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Die Tür der Seilbahngondel knallte zu. Manoukhian drückte auf dem Armaturenbrett den Knopf, der die Luft von Chasm City reinigte. Dampfstrahlen schossen unter der Gondel hervor, als sie sich mit dem nächsten erreichbaren Kabel in die Lüfte schwang.

»Wer sind Sie, Manoukhian?«

»Ich helfe der Mademoiselle.« Das lag ja wohl auf der Hand. »Wir haben eine ganz besondere Beziehung. Wir sind uralte Bekannte.«

»Und was will sie von mir?«

»Ich dachte, das sei inzwischen klar«, sagte Manoukhian. Er bedrohte Khouri weiter mit der Waffe, behielt aber dabei die Navigationskonsole der Gondel im Auge. »Sie hat einen Mordauftrag für sie.«

»Von solchen Aufträgen lebe ich.«

»Gewiss.« Er lächelte. »Diesmal geht es allerdings um jemanden, der nicht dafür bezahlt hat.«

Es verstand sich von selbst, dass die Biografie nicht Sylvestes Idee gewesen war. Die Anregung war vielmehr von einem Mann gekommen, von dem Sylveste das am allerwenigsten erwartet hätte. Es war vor sechs Monaten gewesen, bei einer der äußerst seltenen persönlichen Begegnungen mit seinem Feind. Nils Girardieu hatte das Thema ganz beiläufig angeschnitten und sich überrascht gezeigt, dass noch niemand daran gedacht habe, ein solches Werk zu verfassen. Fünfzig Jahre auf Resurgam seien schließlich fast ein zweites Leben, und selbst wenn dieses Leben nicht gerade rühmlich ende, so rücke es doch die Jahre auf Yellowstone in eine neue Perspektive. »Das Problem war«, sagte Girardieu, »dass Ihre früheren Biografen zu wenig Distanz zum Geschehen hatten — sie waren zu sehr eingebunden in das gesellschaftliche Umfeld, das sie zu analysieren versuchten. Alle Welt war entweder von Cal oder Ihnen fasziniert, und die drangvolle Enge in der Kolonie machte es unmöglich, auf Abstand zu gehen und die größeren Zusammenhänge zu sehen.«

»Wollen Sie behaupten, auf Resurgam wäre es weniger eng?«

»Das natürlich nicht — aber wir haben zumindest den nötigen Abstand, räumlich wie zeitlich.« Girardieu war ein untersetzter, kräftiger Mann mit wirrem, rotem Haar. »Sagen Sie selbst, Dan — wenn Sie an Yellowstone zurückdenken, kommt es Ihnen da nicht manchmal vor, als habe das alles ein anderer erlebt, in einem längst vergangenen Jahrhundert?«

Sylveste blieb das spöttische Lachen im Halse stecken, denn er war — ausnahmsweise — ganz einer Meinung mit Girardieu. Die Erkenntnis erschütterte ihn tief, sie verletzte sozusagen ein Naturgesetz.

»Ich verstehe immer noch nicht, warum Sie ein solches Projekt unterstützen sollten«, sagte Sylveste und wies mit dem Kinn zu dem Wärter hin, der das Gespräch überwachte. »Es sei denn, Sie hoffen, irgendwie davon profitieren zu können?«

Girardieu hatte genickt. »Zum Teil — vielleicht ist das sogar mein stärkstes Motiv, wenn Sie es genau wissen wollen. Es dürfte Ihrer Aufmerksamkeit nicht entgangen sein, dass sie für die Bevölkerung nach wie vor eine faszinierende Persönlichkeit sind.«

»Auch wenn die meisten es besonders faszinierend fänden, mich hängen zu sehen.«

»Das ist zwar richtig, aber wahrscheinlich würden sie Ihnen vorher die Hand schütteln wollen — um Ihnen dann auf den Galgen zu helfen.«

»Und diese Sensationslust wollen Sie ausschlachten?«

Girardieu hatte die Achseln gezuckt. »Natürlich entscheidet die neue Regierung, wer mit Ihnen sprechen darf — außerdem befinden sich alle Ihre Aufzeichnungen und das Archivmaterial in unseren Händen. Das gibt uns einen gewissen Vorteil. Wir haben Zugriff auf Dokumente aus den Yellowstone-Jahren, von denen außer Ihren nächsten Angehörigen niemand weiß, dass sie überhaupt existieren. Wir würden natürlich nur sehr vorsichtig Gebrauch davon machen — aber es wäre doch töricht, sie zu ignorieren.«

»Ich verstehe«, sagte Sylveste, dem die Sache plötzlich sonnenklar war. »In Wirklichkeit wollen Sie mich mit dieser Biografie nur in Verruf bringen.«

»Wenn die Tatsachen ein so schlechtes Licht auf Sie werfen…« Girardieu vollendete den Satz nicht.

»Sie haben mich abgesetzt… reicht Ihnen das noch nicht?«

»Das ist neun Jahre her.«

»Was heißt das?«

»Das heißt, es ist so lange her, dass die Leute alles vergessen haben. Eine kleine Erinnerung wäre durchaus angebracht.«

»Besonders, weil sich neue Unzufriedenheit breit macht?«

Girardieu zuckte zusammen wie unter einer unerhörten Taktlosigkeit. »Den Wahren Weg können Sie vergessen — glauben Sie ja nicht, er sei Ihre Rettung. Diese Leute hätten sich nicht damit begnügt, Sie einzusperren.«

»Na schön«, sagte Sylveste, den das Thema bereits langweilte. »Was springt dabei für mich heraus?«

»Sie setzen einfach voraus, dass ich ein Angebot in der Tasche habe?«

»Normalerweise ja. Warum hätten Sie mir sonst davon erzählt?«

»Vielleicht liegt es ja in Ihrem Interesse, uns zu unterstützen. Natürlich könnten wir auch mit dem Material arbeiten, das wir an uns gebracht haben — aber Ihre Sicht der Dinge wäre von Interesse. Besonders bei den weniger gesicherten Episoden.«

»Damit wir uns recht verstehen. Sie wollen, dass ich meiner eigenen Hinrichtung zustimme? Sie wollen zu Ihrem Rufmord nicht nur meinen Segen, ich soll auch noch Beihilfe leisten?«

»Es könnte sich für Sie auszahlen.« Girardieu sah sich in der engen Zelle um und nickte. »Denken Sie an Janequin, dem ich gestattet habe, sich weiter mit seinen Pfauen zu beschäftigen. Auch bei Ihnen könnte ich mich flexibel zeigen, Dan. Zugang zu neuem Material über die Amarantin; Verbindung zu Ihren Kollegen; Erfahrungsaustausch — vielleicht sogar hin und wieder ein Ausflug.«

»Feldstudien?«

»Das müsste ich mir noch überlegen. Etwas in diesem Rahmen…« Sylveste spürte plötzlich ganz deutlich, dass Girardieu ihm etwas vorspielte. »Gute Führung wäre zu empfehlen. Die Biografie ist bereits in Arbeit, aber Sie würden erst in einigen Monaten gebraucht. In einem halben Jahr vielleicht. Ich schlage vor, wir warten so lange, bis Sie uns die Informationen geben, die wir brauchen. Sie werden natürlich mit der Autorin in Verbindung stehen, und wenn die Zusammenarbeit fruchtbar ist — was sie zu beurteilen hätte —, dann könnte man vielleicht darüber diskutieren, ob man Ihnen in begrenztem Rahmen auch Feldarbeit ermöglichen könnte. Wohlgemerkt, man könnte darüber diskutieren — das ist keine Zusage.«

»Ich kann meine Begeisterung kaum noch zügeln.«

»Nun, Sie werden wieder von mir hören. Noch irgendwelche Fragen, bevor ich gehe?«

»Nur eine. Sie sprachen von einem weiblichen Autor. Dürfte ich fragen, um wen es sich handelt?«

»Um eine Verehrerin, deren Illusionen nur darauf warten dürften, zerstört zu werden.«

Volyova arbeitete in der Nähe des Geschützparks und dachte nur an Waffen, als ihr eine Pförtnerratte auf die Schulter sprang und ihr etwas ins Ohr flüsterte.

»Besuch«, sagte die Ratte.

Die Ratten waren eine Spezialität der Sehnsucht nach Unendlichkeit, etwas, das es möglicherweise auf keinem anderen Lichtschiff gab. Sie waren nur eine Spur intelligenter als ihre wilden Vorfahren, aber sie waren biochemisch mit der Befehlsmatrix des Schiffes verbunden, und das machte die einstigen Schädlinge zu brauchbaren Schiffsgenossen. Jede Ratte besaß spezielle Pheromonrezeptoren und -transmitter, über die sie, in komplexen Molekülverbindungen verschlüsselt, Befehle vom Schiff empfangen und Informationen übertragen konnte. Sie ernährten sich von Abfällen und fraßen buchstäblich alles, was organisch und nicht niet- und nagelfest war oder noch atmete. Wenn die Nahrung in den Eingeweiden grob vorverdaut war, suchten sie bestimmte Schiffszonen auf und führten ihre Ausscheidungen in Pillenform den größeren Wiederaufbereitungssystemen zu. Einige waren sogar mit einer Voicebox und einem kleinen Lexikon mit den wichtigsten Wendungen ausgerüstet, so dass sie unter bestimmten biochemisch programmierten Bedingungen durch externe Stimuli zum Sprechen angeregt werden konnten.