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Das Flugzeug war das kleinste und entbehrlichste, das die Siedlung hatte auftreiben können; kaum größer als die Volantoren, die er vor einem ganzen Menschenleben in Chasm City geflogen hatte. Aber es war schnell genug, um ihn in den sechs Stunden, die man ihnen zugestanden hatte, weit genug von der Mesa wegzubringen. Die Maschine hätte Platz für vier Personen gehabt, war aber nur mit Sylveste und Pascale besetzt. Trotzdem konnten sie sich nicht frei bewegen. Sie waren immer noch Gefangene. Slukas Leute hatten vor dem Start von Mantell die Flugroute eingegeben, und Abweichungen waren nur möglich, wenn der Autopilot feststellte, dass die Witterung eine Kursänderung rechtfertigte. So lange die Verhältnisse am Zielort eine Landung zuließen, sollten Sylveste und seine Frau an einem vorher vereinbarten Ort abgesetzt werden, den Volyova und ihre Besatzung bisher noch nicht kannten. Bei schlechten Bedingungen konnte man auf einen anderen Landeplatz in derselben Gegend ausweichen.

Das Flugzeug sollte nicht an Ort und Stelle bleiben. Sobald Sylveste und Pascale — mit so viel Proviant versehen, dass sie notfalls einige Stunden im Sturm überleben konnten — von Bord gegangen waren, würde es auf schnellstem Wege nach Mantell zurückkehren, dabei aber den wenigen noch funktionsfähigen Radarsystemen ausweichen, die seinen Kurs nach Resurgam City melden könnten. Sylveste würde Kontakt zu Volyova aufnehmen und ihr seinen Standort mitteilen, obwohl sie bei einer direkten Übertragung seine Position ohne weiteres auch durch Triangulation ermitteln konnte. Von da an lag alles in Volyovas Hand. Sylveste hatte keine Ahnung, wie es weitergehen würde, wie sie es anstellen wollte, ihn an Bord zu bringen. Das war auch nicht sein Problem. Ihm genügte es zu wissen, dass die ganze Sache höchstwahrscheinlich keine Falle war. Die Ultras hatten es auf Calvin abgesehen, aber ohne Sylveste konnten sie mit dem Sim nichts ausrichten. Sie mussten also sehr gut auf ihn aufpassen. Für Pascale galt das freilich nicht in gleichem Maße, und deshalb hatte Sylveste Schritte unternommen, um hier einen Ausgleich zu schaffen.

Das Flugzeug hatte seinen Steigflug beendet. Es hielt sich unterhalb der durchschnittlichen Höhe der Mesas und nützte sie als Deckung. Alle paar Sekunden änderte es die Richtung und schoss in einen der schmalen, canyonähnlichen Korridore dazwischen. Die Sicht war gleich Null. Hoffentlich, dachte Sylveste, hatte es in letzter Zeit keine Erdrutsche gegeben, die in der Geländekarte, an der sich das Flugzeug bei seinen Manövern orientierte, noch nicht berücksichtigt waren. In diesem Fall wäre der Flug lange vor Ablauf der von Volyova genehmigten sechs Stunden zu Ende.

»Wo, zum Teufel…« Calvin manifestierte in der Kabine und sah sich hektisch um. Wie üblich lümmelte er in einem mächtigen, dick gepolsterten Thronsessel, der für den Fahrgastraum des Flugzeugs viel zu groß war und deshalb zum Teil in den Wänden verschwand. »Wo, zum Teufel, bin ich? Ich kann nichts empfangen! Was ist denn passiert? Nun sag schon!«

Sylveste wandte sich an seine Frau. »Wenn er geweckt wird, beschnüffelt er als Erstes die unmittelbare cybernetische Umgebung — um sich zu orientieren, den Zeitrahmen festzulegen und so weiter. Die Schwierigkeit ist, dass es hier keine cybernetische Umgebung gibt, deshalb ist er jetzt etwas verwirrt.«

»Du sollst nicht über mich reden, als wäre ich gar nicht hier. Wo immer dieses Hier auch sein mag!«

»Du bist in einem Flugzeug«, sagte Sylveste.

»Ein Flugzeug? Das hatten wir bisher noch nicht«, erwiderte Cal. Er schien sich wieder zu fassen. »Wirklich und wahrhaftig. Glaube nicht, dass ich schon mal in so einem Ding gesessen habe. Du bist doch sicher so freundlich, deinem alten Vater einen Überblick über die wichtigsten Fakten zu geben, nicht wahr?«

»Deshalb habe ich dich geweckt.« Sylveste brach ab, um das Fenster zu löschen; es gab nichts mehr zu sehen, und der dichte Staubschleier erinnerte ihn nur daran, was vor ihm lag, sobald ihn das Flugzeug abgesetzt hatte. »Nicht dass du glaubst, ich wollte nur einen gemütlichen Plausch mit dir führen, Cal.«

»Du siehst älter aus, Sohn.«

»Tja, manche von uns müssen eben weiterhin im entropischen Universum leben.«

»Autsch. Das hat wehgetan.«

»Hört ihr bitte auf!«, bat Pascale. »Für dieses kleinliche Hickhack haben wir keine Zeit.«

»Ich weiß nicht«, widersprach Sylveste. »Fünf Stunden — das sollte doch mehr als genug sein. Was meinst du, Cal?«

»Wie Recht du hast. Was weiß sie schon?« Cal sah Pascale böse an. »Das ist Tradition, Schätzchen. Es ist unsere Art — wie soll ich sagen? — sich zurückzumelden. Ich würde mir ernsthaft Sorgen machen, wenn er mich auch nur mit einem Funken Herzlichkeit begrüßte. Das hieße nämlich, er hat eine Bitte, die entsetzlich schwierig zu erfüllen ist.«

»Nein«, sagte Sylveste. »Bei einer entsetzlich schwierigen Bitte würde ich dir nur mit Löschung drohen. Ich habe noch nie etwas von dir gebraucht, was mich verpflichtet hätte, freundlich zu sein, und dazu wird es wohl auch nie kommen.«

Calvin zwinkerte Pascale zu. »Er hat natürlich Recht. Wie dumm von mir.«

Er manifestierte in einem aschgrauen Frack mit Stehkragen und einem komplizierten Muster aus goldenen Winkeln auf den Ärmeln. Ein gestiefelter Fuß ruhte auf dem Knie des anderen Beins, die Frackschöße waren wie eine wallende Gardine darüber drapiert. Bart und Schnurrbart waren nicht nur peinlich gepflegt, sondern zu einem Gesamtkunstwerk von solcher Vollendung modelliert, dass es nur durch ein ganzes Heer von eifrigen Barbieren in unermüdlicher Arbeit zu erhalten war. Ein bernsteinfarbenes Daten-Monokel steckte in einem Auge (eine Marotte, denn Calvin war seit seiner Geburt mit Interface-Implantaten ausgestattet), und sein Haar (er trug es jetzt lang) war geölt und zu einem Ring geflochten, der über seinen Hinterkopf hinausragte und erst kurz über dem Nacken wieder zurückgeführt wurde. Sylveste versuchte vergeblich, die Aufmachung einer Stilepoche zuzuordnen. Möglich, dass sie auf einen bestimmten Abschnitt von Calvins Leben auf Yellowstone zurückging, aber ebenso gut konnte die Simulation sie auch neu erfunden haben, um sich die Zeit zu vertreiben, bis alle Programme gebootet waren.

»Also dann…«

»Das Flugzeug bringt mich zu Volyova«, sagte Sylveste. »Du kannst dich sicher an sie erinnern?«

»Wie könnten wir sie vergessen?« Calvin nahm das Monokel heraus und polierte es zerstreut an seinem Ärmel. »Und wie kam es dazu?«

»Das ist eine lange Geschichte. Sie hat der Kolonie die Daumenschrauben angesetzt. Die Leute hatten kaum eine andere Wahl, als mich auszuliefern. Und dich gleich mit.«

»Sie wollte mich haben?«

»Nun tu nicht so, als wärst du überrascht.«

»Ich bin nicht überrascht; nur enttäuscht. Und natürlich ist das alles ein bisschen viel auf einmal.« Calvin setzte sich das Monokel wieder ein, sein vergrößertes Auge starrte drohend durch den Bernstein. »Wollte sie uns nur zur Sicherheit alle beide haben, oder hat sie etwas Besonderes mit uns vor?«

»Wahrscheinlich Letzteres. Was nicht heißen soll, dass sie mir ihre Absichten offenbart hätte.«

Calvin nickte nachdenklich. »Du hattest also bisher nur mit Volyova zu tun, ja?«

»Kommt dir das merkwürdig vor?«

»Ich hätte erwartet, dass unser Freund Sajaki irgendwann seinen Auftritt hat.«

»Ich auch, aber sie hat sich zu seiner Abwesenheit mit keinem Wort geäußert.« Sylveste zuckte die Achseln. »Spielt es denn eine Rolle? Sie sind doch alle gleich schlimm.«

»Zugegeben, aber bei Sajaki wussten wir wenigstens, woran wir waren.«

»Du meinst, wir wussten, dass wir beschissen wurden.«

Calvin wiegte zweifelnd den Kopf. »Du kannst über den Mann sagen, was immer du willst, er hat zumindest Wort gehalten. Und er — oder wer immer die Zügel in der Hand hat — war immerhin so anständig, dich bis jetzt in Ruhe zu lassen. Wie lange ist es her, seit wir zum letzten Mal auf diesem barbarischen Ungeheuer namens Sehnsucht nach Unendlichkeit waren?«