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»Yuuji«, sagte sie. »Das gefällt mir gar nicht.«

»Das kann ich Ihnen nicht verdenken.«

»Was für ein Verrückter baut sich denn seinen eigenen Sarg?«

»Einer, der zu allem entschlossen ist, würde ich sagen. Aber der Sarg ist nun einmal da, und er ist vermutlich unsere einzige Möglichkeit, einen Blick in sein Bewusstsein zu werfen. Was halten Sie von den Verzierungen?«

»Zweifellos eine Projektion seiner Psychose, eine Konkretisierung.« Indem Sajaki sie zwang, Ruhe zu bewahren, drängte er sie in eine unterwürfige Haltung. »Ich sollte die Metaphorik studieren. Vielleicht begreife ich dann mehr.«

Sie hielt inne, dann fügte sie hinzu: »Ich meine, wir sollten den gleichen Fehler nicht zwei Mal machen.«

»Sehr vernünftig«, sagte Sajaki. Er kniete nieder und strich mit dem behandschuhten Zeigefinger über die eingeritzten Schnörkel. »Ein Glück, dass sie nicht auch noch in die Situation kamen, ihn töten zu müssen.«

»Ja«, sagte sie und sah ihn skeptisch an. »Aber was halten Sie denn nun von den Verzierungen, Yuuji-san?«

»Ich wüsste gerne, wen oder was er mit Sonnendieb meint«, sagte er. Nun sah auch sie, dass dieses Wort in kyrillischen Lettern in den Sarg geschnitzt war. »Ist Ihnen der Ausdruck irgendwie bekannt? Was bedeutete er für Nagorny? In Zusammenhang mit seiner Psychose, meine ich.«

»Ich habe nicht die leiseste Ahnung.«

»Lassen Sie mich trotzdem einmal raten. Ich würde sagen, in Nagornys Phantasie stellte dieser Sonnendieb jemanden dar, mit dem er tagtäglich zu tun hatte, und da bieten sich zwei Möglichkeiten an.«

»Er selbst oder ich«, sagte Volyova. Sie wusste, dass Sajaki nicht so leicht von einer Fährte abzubringen war. »Ja, ja, das liegt auf der Hand… aber es bringt uns keinen Schritt weiter.«

»Sie sind ganz sicher, dass er diesen Sonnendieb nie erwähnt hat?«

»Das hätte ich sicher nicht vergessen.«

Das stimmte sogar. Natürlich erinnerte sie sich: schließlich hatte Nagorny genau dieses Wort mit seinem eigenen Blut an ihre Kabinenwand geschrieben. Es war ihr also durchaus vertraut, auch wenn sie nichts damit anfangen konnte. Vor dem unerfreulichen Ende ihrer beruflichen Beziehung hatte Nagorny kaum noch von etwas anderem gesprochen. Sonnendieb geisterte durch seine Träume und er sah wie alle Paranoiker selbst hinter den alltäglichsten Ärgernissen Sonnendiebs boshafte Hand. Ob auf dem Schiff plötzlich ein Licht ausfiel, ob ihn ein Fahrstuhl im falschen Deck absetzte, alles war Sonnendiebs Werk. Es gab keine einfachen Pannen, es gab nur gezielte Machenschaften eines hinter den Kulissen agierenden Wesens, das nur Nagorny wahrnehmen konnte. Volyova hatte die Zeichen törichterweise nicht zur Kenntnis genommen. Sie hatte gehofft — ja, gebetet, soweit ihr das möglich war —, das Phantom möge in die Jenseitswelt von Nagornys Unterbewusstsein zurückkehren. Aber Sonnendieb war bei seinem Opfer geblieben; der Sarg auf dem Fußboden war Zeuge dafür.

Nein… so etwas hätte sie nicht vergessen.

»Gewiss nicht«, sagte Sajaki mit wissendem Lächeln und wandte sich wieder den Reliefs zu. »Ich finde, wir sollten zuerst eine Kopie dieser Muster anfertigen«, sagte er. »Sie könnten uns helfen, aber durch diesen verdammten Braille-Effekt sind sie mit bloßem Auge kaum zu erkennen. Was mag das wohl sein?« Er fuhr mit der flachen Hand über ein Strahlenmuster. »Vogelschwingen? Oder Sonnenstrahlen von oben? Ich finde, es sieht eher nach Vogelschwingen aus. Aber warum sollte er sich mit Vogelschwingen beschäftigen? Und was ist das überhaupt für eine Sprache?«

Volyova sah hin, aber das Mustergewirr überforderte sie. Die Sache interessierte sie — sogar sehr. Aber sie wollte den Sarg für sich allein und wünschte sich Sajaki möglichst weit weg. Hier schrie alles viel zu laut, in welch bodenlose Tiefen Nagornys Verstand gestürzt war.

»Ich denke, man muss sich eingehender damit auseinandersetzen«, sagte sie vorsichtig. »Sie sagten ›zuerst‹. Was gedenken Sie zu tun, nachdem wir die Kopie angefertigt haben?«

»Ich dachte, das versteht sich von selbst.«

»Sie wollen das verdammte Ding zerstören«, vermutete sie.

Sajaki lächelte. »Oder es Sudjic überlassen. Aber ich persönlich wäre dafür, es zu zerstören. Särge haben auf einem Schiff nichts zu suchen, schon gar nicht, wenn sie selbst gefertigt sind.«

Die Treppe ging immer weiter. Nach einer Weile — sie hatte mehr als zweihundert Stufen gezählt — gab Khouri auf. Doch gerade als ihr die Knie weich zu werden drohten, waren die Stufen plötzlich zu Ende, und sie stand in einem langen weißen Korridor mit vielen Nischen zu beiden Seiten. Sie kam sich vor wie auf einer Portikus im Mondschein. Mit hallenden Schritten ging sie bis zur Doppeltür am Ende des Gangs. Die Türblätter waren mit schwarzen Schneckenmustern verziert und hatten leicht getönte Glasfenster. Aus dem Raum dahinter drang lavendelfarbenes Licht.

Sie war offenbar am Ziel.

Es war durchaus möglich, dass es sich um eine Falle handelte und dass es glatter Selbstmord wäre, den Raum zu betreten. Aber Umkehren kam nicht in Frage — das hatte ihr Manoukhian charmant, aber unmissverständlich klar gemacht. Also legte Khouri die Hand auf die Türklinke und trat ein. Sie spürte ein angenehmes Kribbeln in der Nase, ein leichter Blütenduft überdeckte den Krankenhausgeruch im Rest des Hauses. Khouri fühlte sich ungewaschen, obwohl erst wenige Stunden vergangen waren, seit Ng sie geweckt und ihr befohlen hatte, sich auf den Weg zu machen, um Taraschi zu töten. Seither hatte der Regen von Chasm City für einen Monat Schmutz auf ihr abgeladen, und der hatte sich mit ihrem Angstschweiß vermischt.

»Manoukhian hat es also geschafft, Sie heil zu mir zu bringen«, sagte eine Frauenstimme.

»Mich oder sich?«

»Beides, mein Kind«, antwortete die unsichtbare Sprecherin. »Ihr habt alle beide einen Furcht erregenden Ruf.«

Die Doppeltür fiel hinter Khouri ins Schloss. Sie sah sich um. Nicht ganz einfach in diesem seltsamen rosigen Licht. Der Raum war rund wie ein Kessel. In eine der konkaven Wände waren zwei Fenster mit geschlossenen Läden eingelassen, die wie Augen aussahen.

»Willkommen in meinem Heim«, sagte die Stimme, »fühlen Sie sich bitte ganz wie zu Hause.«

Khouri trat an die Fenster. Seitlich davon standen zwei Kälteschlaftanks, die glänzten wie verchromte Silberfische. Einer der Behälter war geschlossen und in Betrieb, der andere stand offen und wartete darauf, dass sich ein Schmetterling darin verpuppte.

»Wo bin ich?«

Die Läden flogen auf.

»Wo Sie immer waren«, sagte die Mademoiselle.

Unter ihr lag Chasm City. Aber so hoch oben war sie noch nie gewesen. Sie befand sich noch über dem Moskitonetz, vielleicht fünfzig Meter von seiner fleckigen Oberfläche entfernt. Die Stadt lag unter dem Netz wie ein phantastisches, in Formaldehyd konserviertes Meeresungeheuer. Sie hatte keine Ahnung, wo sie war, nur, dass dies eins der höchsten Gebäude sein musste und dass sie es wahrscheinlich für unbewohnt gehalten hatte.

Die Mademoiselle sagte: »Ich nenne es das Château des Corbeaux, das Rabenschloss. Weil es so schwarz ist. Sie haben es sicher schon gesehen.«

»Was wollen Sie von mir?«, fragte Khouri endlich.

»Sie sollen einen Auftrag für mich erledigen.«

»Und deshalb dieser Aufwand? Ich meine, warum mussten Sie mich mit vorgehaltener Waffe entführen lassen, nur weil Sie einen Auftrag für mich haben? Warum sind Sie nicht den normalen Weg gegangen?«

»Weil es kein normaler Auftrag ist.«

Khouri nickte zu dem offenen Kälteschlaftank hin. »Was hat der damit zu tun?«

»Sagen Sie nicht, er wäre Ihnen unheimlich. Schließlich sind Sie in so einem Ding auf unsere Welt gekommen.«