»Ich wollte nur wissen, was er hier soll.«
»Alles zu seiner Zeit. Drehen Sie sich bitte um?«
Khouri hörte ein leises Surren hinter sich, als würde ein Aktenschrank geöffnet.
Eine Hermetikersänfte war in den Raum gekommen. Vielleicht war sie auch schon die ganze Zeit da gewesen, nur durch irgendeinen Trick getarnt. Der Palankin war so dunkel und eckig wie ein Metronom und wies keinerlei Ornamente auf. Die Außenhülle war primitiv zusammengeschweißt und vollkommen glatt. Khouri sah keine Sensoren und das winzige Monokel auf der Vorderseite war so schwarz wie das Auge eines Hais.
»Sie hatten sicher schon mit Artgenossen von mir zu tun«, sagte eine Stimme aus dem Palankin. »Also kein Grund zur Beunruhigung.«
»Ich bin nicht beunruhigt«, sagte Khouri.
Aber das war eine Lüge. Die Kiste war beunruhigend; sie hatte eine Ausstrahlung, wie sie sie in Gegenwart von Ng oder anderen Hermetikern ihrer Bekanntschaft nie gespürt hatte. Vielleicht lag es daran, dass der Palankin so völlig schmucklos war, vielleicht auch an dem — ganz unterbewussten — Gefühl, dass die Kiste nur selten bewohnt war. Das ungewöhnlich kleine Sichtfenster nährte noch den Verdacht, hinter den schwarzen, undurchsichtigen Wänden verberge sich ein Ungeheuer.
»Ich kann Ihnen jetzt nicht alle Ihre Fragen beantworten«, sagte die Mademoiselle. »Aber ich habe Sie natürlich nicht nur hierher bringen lassen, um Ihnen zu zeigen, in welcher Zwangslage ich mich befinde. Vielleicht bringt uns das weiter.«
Neben dem Palankin entstand eine Gestalt, die sich rasch verfestigte.
Es war natürlich eine Frau — eine junge Frau, und sie war paradoxerweise mit einer Eleganz gekleidet, die auf Yellowstone seit der Seuche völlig aus der Mode gekommen war. Entoptische Figuren umflimmerten sie. Das schwarze Haar war straff aus der edlen Stirn gekämmt und wurde von einer blitzenden Spange gehalten. Das stahlblaue Gewand war schulterfrei und hatte ein gewagtes Dekollete. Wo der Stoff den Boden berührte, schien er sich aufzulösen.
»So war ich«, sagte die Gestalt. »Bevor die Fäulnis zuschlug.«
»Warum können Sie sich nicht immer noch so zeigen?«
»Ich kann die Sänfte nicht verlassen, das Risiko ist zu groß — selbst in den Schutzzonen für Hermetiker. Ich traue den Sicherheitsvorkehrungen nicht.«
»Warum haben Sie mich hierher bringen lassen?«
»Hat Ihnen das Manoukhian nicht ausführlich erklärt?«
»Das kann man nicht sagen. Er meinte nur, es sei meiner Gesundheit förderlicher, wenn ich mit ihm käme.«
»Wie unfein. Aber durchaus zutreffend, das lässt sich nicht bestreiten.« Das starre, fahle Frauengesicht verzog sich zu einem Lächeln. »Aus welchem Grund ließ ich Sie wohl hierher bringen, was meinen Sie?«
Was immer hinter alledem stecken mochte, Khouri wusste, dass sie schon zu viel gesehen hatte. Sie konnte nicht mehr in die Stadt zurückkehren und ihr normales Leben wiederaufnehmen.
»Ich bin Berufskiller. Manoukhian hat mich bei der Arbeit gesehen und mir bestätigt, ich würde meinem Ruf gerecht. Nun vermute ich — das mag etwas voreilig sein —, dass ich jemanden für Sie töten soll.«
»Sehr gut.« Die Gestalt nickte. »Aber hat Ihnen Manoukhian auch erklärt, dass es sich um keinen gewöhnlichen Auftrag handelt?«
»Er hat von einem entscheidenden Unterschied gesprochen.«
»Und würde Sie das stören?« Die Mademoiselle sah sie eindringlich an. »Ein interessanter Punkt, nicht wahr? Mir ist bekannt, dass Ihre Opfer normalerweise ihr Einverständnis geben, sich töten zu lassen, bevor Sie die Verfolgung aufnehmen. Aber sie tun das nur, weil sie überzeugt sind, Ihnen entrinnen und hinterher damit prahlen zu können. Wenn Sie sie erst gestellt haben, treten wohl die wenigsten widerspruchslos ab.«
Khouri dachte an Taraschi. »Das ist richtig. Meistens flehen sie mich an, sie zu schonen, versuchen mich zu bestechen und so weiter.«
»Und?«
Khouri zuckte die Achseln. »Ich töte sie trotzdem.«
»Eine sehr professionelle Einstellung. Sie waren Soldat, Khouri?«
»Früher.« Daran wollte sie jetzt wirklich nicht denken. »Wie weit sind Sie über meine Vergangenheit informiert?«
»So weit wie nötig. Ihr Mann — er hieß Fazil — war ebenfalls Soldat. Sie haben gemeinsam auf Sky’s Edge gekämpft. Dann ist etwas passiert. Es kam zu einer Verwechslung. Man brachte Sie auf ein Schiff, das Kurs auf Yellowstone nahm. Der Fehler wurde erst zwanzig Jahre später bemerkt, als Sie hier erwachten. Da war es für eine Rückkehr nach Sky’s Edge bereits zu spät — selbst wenn Sie gewusst hätten, dass Fazil noch lebte. Bis zu Ihrer Ankunft wäre er vierzig Jahre älter gewesen.«
»Nun wissen Sie, warum mir die Vorstellung, zum Killer zu werden, keine schlaflosen Nächte bereitet hat.«
»Nein; ich kann mich gut in Sie hineinversetzen. Sie fühlten sich dem Universum und seinen Bewohnern gegenüber zu nichts verpflichtet.«
Khouri nickte. »Aber für einen solchen Auftrag brauchen Sie keinen ehemaligen Soldaten. Dafür brauchen Sie nicht einmal unbedingt mich. Ich weiß nicht, wen sie umlegen lassen wollen, aber es gibt bessere Leute. Ich meine, ich bin technisch gut — nur ein Fehler auf zwanzig Schüsse. Aber ich kenne Leute, bei denen steht es fünfzig zu eins.«
»Sie erfüllen andere Voraussetzungen. Ich suche jemanden, der gern bereit ist, diese Stadt zu verlassen.« Die Gestalt nickte zu dem offenen Kälteschlaftank hinüber. »Um auf eine lange Reise zu gehen.«
»Über das System hinaus?«
»Ja.« Das klang mütterlich nachsichtig, so als habe die Frau dieses Gespräch in seinen Grundzügen Dutzende von Malen geprobt. »Genauer gesagt über zwanzig Lichtjahre. Das ist die Entfernung nach Resurgam.«
»Ich könnte nicht behaupten, von dieser Welt schon gehört zu haben.«
»Das würde mich auch beunruhigen.« Die Mademoiselle streckte den linken Arm aus. Wenige Zentimeter über ihrer Handfläche erschien eine kleine Kugel. Eine graue, tote Welt — keine Meere, keine Flüsse, kein Grün. Nur ein dünner Atmosphäreschleier — als feiner Bogen am Horizont zu erkennen — und zwei schmutzigweiße Eiskappen deuteten darauf hin, dass es sich nicht um einen Mond ohne Lufthülle handelte. »Es ist nicht einmal eine von den neueren Kolonien — oder nicht das, was wir unter einer Kolonie verstehen. Auf dem ganzen Planeten gibt es nur ein paar kleine Forschungsstationen. Bis vor kurzem hatte Resurgam nicht die geringste Bedeutung. Aber das hat sich geändert.« Die Mademoiselle hielt inne, wie um sich zu sammeln. Vielleicht überlegte sie, wie viel sie in diesem Stadium schon preisgeben wollte. »Jemand ist auf Resurgam eingetroffen — ein Mann namens Sylveste.«
»Kein sehr häufiger Name.«
»Dann wissen Sie, welches Ansehen sein Clan auf Yellowstone genießt. Gut. Das vereinfacht die Dinge ganz gewaltig. Sie werden ihn ohne Mühe finden.«
»Aber es ist nicht damit getan, dass ich ihn finde?«
»O nein«, sagte die Mademoiselle. Sie fing die Kugel mit der Hand ein und zerdrückte sie zwischen den Fingern, bis feiner Staub zu Boden rieselte. »Bei weitem nicht.«
Vier
Orbitalkarussell
New Brazilia, Yellowstone,
Epsilon Eridani
2546
Volyova verließ das Shuttle des Lichtschiffs und folgte Triumvir Hegazi in den Ausstiegstunnel. Durch ein verschlungenes System von Schleusen ging es ins Zentrum einer sphärischen Transit-Halle im Herzen des Karussells. Hier herrschte Schwerelosigkeit.
Jede menschliche Splittergruppe war hier vertreten; ein Rausch von bunten Farben, frei schwebend, überwältigend wie ein Schwarm tropischer Fische im Fressrausch: Ultras, Raumpiraten, Synthetiker, Demarchisten, einheimische Händler, interplanetare Reisende, Schmarotzer und Mechaniker kamen sich auf ihren scheinbar willkürlichen Bahnen oft bedrohlich nahe, ohne dass sich jemals ein Zusammenstoß ereignet hätte. Manche hatten sich — wenn ihr Körperbau es zuließ — transparente Flügel unter die Ärmel genäht oder direkt an der Haut befestigt. Weniger Abenteuerlustige begnügten sich mit kleinen Rucksackgeneratoren oder mieteten sich kleine Schlepper, um sich ziehen zu lassen. Servomaten mit Gepäck und zusammengefalteten Raumanzügen flogen durch die Menge, uniformierte Kapuzineräffchen mit Flügeln suchten nach Abfällen und stopften alles, was sie fanden, in Beutel, die sie sich um den Leib gebunden hatten. Von allen Seiten drang scheppernde chinesische Musik an Volyovas ungeschultes Ohr, als streiche der Wind durch ein dissonantes Windspiel. Tausende von Kilometern unter ihnen bildete Yellowstone eine unheilvolle gelbbraune Kulisse für das wilde Treiben.