»Wenn wir schon beim Thema sind… geht es dem Captain wirklich so schlecht, dass er mich nicht persönlich empfangen kann?«
»Sie bekommen ihn schon noch zu sehen«, sagte Sajaki. »Alles zu seiner Zeit.«
Zusammen mit der anderen Frau ging er daran, die beschädigten Teile der Außenhülle von Volyovas Anzug zu entfernen. Es sah aus, als schälten sie eine Krabbe. Irgendwann flüsterte Sajaki der Frau etwas zu, und sie stellten die Arbeit ein. Offenbar war ihnen die Behandlung zu riskant geworden, um sie hier fortzusetzen. Gleich darauf glitten drei Servomaten in den Raum. Zwei der Maschinen hoben Volyova auf und trugen sie hinaus. Sajaki und die Frau begleiteten sie. Sylveste hatte die Frau bei seinem letzten Besuch nicht gesehen, aber sie nahm offenbar einen ziemlich hohen Rang in der Schiffshierarchie ein. Der dritte Servomat ließ sich vor Sylveste und Pascale nieder und bewachte sie mit einem trübe funkelnden Kameraauge.
»Er hat mich nicht einmal aufgefordert, Maske und Schutzbrille abzulegen«, sagte Sylveste. »Dabei müsste er sich doch freuen, mich endlich hier zu haben.«
Pascale nickte. Sie betastete ihre Kleidung, als suche sie nach klebrigen Rückständen des Luftgels. »Was da unten geschehen ist, muss alle seine Pläne über den Haufen geworfen haben. Vielleicht würde er mehr triumphieren, wenn alles nach Plan gegangen wäre.«
»Nicht Sajaki; er ist kein Mensch, der triumphiert. Aber ich hätte wenigstens erwartet, dass er sich ein paar Minuten Schadenfreude gönnt.«
»Vielleicht weil du das Sim zerstört hast…«
»Ja, das hat ihn erschüttert.« Er wusste genau, dass seine Worte höchstwahrscheinlich aufgezeichnet wurden. »Vielleicht ist die Kopie, die er von Cal angefertigt hat, trotz der Selbstzerstörungsprogramme noch in einigen Teilen funktionsfähig, aber das würde für eine Kanalisierung vermutlich nicht ausreichen, nicht einmal bei einer neuralen Eins-zu-eins-Kongruenz zwischen Sim und Empfänger.« Sylveste fand zwei Kisten, die als Sitzgelegenheiten dienen konnten, und zog sie heran. »Aber sie haben sicher längst versucht, das Sim im Körper irgendeines armen Teufels zu aktivieren.«
»Und der Versuch ist gescheitert.«
»Wahrscheinlich auf ziemlich unschöne Weise. Und jetzt hofft Sajaki wohl, dass ich mit der beschädigten Kopie auch ohne Kanalisierung arbeiten kann; nur mit meinen Erinnerungen an Cals Instinkte und Arbeitstechniken.«
Pascale nickte. Sie war klug genug, die naheliegendste Frage nicht zu stellen: welchen Plan Sajaki wohl hätte, wenn seine Kopie nicht einmal dafür mehr zu gebrauchen wäre. Stattdessen sagte sie: »Hast du eine Ahnung, was da unten passiert ist?«
»Nein — und ich glaube, Sajaki hat die Wahrheit gesagt, als er von sich das Gleiche behauptete. Was immer es war, es war nicht geplant. Vielleicht ein Machtkampf innerhalb der Besatzung, der auf dem Planeten ausgetragen wurde, weil die Beteiligten an Bord keine Chance dazu erhielten.« Der Gedanke klang halbwegs einleuchtend, aber er brachte ihn nicht weiter. Selbst innerhalb von Sajakis Bezugsrahmen war zu viel Zeit vergangen und Sylveste konnte seinem sonst so unfehlbaren Blick nicht mehr vertrauen.
Er musste sehr vorsichtig sein, bis er die dynamischen Prozesse in der derzeitigen Besatzung durchschaut hatte. Vorausgesetzt, man gönnte ihm den Luxus, sich so viel Zeit zu lassen…
Pascale kniete neben ihrem Mann nieder. Sie hatten beide die Masken abgelegt, aber nur Pascale hatte die Schutzbrille heruntergenommen. »Wir sind in großer Gefahr, nicht wahr? Wenn Sajaki zu dem Schluss kommt, dass er dich nicht gebrauchen kann…«
»Bringt er uns unversehrt auf den Planeten zurück.« Sylveste nahm Pascales Hände. Ringsum standen Reihen von leeren Raumanzügen wie Mumien in einem ägyptischen Grabmal. Die beiden kamen sich vor wie Plünderer. »Sajaki kann nicht ausschließen, dass ich ihm in Zukunft noch einmal nützlich werden könnte.«
»Hoffentlich hast du Recht… du bist ein großes Risiko eingegangen.« Sie sah ihn mit einem Ausdruck an, den er nur selten bei ihr gesehen hatte. Eine stille, gelassene Warnung. »Du spielst auch mit meinem Leben.«
»Sajaki ist nicht mein Herr, und daran musste ich ihn erinnern. Er muss wissen, dass ich ihm immer einen Schritt voraus bin, auch wenn er noch so klug wird.«
»Aber jetzt bist du in seiner Gewalt, begreifst du das nicht? Mag sein, dass er das Sim nicht hat, aber er hat dich. In meinen Augen ist er dir damit voraus.«
Sylveste lächelte und suchte nach einer Antwort, die zugleich wahr wäre und Sajakis Erwartungen voll und ganz erfüllte. »Aber nicht so weit, wie er glaubt.«
Sajaki und die andere Frau kamen knapp eine Stunde später mit einem hünenhaften Chimären zurück. Sylveste wusste von seinem letzten Besuch, dass das Triumvir Hegazi sein musste, aber er hätte ihn kaum wiedererkannt. Hegazi war immer ein extremes Beispiel seiner Art gewesen — sein Cyborg-Anteil war kaum geringer als der seines Captains —, aber in der Zwischenzeit hatte er seinen menschlichen Kern noch tiefer unter technischen Ergänzungen verborgen, verschiedene prothetische Teile durch neuere oder elegantere Versionen ersetzt und sich ein neues entoptisches Gefolge zugelegt. Die meisten der Figuren interagierten mit seinen Körperteilen, so dass bei jeder Bewegung ein Wasserfall von Geistergliedmaßen in allen Regenbogenfarben in der Luft hing, der erst nach einer Sekunde verblasste. Sajaki trug an Bord schlichte schmucklose Kleidung ohne Rangabzeichen, die seinen zierlichen Körperbau betonte. Aber Sylveste ließ sich nicht verleiten, den Mann zu unterschätzen, nur weil er schmächtig war und nicht mit sichtbaren Waffenprothesen prahlte. Unter seiner Haut summten ohne Zweifel genügend Maschinen, die ihm die Kraft und die Schnelligkeit eines Übermenschen verliehen. Sylveste wusste, dass er mindestens ebenso gefährlich war wie Hegazi und sehr viel schneller.
»Ich will nicht behaupten, es wäre mir ein Vergnügen«, wandte sich Sylveste an Hegazi. »Aber ich gestehe, dass mich ein leichter Schauer der Verwunderung überläuft, wenn ich sehe, dass Sie unter dem Gewicht Ihrer Prothesen noch immer nicht implodiert sind, Triumvir.«
»Ich empfehle Ihnen, das als Kompliment aufzufassen«, sagte Sajaki zu seinem Kollegen. »Mehr als das können sie von Sylveste nicht erwarten.«
Hegazi strich sich den Schnurrbart, den er trotz der ausufernden Schädelprothesen nach wie vor liebevoll pflegte.
»Mal sehen, ob er immer noch zum Scherzen aufgelegt ist, wenn Sie ihm erst den Captain gezeigt haben, Sajaki-san. Wetten, dass ihm der Anblick das Lächeln aus dem Gesicht wischt?«
»Ohne Zweifel«, erwiderte Sajaki. »Und da wir gerade von Gesichtern reden, Dan, könnten Sie uns nicht etwas mehr von dem Ihren zeigen?« Sajaki tastete nach dem Griff der Waffe, die er in einem Halfter an der Hüfte trug.
»Gerne«, sagte Sylveste, nahm sich die Schutzbrille ab und ließ sie klirrend zu Boden fallen. Dabei beobachtete er den Ausdruck — soweit vorhanden — auf den Gesichtern seiner Entführer, die jetzt zum ersten Mal sahen, was mit seinen Augen geschehen war. Auch wenn sie es bereits gewusst hatten, der Anblick von Calvins Werk war ein Schock, der nicht zu unterschätzen war. Sylvestes Augen waren keine elegante Weiterentwicklung der Originale, sondern brutalistische Ersatzorgane, die nur annähernd die Funktion des menschlichen Sehwerkzeugs erfüllten. Sie waren nicht sehr viel besser als ein Holzbein… in alten medizinischen Lehrbüchern fand man fortschrittlichere Beispiele. »Sie wussten natürlich, dass ich das Augenlicht verloren hatte?«, fragte er und musterte einen nach dem anderen mit seinem starren, leeren Blick. »Auf Resurgam ist das allgemein bekannt… man findet es kaum noch der Rede wert.«
»Was für eine Auflösung erreichen Sie mit diesen Dingern?«, fragte Hegazi. Sein Interesse schien aufrichtig. »Ich weiß, sie sind nicht ganz auf dem neuesten Stand, aber ich wette, Sie haben vollen EM-Empfang von Infrarot bis UV, richtig? Vielleicht sogar Akustikabbildung? Wie ist es mit einer Zoomfunktion?«