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Im Lauf der nächsten Stunde beobachtete Volyova mit dem Zoom-Overlay ihres Raumanzugs, wie der Brückenkopf in sich zusammensank wie ein Gefäß aus zu weichem Ton und allmählich in der Kruste versickerte. Er hatte den Kampf gegen Cerberus schließlich doch verloren und wurde nun verdaut.

Zu früh; zu früh.

Das Unrecht nagte an ihr. Auch wenn sie selbst dem Tod geweiht sein mochte, sie wollte nicht zusehen müssen, wie eines ihrer Geschöpfe versagte, noch dazu — verdammt — bevor seine Zeit gekommen war.

Irgendwann konnte sie es nicht mehr ertragen. Sie wandte sich dem Schiff zu, das wie ein Dolch auf sie zielte, und breitete die Arme weit aus. Und dann sprach sie, ohne zu wissen, ob das Schiff die akustische Übertragung überhaupt verstehen konnte.

»Nun komm schon. Mach ein Ende. Ich habe genug. Ich will nichts mehr sehen. Bringen wir es hinter uns.«

Im konischen Rumpf des Schiffes öffnete sich eine Luke, ein rötlichgelber Lichtschein fiel aus dem Innern. Volyova erwartete schon ein besonders zerstörerisches Geschütz, an das sie sich nur undeutlich erinnerte; vielleicht hatte sie es in einem Anfall von Kreativität sogar selbst zusammengebastelt.

Stattdessen löste sich ein Shuttle aus der Öffnung und steuerte langsam auf sie zu.

Wenn Pascales Erklärung zutraf, war Hades in Wirklichkeit gar kein Neutronenstern. Vielleicht war es einmal ein solcher gewesen oder wäre dazu geworden — aber dann hatte eine dritte Partei eingegriffen, über die sich Pascale nicht weiter äußern wollte. Im Grunde war es ganz einfach. Der geheimnisvolle Dritte hatte den Neutronenstern zu einem riesengroßen und unglaublich schnellen Computer umgebaut — der obendrein auf unbegreifliche Weise mit seinem früheren und seinem künftigen Ich kommunizieren konnte.

»Was soll ich hier?«, fragte Khouri, als sie die Treppe hinunterstiegen. »Nein, anders gefragt: Was sollen wir hier. Und wieso weißt du plötzlich so viel mehr als ich?«

»Wie gesagt: ich war länger in der Matrix.« Pascale blieb auf einer Stufe stehen. »Hör zu, Khouri, was ich dir jetzt sage, mag dir nicht gefallen. Aber du bist tot — jedenfalls bis auf weiteres.«

Khouri war weniger überrascht als erwartet. Sie hatte fast damit gerechnet.

»Wir sind in den Gravitationswirbeln umgekommen«, sagte Pascale sachlich. »Wir kamen Hades zu nahe und wurden von den Spannungen zerrissen. Es war nicht sehr angenehm — aber du hast kaum eine Erinnerung daran, denn es wurde so gut wie nichts gespeichert.«

»Gespeichert?«

»Nach den Naturgesetzen hätten wir bis auf die Atome zermalmt werden müssen. Und in einer Hinsicht ist das auch geschehen. Aber die Information, die uns definierte, wurde im Gravitonenfluss zwischen unseren Überresten und Hades bewahrt. Die Kraft, die uns tötete, hat uns zugleich aufgezeichnet und die Information an die Kruste weitergegeben…«

»Schön«, sagte Khouri langsam und entschloss sich, dies vorerst als gegeben hinzunehmen. »Und nachdem wir in die Kruste übertragen worden waren?«

»Wurden wir… hm… ins Leben zurück simuliert. Natürlich laufen alle Berechnungen in der Kruste viel schneller ab als in Echtzeit — deshalb habe ich mehrere Jahrzehnte subjektiver Zeit dort verbracht.«

Das klang fast wie eine Entschuldigung.

»Ich kann mich nicht erinnern, irgendwo mehrere Jahrzehnte verbracht zu haben.«

»Das hast du auch nicht. Du wurdest zwar wiederbelebt, wolltest aber nicht hier bleiben. Du hast das alles vergessen, weil du dich nicht daran erinnern wolltest. Es gab nichts, was dich gehalten hätte.«

»Heißt das, für dich hätte es etwas gegeben?«

»O ja«, sagte Pascale staunend. »O ja. Aber dazu kommen wir noch.«

Sie waren jetzt am Fuß der Treppe angelangt und standen vor einem Korridor, der im Schein flackernder Irrlichter erstrahlte. Wenn sie die Wände ansah, waberten dort ähnliche Computermuster wie auf der Oberfläche. Man hatte den Eindruck, als arbeiteten gleich dahinter komplexe Rechenmaschinen auf Hochtouren.

»Was bin ich?«, fragte Khouri. »Was bist du? Du sagst, ich bin tot. Ich fühle mich nicht so. Und ich fühle mich auch nicht wie eine Simulation in irgendeiner Matrix. Ich war draußen auf der Oberfläche, nicht wahr?«

»Du bist aus Fleisch und Blut«, sagte Pascale. »Du warst tot und wurdest wieder zum Leben erweckt. Dein Körper wurde aus den chemischen Elementen rekonstruiert, die in der Außenkruste der Matrix vorhanden waren, dann wurdest du reanimiert und ins Bewusstsein zurückgeholt. Der Anzug, den du trägst — auch er stammt aus der Matrix.«

»Heißt das, jemand in einem Raumanzug kam der Matrix so nahe, dass er von den Gravitationswirbeln getötet wurde?«

»Nein…«, sagte Pascale nachdenklich. »Nein; es gibt noch einen anderen Weg in die Matrix. Einen sehr viel einfacheren Weg — jedenfalls gab es ihn früher einmal.«

»Ich sollte immer noch tot sein. Auf einem Neutronenstern ist kein Leben möglich. In seinem Innern ebenso wenig.«

»Ich sage dir doch, Hades ist kein Neutronenstern.« Und dann erklärte sie, wie es zu alledem gekommen war. Die Matrix selbst schuf mit ungeheuren Mengen entarteter Materie, die in der Kruste zirkulierten, eine Gravitationsblase, in der Khouri überleben konnte. Diese Materie mochte ein Nebenprodukt der Rechenvorgänge sein, aber das war nicht gesichert. Jedenfalls lenkte der Fluss wie eine Streulinse die Schwerkraft von ihr ab, während zugleich ebenso gewaltige Kräfte die Wände stützten und verhinderten, dass sie mit einer Wucht knapp unter Lichtgeschwindigkeit in sich zusammenstürzten.

»Was ist mit dir?«

»Ich bin anders als du«, sagte Pascale. »Mein Körper ist nur ein Körper, ähnlich wie eine Marionette. Er besteht aus der gleichen nuklearen Materie wie die Kruste. Die Neutronen werden von Strange Quarks zusammengehalten, nur deshalb explodiere ich nicht unter meinem eigenen Quantendruck.« Sie fasste sich an die Stirn. »Aber ich denke nicht selbst. Das spielt sich nur um dich herum ab, innerhalb der Matrix. Du musst entschuldigen — ich will dir wirklich nicht zu nahe treten —, aber ich würde mich zu Tode langweilen, wenn ich nur mit dir sprechen müsste, ohne irgendetwas anderes zu tun. Wie gesagt, der Unterschied zwischen unseren Rechengeschwindigkeiten ist enorm. Du nimmst mir die Bemerkung nicht übel, oder? Sie ist nicht persönlich gemeint, das begreifst du hoffentlich.«

»Schon gut«, sagte Khouri. »Mir ginge es sicher genauso.«

Der Gang weitete sich und mündete in ein vollständig eingerichtetes Büro, das Arbeitszimmer eines Wissenschaftlers. Das Mobiliar war in irgendeinem Stil der letzten fünf- bis sechshundert Jahre gehalten. Die vorherrschende Farbe war Braun, Altersbraun: braun waren die Holzregale an den Wänden und die Rücken der antiken Papierbücher, die darin standen, braun war auch der Mahagonischreibtisch, und goldbraun glänzten die uralten wissenschaftlichen Instrumente am Rand der polierten Platte. Wo keine Regale die Wände bedeckten, standen Holzvitrinen mit vergilbten Skeletten; Alien-Skeletten, die man auf den ersten Blick auch für Fossilien von Flugsauriern oder großen, ausgestorbenen Urvögeln halten konnte, falls man nicht zu sehr auf die Größe des Schädels achtete, der einst ein sehr viel größeres Gehirn beherbergt haben musste.

Auch zeitgemäße Gerätschaften waren vorhanden; Scanner, hochmoderne Schneideinstrumente, Ständer mit Eidetika und holografischen Speichertäfelchen. In einer Ecke stand ein neuerer Servomat, untätig und mit leicht gesenktem Kopf, wie ein treuer Diener, der im Stehen ein Nickerchen hielt.

An einer Wand sah man durch mehrere Sprossenfenster auf eine Wüstenlandschaft mit Tafelbergen und bizarren Felsformationen hinaus, durch die der Wind pfiff. Alles lag im rötlichen Schein einer Abendsonne, die bereits im Begriff war, hinter dem bizarren Horizont zu verschwinden.

Am Schreibtisch saß Sylveste. Bei ihrem Eintreten erhob er sich und sah sie an, als hätten sie ihn aus tiefer Konzentration gerissen.