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Volyova knirschte mit den Zähnen. Die künstliche Szenerie war ihr ein Gräuel.

Die vier verbliebenen Besatzungsmitglieder saßen beim Frühstück an einem langen Holztisch, der mit Brot, Obst, Fleisch und Käse, Krügen mit Orangensaft und Karaffen mit Kaffee überreich gedeckt war. Jenseits der Lichtung waren zwei Ritter-Hologramme nach Kräften bemüht, sich gegenseitig mit ihren Lanzen die Bäuche aufzuschlitzen.

»Guten Morgen«, sagte Volyova und trat von der letzten Stufe ins Gras. Es war tatsächlich nass vom Tau.

»Es ist sicher kein Kaffee mehr übrig?«

Alle blickten auf, zwei drehten sich sogar nach ihr um. Sie beobachtete die Reaktionen. Drei murmelten einen leisen Gruß, nachdem sie mit diskretem Klirren ihr Besteck abgelegt hatten. Sudjic sagte gar nichts, dafür hob Sajaki die Stimme.

»Schön, Sie zu sehen, Ilia.« Er griff nach einem Teller. »Eine Grapefruit?«

»Danke. Warum nicht?«

Sie trat näher und nahm Sajaki den Teller ab. Die glänzende Frucht war mit Zucker bestreut. Sie setzte sich bewusst zwischen Sudjic und Kjarval, die anderen zwei Frauen. Beide waren im Augenblick schwarzhäutig und hatten bis auf die feuerroten Dreadlocks, die förmlich aus dem Scheitel hervorbrachen, kahlgeschorene Köpfe. Auf ihre steifen Zöpfe legten die Ultras großen Wert: sie zeigten an, wie viele Kälteschlafperioden ein Raumfahrer absolviert und wie oft er demnach auf Kussnähe an die Lichtgeschwindigkeit herangekommen war. Die zwei Frauen hatten sich der Besatzung angeschlossen, nachdem ihr eigenes Schiff von Volyovas Leuten geentert worden war. Ultras verkauften ihre Loyalität ebenso bedenkenlos wie Wassereis, Monopole und Daten. Letztere dienten ihnen als Geldersatz. Sudjic und Kjarval waren eindeutige Chimären, obwohl ihre Transformationen verglichen mit Hegazi eher bescheiden waren. Sudjics Arme gingen unterhalb der Ellbogen in kunstvoll gravierte Bronzehandschuhe mit goldglitzernden Fenstern über, hinter denen ständig wechselnde Holografien zu sehen waren. Die künstlichen Hände endeten in überschlanken Fingern mit diamantenen Nägeln. Kjarvals Körper war zum größten Teil organisch, aber sie hatte rote, elliptische Katzenaugen mit einem Fadenkreuz in der Mitte, und ihre flache Nase wies an Stelle von Nasenlöchern nur schmale, gerippte Öffnungen auf, die so aussahen, als könnte sie damit auch unter Wasser atmen. Sie war unbekleidet, aber ihre Haut umschmiegte sie bis auf die Öffnungen für Augen, Nüstern, Mund und Ohren so glatt und nahtlos wie ein ebenholzschwarzer Neopren-Anzug. Ihre Brüste hatten keine Brustwarzen, die zierlichen Finger hatten keine Nägel, und die Zehen waren nur angedeutet. Sie sah aus wie das Werk eines Bildhauers, der es eilig gehabt hatte, mit dem nächsten Auftrag anzufangen. Als Volyova sich setzte, warf ihr Kjarval nur einen kurzen Blick zu. Ihre Gleichgültigkeit war etwas zu dick aufgetragen, um echt zu sein.

»Schön, Sie bei uns zu haben«, sagte Sajaki. »Sie waren sehr fleißig, während wir geschlafen haben. Irgendwelche besonderen Vorfälle?«

»Das eine oder andere.«

»Sehr interessant.« Sajaki lächelte. »Das eine oder andere also. Ich nehme nicht an, dass Sie zwischen dem ›einen‹ und dem ›anderen‹ etwas bemerkt haben, was ein Licht auf Nagornys Tod werfen könnte?«

»Ich habe mich schon gefragt, wo Nagorny geblieben ist. Jetzt haben Sie mir die Antwort gegeben.«

»Aber meine Frage ist noch offen.«

Volyova machte sich über ihre Grapefruit her. »Als ich ihn das letzte Mal sah, war er noch am Leben. Ich habe keine Ahnung… woran ist er denn gestorben?«

»Der Kälteschlaftank hat ihn vorzeitig erwärmt. Daraufhin setzten diverse bakteriologische Prozesse ein. Ich brauche wohl nicht weiter ins Detail zu gehen?«

»Nicht beim Frühstück, nein, danke.« Offenbar hatten sie ihn nicht genauer untersucht, sonst wären ihnen die Verletzungen, die er während seines Todeskampfes erlitten hatte, womöglich doch aufgefallen, obwohl sie sich bemüht hatte, sie zu kaschieren. »Verzeihung«, sagte sie mit einem schnellen Blick auf Sudjic. »Ich wollte keine Gefühle verletzen.«

»Natürlich nicht«, sagte Sajaki und riss ein Stück Brot in zwei Teile. Dann starrte er Sudjic mit seinen eng zusammenstehenden, ellipsenförmigen Augen so durchdringend an, als sei sie ein tollwütiger Hund. Die Tätowierungen, die er sich zugelegt hatte, als er sich bei den Raumpiraten von Bloater einschleusen ließ, waren inzwischen verschwunden, aber feine, weißliche Linien waren trotz der langwierigen Behandlungen während des Kälteschlafs geblieben. Vielleicht, dachte Volyova, hatte Sajaki seine Nanomaschinen sogar angewiesen, nicht alle Spuren seiner Heldentaten bei den Bloaterianern zu beseitigen; vielleicht betrachtete er die Narben als Trophäen des wirtschaftlichen Sieges, den er dort errungen hatte. »Ich bin sicher, dass niemand von uns Ilia in irgendeiner Weise für Nagornys Tod verantwortlich macht — nicht wahr, Sudjic?«

»Warum sollte ich ihr die Schuld an einem Unfall geben?«, fragte Sudjic.

»Genau. Und damit ist die Sache erledigt.«

»Nicht ganz«, widersprach Volyova. »Vielleicht sollte ich das Thema nicht gerade jetzt anschneiden, aber…« Sie verstummte. »Ich wollte nur sagen, dass ich gern die Implantate aus seinem Kopf entfernen möchte. Aber selbst wenn man mir das gestattete, sie wären wahrscheinlich beschädigt.«

»Können Sie keine neuen anfertigen?«, fragte Sajaki.

»Schon, aber das kostet Zeit.« Sie seufzte resigniert. »Ich brauche auch einen neuen Waffenoffizier.«

»Wenn wir um Yellowstone Zwischenstation machen«, sagte Hegazi, »können Sie sich doch jemanden suchen?«

Auf der anderen Seite der Lichtung gingen die Ritter immer noch aufeinander los, aber niemand beachtete sie mehr, obwohl dem einen offenbar ein Pfeil durch das Visier gedrungen war, der ihn sehr behinderte.

»Es wird sich schon ein passender Kandidat finden«, sagte Volyova.

Die kalte Luft im Haus der Mademoiselle roch so sauber, wie Khouri es seit ihrer Ankunft auf Yellowstone nicht mehr erlebt hatte. Was nicht allzu viel bedeutete. Sauber, aber nicht gut. Eher wie in dem Sanitätszelt auf Sky’s Edge mit seiner Mischung aus Jod, Kohl und Chlor, wo sie Fazil zum letzten Mal gesehen hatte.

Sie waren mit Manoukhians Gondel quer durch die Stadt und unter der Oberfläche durch ein teilweise überflutetes Aquädukt bis in eine unterirdische Höhle gefahren. Dort waren sie in einen Fahrstuhl umgestiegen, der so schnell nach oben raste, dass ihnen fast das Trommelfell platzte. Schließlich waren sie in diesem dunklen Gang gelandet, wo jeder Schritt ein Echo erzeugte. Vermutlich war es nur die Akustik, aber Khouri hatte das Gefühl, durch ein riesiges, unbeleuchtetes Mausoleum zu schreiten. Hoch oben in der Wand gab es Fenster mit filigranen Gittern, durch die jedoch nur mitternächtlich fahles Licht hereinfiel. Nachdem es draußen noch Tag war, verursachte das ein leises Unbehagen.

»Die Mademoiselle liebt das Tageslicht nicht«, sagte Manoukhian und ging weiter.

»Was Sie nicht sagen!« Khouris Augen gewöhnten sich allmählich an die Düsternis, sie konnte mehrere große Gegenstände unterscheiden. »Sie sind nicht von hier, Manoukhian?«

»Damit sind wir wohl schon zu zweit.«

»Sind Sie auch durch eine Verwechslung nach Yellowstone gekommen?«

»Nicht ganz.« Sie merkte, dass Manoukhian sich überlegte, wie viel er ihr anvertrauen durfte. Das war seine Schwäche, dachte Khouri. Für einen Berufskiller oder was immer er sein mochte, war er viel zu gesprächig. Auf der Fahrt hierher hatte er ununterbrochen mit seinen Heldentaten in Chasm City geprahlt — einem anderen als diesem eiskalten Typen mit dem ausländischen Akzent und der Trickwaffe hätte sie kein Wort geglaubt. Bei Manoukhian stand jedoch zu befürchten, dass vieles davon auch wahr sein konnte. »Nein«, sagte er. Seine Freude am Erzählen war ganz offensichtlich stärker als die mürrische Verschlossenheit, die ein Zeichen seines Berufes war. »Nein, es war keine Verwechslung. Aber es war ein Fehler — oder zumindest ein Unfall.«