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Und schließlich waren da noch die Synthetiker: Abkömmlinge einer Gruppe von Experimentatoren auf dem Mars, die ihren Verstand systematisch immer weiter entwickelt und so lange Zellen gegen Maschinen ausgetauscht hatten, bis es zu einer jähen, drastischen Wandlung kam. Sie hatten sich mit einem einzigen Schritt zu einer neuen Bewusstseinsebene — dem so genannten Transrationalismus — emporgeschwungen und dabei einen kurzen, aber brutalen Krieg heraufbeschworen. Die Synthetiker waren in jeder Menge leicht zu erkennen: vor kurzem hatten sie sich mit biotechnischen Verfahren wunderschöne große Schädelkämme angezüchtet, um über deren Adern die Abwärme der auf Hochtouren arbeitenden Maschinen in ihren Köpfen abzuleiten. In letzter Zeit sah man sie seltener und deshalb erregten sie umso mehr Aufmerksamkeit. Andere Gruppen — wie etwa die Demarchisten, die sich längst mit den Synthetikern verbündet hatten — litten darunter, dass nur die Synthetiker Triebwerke bauen konnten, die für die Lichtschiffe geeignet waren.

»Halt«, befahl Hegazi. Die Rikscha schoss an den Straßenrand und hielt vor einigen Mummelgreisen an, die an Klapptischen saßen und Karten oder Mah-Jongg spielten. Hegazi drückte dem Fahrer seinen Lohn in die fleischige Hand und trat hinter Volyova auf den Gehsteig. Sie standen vor einer Bar.

›Schieber und Weber‹, las Volyova auf einem holografischen Schild über der Tür. Es zeigte einen nackten Mann, der dem Meer entstieg, während im Hintergrund seltsame Phantasmagorien über den Wellen schwebten. Über ihm hing eine schwarze Kugel am Himmel. »Sieht ziemlich merkwürdig aus.«

»Es ist die Stammkneipe aller Ultras. Also gewöhnen Sie sich daran.«

»Schön, ich habe verstanden. Wenn ich recht überlege, gibt es eigentlich keine Ultra-Bar, in der ich mich wohl fühlen würde.«

»Das Lokal, in dem Sie sich wohl fühlen würden, müsste mit einem Navigationssystem und jeder Menge Zerstörungswaffen ausgerüstet sein, Ilia.«

»Das hört sich sehr vernünftig an.« Eine Gruppe von Jugendlichen drängte auf die Straße.

Sie waren schweißüberströmt und hatten sich Bier über die Kleidung geschüttet. Jedenfalls hoffte Volyova, dass es Bier war. Sie hatten Armdrücken gespielt: einer hielt eine Prothese in der Hand, die an der Schulter abgerissen war; ein anderer blätterte in einer Rolle Banknoten. Das war wohl der Gewinner. Sie trugen die gängigen Schlafzöpfe und die handelsüblichen Sternen-Tätowierungen und gaben Volyova das Gefühl, uralt zu sein. Das größte Problem, das diese Jugendlichen quälte, war wohl die Frage, woher sie den nächsten Drink und ein Bett zum Schlafen nehmen sollten. Hegazi sah sie warnend an — sein Anblick schüchterte sie sichtlich ein. Zwar hatten sie selbst chimärische Ambitionen, aber bei Hegazi war kaum noch auseinanderzuhalten, was an ihm mechanisch war und was nicht.

»Los!«, sagte er und drängte sich vorbei. »Zähne zusammenbeißen und lächeln, Ilia!«

Drinnen war es dunkel und verräuchert. Die laute Musik — hämmernde Burundi-Rhythmen, überlagert von Klängen, die an menschlichen Gesang erinnerten — zusammen mit den leichten Halluzinogenen im parfümierten Rauch machten Volyova im ersten Moment benommen. Dann deutete Hegazi auf einen Ecktisch, der wie durch ein Wunder frei war, und sie folgte ihm mit einem Minimum an Begeisterung.

»Sie werden sich doch setzen?«

»Was bleibt mir schon anderes übrig. Wir müssen den Eindruck erwecken, als könnten wir uns zumindest ertragen, sonst werden die Leute misstrauisch.«

Hegazi grinste und schüttelte den Kopf. »Irgendetwas an Ihnen muss mir doch sympathisch sein, Ilia, sonst hätte ich Sie schon vor Jahren getötet.«

Sie nahm Platz.

»Sagen Sie so etwas ja nicht, wenn Sajaki dabei ist. Drohungen gegen Angehörige des Triumvirats hört er gar nicht gern.«

»Nicht ich habe Schwierigkeiten mit Sajaki, falls Sie das vergessen haben sollten. Also, was möchten Sie trinken?«

»Etwas, das mein Verdauungssystem bewältigen kann.«

Hegazi bestellte verschiedene Getränke — seine Physiologie war darauf ausgelegt — und wartete, dass das Verteilersystem sie brachte.

»Die Sache mit Sudjic ärgert Sie noch immer, nicht wahr?«

»Keine Sorge«, sagte Volyova und verschränkte die Arme. »Mit Sudjic werde ich schon fertig. Außerdem bräuchte ich eine Menge Glück, um ihr auch nur ein Haar zu krümmen, bevor Sajaki sie erledigt.«

»Vielleicht lässt er Ihnen etwas übrig.« Die Getränke kamen in einer kleinen Plexiglaswolke mit Klappdeckel. Die Wolke hing an einem Wagen, der auf Schienen über die Decke entlang fuhr. »Glauben Sie, er könnte sie tatsächlich töten?«

Volyova nahm einen tiefen Zug. Es tat gut, nach der Rikschafahrt den Staub hinunterzuspülen. »Ich würde für Sajaki die Hand nicht ins Feuer legen. Er wäre imstande, uns alle zu töten.«

»Früher hatten Sie volles Vertrauen zu ihm. Was hat Sie veranlasst, Ihre Meinung zu ändern?«

»Sajaki ist nicht mehr derselbe, seit der Captain erneut erkrankt ist.« Sie sah sich nervös um, Sajaki konnte durchaus in Hörweite sein. »Wussten Sie eigentlich, dass sie vorher zusammen die Musterschieber besucht hatten?«

»Wollen Sie damit andeuten, die Schieber hätten sich an Sajakis Gehirn zu schaffen gemacht?«

Sie dachte an das Bild mit dem nackten Mann, der dem Schieber-Ozean entstieg. »Genau das pflegen die Schieber zu tun, Hegazi.«

»Aber nur mit Einwilligung der Betroffenen. Das würde ja heißen, dass Sajaki grausamer werden wollte.«

»Nicht nur grausamer. Zielbewusster. Die Sache mit dem Captain…« Sie schüttelte den Kopf. »Für mich bleibt sie ein Rätsel.«

»Haben Sie in letzter Zeit mit ihm gesprochen?«

Sie verstand, was er meinte. »Nein; ich glaube übrigens nicht, dass er den Mann gefunden hat, nach dem er sucht, aber das werden wir sicher bald erfahren.«

»Und wie steht es bei Ihnen?«

»Ich suche nicht nach einem bestimmten Individuum. Ich habe nur eine Bedingung: Ein neuer Kandidat sollte weniger verrückt sein als Boris Nagorny. Das dürfte nicht allzu schwierig sein.« Sie ließ den Blick über die Trinker in der Bar schweifen. Auf den ersten Blick schien kein ausgesprochener Psychopath darunter zu sein, aber auch niemand, der einen besonders stabilen und angepassten Eindruck machte. »Jedenfalls hoffe ich das.«

Hegazi nahm eine Zigarette und bot auch Volyova eine an. Sie nahm sie dankbar und zog fünf Minuten lang schweigend daran, bis das allerletzte Molekül in der heißen Asche glühte. Sie durfte nicht vergessen, bei diesem Aufenthalt ihren Zigarettenvorrat aufzufüllen. »Aber ich fange eben erst zu suchen an«, sagte sie. »Und ich muss behutsam vorgehen.«

»Sie meinen«, sagte Hegazi und lächelte wissend, »Sie wollen den Kandidaten vor der Einstellung nicht allzu genau erklären, was sie erwartet?«

Volyova grinste. »Natürlich nicht.«

Das Shuttle mit dem Saphirrumpf hatte keinen langen Flug hinter sich: es war nur vom Familien-Habitat der Sylvestes durch den Orbit gehüpft. Aber der Besuch war nicht leicht zu arrangieren gewesen. Calvin missbilligte ausdrücklich jeden Kontakt seines Sohnes zu dem Wesen, das jetzt im Institut untergebracht war, als befürchte er, dessen Geisteszustand könnte sich durch geheimnisvolle sympathetische Schwingungen auf Sylveste übertragen. Aber Sylveste war mit seinen einundzwanzig Jahren alt genug, selbst zu entscheiden, mit wem er verkehrte. Ob Calvin sich erhängte oder sich bei dem wahnwitzigen Experiment, dem er sich und seine neunundsiebzig Jünger unterziehen wollte, das Gehirn verschmorte… Sylveste würde sich jedenfalls nicht vorschreiben lassen, mit wem er sich treffen durfte.