für die Warnung dankbar. Ich hoffe, du bist vernünftig und weißt, wem du vertrauen kannst.«
Volyova sprach in ihr Armband. »Unendlichkeit, du wirst gleich eine Stimme hören. Vergleiche sie mit deinen Aufzeichnungen über Sylveste. Wenn du keine Übereinstimmung feststellst, erbitte ich sofortige Meldung über eine sichere Leitung.«
Sylvestes Stimme unterbrach sie: »…ob Sie mich hören können. Wiederhole: ich muss wissen, ob Sie mich hören können. Nun antworten Sie schon, Miststück. Ich verlange, dass Sie mir antworten, verdammt noch mal!«
»Das ist er tatsächlich«, sagte Volyova über die Stimme hinweg zu Hegazi. »Das Gequengel ist nicht zu verwechseln. Werfen Sie ihn lieber raus. Ich nehme an, wir haben ihn immer noch nicht geortet?«
»Tut mir Leid. Sie müssen zur ganzen Kolonie sprechen und davon ausgehen, dass er eine Möglichkeit hat, Sie zu empfangen.«
»Dafür hat er bestimmt gesorgt.« Volyova sah auf ihr Armband. Bislang konnte das Schiff nicht widerlegen, dass die Stimme Sylveste gehörte. Zwar gab es kleine Unterschiede, der Sylveste von damals war eine sehr viel jüngere Ausgabe des Mannes gewesen, nach dem sie jetzt suchten, deshalb war keine hundertprozentige Stimmengleichheit zu erwarten. Doch wenn man das berücksichtigte, wurde es immer wahrscheinlicher, dass nicht wieder irgendein armseliger Hochstapler versuchte, die Kolonie zu ›retten‹, sondern dass sie diesmal den Richtigen gefunden hatten. »Na schön, stellen Sie mich durch. Sylveste? Hier spricht Volyova. Können Sie mich hören?«
Seine Stimme wurde klarer. »Das wurde aber auch Zeit, verdammt noch mal.«
»Ich denke, wir lassen das als ›ja‹ gelten«, sagte Hegazi.
»Wir müssen uns darüber unterhalten, wo wir Sie abholen, und das wäre über eine sichere Verbindung sehr viel einfacher. Wenn Sie mir Ihren derzeitigen Standort nennen, können wir in der Region eine gründliche Sensorsuche durchführen und die Übertragung direkt am Ausgangspunkt abfangen, ohne den Umweg über Cuvier.«
»Wozu sollte das gut sein? Wollen Sie mir vielleicht etwas mitteilen, das nicht die ganze Kolonie erfahren soll?« Sylveste hielt inne, aber Volyova sah im Geiste sein höhnisches Lächeln. »Bisher hatten Sie doch auch keine Hemmungen, alle anderen mit hineinzuziehen.« Wieder eine Pause. »Nebenbei bemerkt finde ich es beunruhigend, dass Sie mit mir verhandeln und nicht Sajaki.«
»Er ist indisponiert«, sagte Volyova. »Geben Sie mir Ihre Position.«
»Bedauere, aber das ist nicht möglich.«
»Etwas mehr sollten Sie sich schon bemühen.«
»Wie käme ich denn dazu? Sie haben die großen Kanonen. Also denken Sie sich eine Lösung aus.«
Hegazi bedeutete Volyova mit einer Handbewegung, die Audio-Verbindung zu unterbrechen. »Vielleicht kann er seine Position nicht verraten.«
»Was soll das heißen?«
Hegazi klopfte sich mit seinem stählernen Zeigefinger an den stählernen Nasenschutz.
»Vielleicht wird es ihm von den Leuten verboten, die ihn gefangen halten. Vielleicht sind sie bereit, ihn gehen zu lassen, wollen aber ihren Aufenthaltsort nicht preisgeben.«
Volyova nickte. Hegazis Vermutung klang einleuchtend. Sie stellte die Verbindung wieder her. »Schön, Sylveste. Ich glaube zu verstehen, wo Ihre Probleme liegen. Unter der Voraussetzung, dass Sie sich frei bewegen können, schlage ich folgenden Kompromiss vor. Ihre… äh… Gastgeber haben doch sicher die Möglichkeit, kurzfristig einen Ortswechsel zu arrangieren?«
»Wir haben Transportmittel, wenn Sie das meinen.«
»In diesem Fall gestehen wir Ihnen noch einmal sechs Stunden zu. In dieser Zeit sollte es Ihnen möglich sein, sich so weit von Ihrem derzeitigen Standort zu entfernen, dass Sie Ihre Position durchgeben können, ohne ihn zu verraten. Hören wir aber in sechs Stunden nichts von Ihnen, dann greifen wir das nächste Ziel an. Ist das allen Betroffenen vollkommen klar?«
»O ja«, gab Sylveste giftig zurück. »Vollkommen.«
»Da wäre noch etwas.«
»Ja?«
»Bringen Sie Calvin mit.«
Sechzehn
Nord-Nekhebet
2566
Sylveste spürte, wie das Flugzeug vom Boden abhob und im Tiefflug aus dem unterirdischen Bunker von Mantell schoss. Draußen zog es steil nach oben und schwenkte ab, bevor es an der nächsten Mesa-Wand mit ihren vielen Schichten zerschellen konnte. Er schuf sich ein Fenster in der Flugzeugwand, aber der Staub wurde immer dichter. So war ihm im grellen Licht des Plasmaflügels nur ein kurzer Blick auf die Station vergönnt, bevor die Mesa, in die man sie hineingegraben hatte, hinter ihnen zurückblieb. Er war sich völlig sicher, dass er nicht zurückkehren würde. Etwas sagte ihm — ohne dass er das Gefühl genau hätte begründen können —, dass er nicht nur Mantell, sondern die ganze Kolonie zum letzten Mal sah.