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Khouri überlief ein Schauer, als ihr klar wurde, dass die Frau keine Implantate hatte und tatsächlich mit den Fingern kommunizierte.

»Schnallen Sie sich an«, sagte Volyova. »Um Yellowstone fliegt so viel Schrott herum, dass wir wahrscheinlich ein paar g auffahren müssen, um rauszukommen.«

Khouri gehorchte. Die nächsten Minuten waren nicht angenehm, dennoch fand sie hier seit Tagen zum ersten Mal Gelegenheit, sich zu entspannen. Seit ihrer Reanimation hatten sich die Ereignisse überschlagen. Während sie in Chasm City schlief, hatte die Mademoiselle auf ein Schiff gewartet, das nach Resurgam weiterflog, und da Resurgam im unsteten Netz interstellarer Handelsbeziehungen nur eine sehr untergeordnete Rolle spielte, hatte sie lange warten müssen. Ein Lichtschiff war schwer zu bekommen. Sie befanden sich alle seit Jahrhunderten in Privatbesitz. Auch die mächtigste Einzelperson konnte keines mehr erwerben. Die Synthetiker stellten keine Antriebe mehr her, und wer bereits ein Schiff besaß, dachte nicht daran, es zu verkaufen.

Khouri wusste, dass weder die Mademoiselle noch Volyova nur passiv gewartet hatten, ohne selbst tätig zu werden. Volyova hatte — laut der Mademoiselle — in Yellowstones Datennetze ein Suchprogramm eingespeist, einen so genannten Bluthund. Kein Mensch, nicht einmal ein computergesteuerter Monitor hätte seine raffinierte Schnüffelei entdecken können. Aber die Mademoiselle war offenbar weder das eine noch das andere, und so hatte sie den Hund gespürt wie ein Wasserläufer, der noch das leiseste Zittern unter seinen Füßen wahrnimmt.

Und sie hatte geschickt reagiert.

Sie pfiff dem Bluthund, bis er auf sie zugesprungen kam. Dann brach sie ihm ganz lässig den Hals, aber erst, nachdem sie ihn aufgeschnitten und die Informationen in seinen Eingeweiden überprüft hatte, um zu sehen, worauf er angesetzt war. Sie kam zu dem Ergebnis, dass der Hund angeblich geheime Informationen über Personen mit Stasiserfahrung finden sollte. Das war für eine Gruppe Ultras, die nach einem neuen Besatzungsmitglied suchte, um eine Lücke in ihren Reihen zu füllen, soweit normal. Doch da war noch etwas. Eine Besonderheit, die die Mademoiselle stutzig machte.

Warum suchten sie jemanden, der im Militärdienst gewesen war?

Vielleicht waren sie auf Disziplin versessen: professionelle Händler, die eine Stufe über dem normalen Spiel von Angebot und Nachfrage agierten, Spezialisten, die sich ohne Rücksicht auf Verluste mit fragwürdigen Methoden die Informationen beschafften, die sie brauchten. Leute, die sich auch von Reisen zu Provinzkolonien wie Resurgam nicht abschrecken ließen, wenn sie dort, wenn auch vielleicht erst in Jahrhunderten, satte Gewinne witterten. Wahrscheinlich herrschte bei ihnen eine eher militärisch straffe Organisation und keine Quasi-Anarchie wie auf den meisten Handelsschiffen. Wenn sie also Wert auf militärische Erfahrung legten, wollten sie wohl nur sicherstellen, dass der Kandidat auch zu ihnen passte.

Natürlich, das war des Rätsels Lösung.

Bislang war alles gut gegangen, auch wenn Volyova seltsamerweise geschwiegen hatte, als Khouri vorgab, über das neue Ziel des Schiffes nicht informiert zu sein. Khouri hatte natürlich die ganze Zeit gewusst, dass das Schiff Resurgam anfliegen wollte — aber wenn sie den Ultras gestanden hätte, dass die Provinzkolonie in Wirklichkeit auch ihr Ziel war, hätte sie das mit einer ihrer Tarngeschichten erklären müssen. Hätte Volyova sie verbessert, dann hätte sie sofort eine dieser Geschichten aus dem Ärmel gezogen — aber Volyova hatte kein Wort gesagt. Offenbar wollte sie ihr neues Besatzungsmitglied in dem Glauben belassen, die Reise ginge nach Sky’s Edge.

Das mochte tatsächlich sonderbar sein, ließ sich aber erklären, wenn man davon ausging, dass sie inzwischen verzweifelt genug waren, um jeden anzuheuern, der sich meldete. Ein Zeichen von Aufrichtigkeit war es gerade nicht, andererseits blieb Khouri auf diese Weise eine Lüge erspart. Sie beschloss, sich darüber nicht weiter den Kopf zu zerbrechen. Im Grunde wäre alles in bester Ordnung gewesen — bis auf das Implantat, das ihr die Mademoiselle in den Schädel gepflanzt hatte, während sie schlief. Es war winzig klein und so gebaut, dass es wie ein gewöhnlicher Entoptik-Verstärker aussah und auch so funktionierte. Die Ultras sollten keinen Verdacht schöpfen. Und falls sie zu neugierig wurden und das verdammte Ding entfernten, würden sich alle belastenden Teile selbsttätig löschen oder umstrukturieren. Darum ging es also nicht. Das Implantat störte Khouri nicht, weil es riskant oder überflüssig gewesen wäre, sondern weil die Mademoiselle die letzte Person war, die sie tagtäglich in ihrem Kopf haben wollte. Natürlich handelte es sich nur um eine Beta-Simulation, eine Persönlichkeitskopie. Das Implantat projizierte ein Bild der Mademoiselle in Khouris Blickfeld und stimulierte ihr Hörzentrum, so dass sie auch die Stimme des Geistes hören konnte. Für alle anderen waren die Erscheinungen unsichtbar, und die Verständigung ging lautlos vonstatten.

»Sagen wir, ich will alles wissen«, hatte der Geist erklärt. »Ihnen als ehemaligem Soldaten sollte dieser Wunsch nicht fremd sein.«

Khouri ergab sich in ihr Schicksal. »Ich kann ihn verstehen. Die Sache stinkt zum Himmel, aber ich nehme nicht an, dass Sie mir das verdammte Ding nur deshalb wieder herausnehmen werden, weil ich es nicht mag.«

Die Mademoiselle lächelte. »Ich möchte Sie im Moment nicht mit allzu viel Wissen belasten, um die Gefahr von unbedachten Äußerungen in Gegenwart der Ultras möglichst gering zu halten.«

»Moment mal«, sagte Khouri. »Ich weiß bereits, dass ich Sylveste töten soll. Was könnte es sonst noch für Geheimnisse geben?«

Wieder zeigte die Mademoiselle dieses aufreizende Lächeln. Wie viele Beta-Sims verfügte sie nur über eine beschränkte Auswahl an mimischen Variationen, so dass sie sich wie ein schlechter Schauspieler ständig wiederholte.

»Ich fürchte«, sagte sie, »Sie kennen noch nicht einmal einen Bruchteil der Geschichte. Was Sie wissen, ist nicht mehr als ein winziger Splitter.«

Als Pascale kam, studierte Sylveste ganz bewusst ihre Gesichtszüge und verglich sie im Geiste mit denen von Nils Girardieu. Wie üblich setzte ihm sein Sehvermögen dabei enge Grenzen. Seine Augen hatten Schwierigkeiten, gewölbte Flächen zu erfassen, und neigten dazu, die sanften Rundungen eines menschlichen Gesichts scharfkantig abzustufen.

Calvins Behauptung war nicht so ohne weiteres zu widerlegen. Zwar hatte Pascale glattes Haar von biblischem Schwarz, Girardieu dagegen rote Locken. Aber der Knochenbau wies Übereinstimmungen auf, die über eine zufällige Ähnlichkeit hinausgingen. Ohne Calvins Hinweis wäre Sylveste vielleicht nie darauf gekommen… aber nun hatte er Verdacht geschöpft und dieser Verdacht erklärte nur allzu viel.

»Warum haben Sie mich belogen?«, fragte er.

Sie schien aufrichtig erschrocken. »Inwiefern?«

»In allem. Angefangen mit Ihrem Vater.«

»Mein Vater?« Sie war kleinlaut geworden. »Aha. Sie wissen also Bescheid.«

Er presste die Lippen zusammen und nickte. Dann: »Das war eines der Risiken einer Zusammenarbeit mit Calvin. Er ist sehr klug.«