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Pascale begrüßte ihn mit einem Kuss, schirmte aber die Berührung ihrer Lippen taktvoll mit ihrem Spitzenhandschuh ab.

»Keine Fragen«, flüsterte sie so leise, dass die Worte fast im Lärm der Menge untergingen. »Ich weiß ebenso wenig wie du, was du hier sollst.«

»Steckt Nils dahinter?«

»Wer sonst? Nur er hat die Macht, dich für mehr als einen Tag herauszuholen.«

»Schade, dass er nicht so scharf darauf ist, mich an der Rückkehr zu hindern.«

»Ach, wer weiß — aber er muss seine eigenen Leute und die Opposition beschwichtigen. Du solltest wirklich langsam aufhören, ihn als deinen ärgsten Feind zu betrachten.« Sie stiegen in den wartenden Wagen. Hier herrschte tiefe Stille. Der Wagen war ursprünglich eines der kleineren Erkundungsfahrzeuge gewesen. Vier Ballonreifen trugen den windschnittigen Rumpf, die Funkanlage war in einem mattschwarzen Höcker auf dem Dach untergebracht. Die Karosserie war im Violett der Fluter lackiert, und vorne flatterten zwei Wimpel mit Hokusai-Wellen.

»Wenn mein Vater nicht gewesen wäre«, fuhr Pascale fort, »hättest du den Umsturz nicht überlebt. Er hat dich vor deinen schlimmsten Gegnern beschützt.«

»Das macht ihn nicht gerade zu einem fähigen Revolutionär.«

»Und was besagt es über das Regime, das er stürzen konnte?«

Sylveste zuckte die Achseln. »Der Punkt geht wohl an dich.«

Ein Soldat kletterte auf den Vordersitz hinter der Panzerglaswand, der Wagen setzte sich in Bewegung und raste durch die Menge auf den Stadtrand zu. Sie durchquerten eine Baumschule und fuhren auf einer der Rampen am Kuppelrand in die Tiefe. Zwei weitere Regierungsfahrzeuge begleiteten sie, ebenfalls ehemalige Erkundungswagen, aber schwarz lackiert und mit maskierten Milizsoldaten mit geschulterten Gewehren auf den Beifahrersitzen. Nachdem der Konvoi etwa einen Kilometer weit durch einen unbeleuchteten Tunnel gefahren war, erreichte er eine Luftschleuse und hielt an. Die atembare Stadtluft wurde durch Resurgams Atmosphäre ersetzt. Die Soldaten zogen sich Atemmasken und Schutzbrillen über das Gesicht, ohne ihre Plätze zu verlassen. Dann fuhren die Wagen wieder an und kehrten an die Oberfläche zurück. Graues Tageslicht empfing sie. Sie waren von Betonmauern umgeben und fuhren über eine breite, von grünen und roten Lichtern begrenzte Bahn.

Auf dem Vorfeld erwartete sie ein Flugzeug mit ausgefahrenem Fahrgestell. Die Flügelunterseiten leuchteten unangenehm grell, sie hatten bereits begonnen, die angrenzenden Luftschichten zu ionisieren. Der Fahrer griff in ein Fach am Armaturenbrett, holte Atemmasken heraus, reichte sie durch das Schutzgitter nach hinten und bedeutete seinen Fahrgästen, sie über das Gesicht zu ziehen.

»Sie müssen nicht«, sagte er. »Der Sauerstoffgehalt ist um zweihundert Prozent gestiegen, seit Sie Resurgam City zum letzten Mal verlassen haben, Dr. Sylveste. Einige Leute haben bis zu einer halben Stunde ohne Maske geatmet, ohne dauernde Schäden davonzutragen.«

»Das müssen die Dissidenten sein, von denen ich ständig höre«, sagte Sylveste. »Die Renegaten, die von Girardieu während des Umsturzes verraten wurden und angeblich Kontakte zu den Anführern des Wahren Weges in Cuvier pflegen. Ich beneide sie nicht. Der Staub muss ihnen doch nicht nur die Lungen, sondern auch den Verstand verstopfen.«

Der Soldat blieb ungerührt. »Die Staubpartikel werden mit Enzymen ausgespült. Ein altes biotechnisches Verfahren vom Mars. Wie auch immer, die Staubdichte ist gesunken. Wir haben so viel Feuchtigkeit in die Atmosphäre gepumpt, dass die Staubteilchen zusammenkleben und vom Wind nicht mehr so leicht davongetragen werden können.«

»Ausgezeichnet«, lobte Sylveste. »Leider ist und bleibt Resurgam ein elendes Dreckloch.«

Er zog sich die Maske über und wartete, bis die Tür geöffnet wurde. Draußen wehte ein mäßig starker Wind, der nur leicht auf der Haut brannte.

Sie rannten über das Vorfeld.

Das geräumige Flugzeug war eine Oase der Stille. Der prunkvolle Innenraum war in Violett gehalten, der Farbe der Regierung. Die Insassen der anderen Fahrzeuge kamen durch eine zweite Tür an Bord. Sylveste sah, wie Nils Girardieu das Vorfeld überquerte. Er bewegte sich mit wiegenden Schritten, die gleich unter den Schultern ansetzten, als würde ein Stechzirkel Spitze für Spitze über ein Zeichenbrett geführt, und strahlte so viel geballte Kraft aus wie ein auf Menschengröße verpresster Gletscher. Dann war der Führer der Kolonie verschwunden, und wenige Minuten später entstand um den Rand des nächstgelegenen Flügels ein violetter Strahlenkranz aus angeregten Ionen. Das Flugzeug hob ab.

Sylveste schuf sich ein Fenster in der Flugzeugwand und beobachtete, wie Cuvier — oder Resurgam City, wie es inzwischen genannt wurde — unter ihm immer kleiner wurde. Zum ersten Mal seit dem Umsturz, bei dem man auch den französischen Naturalisten Cuvier von seinem Sockel gestürzt hatte, sah er die Stadt als Ganzes. Die alte koloniale Schlichtheit war dahin. Ein schmutziger Schaumrand aus menschlichen Wohnsiedlungen quoll über den Kuppelrand hinaus; luftdichte Gebäude, verbunden durch überdachte Straßen und Fußwege. In einiger Entfernung waren viele kleinere Kuppeln entstanden, unter denen smaragdgrüne Plantagen hervorleuchteten. Weit außerhalb lagen sogar unter freiem Himmel etliche scharf rechtwinklige Felder mit Versuchsorganismen, die nur darauf warteten, auf die Welt losgelassen zu werden.

Das Flugzeug drehte eine Runde über der Stadt, dann nahm es Kurs nach Norden. Ein Netz von Schluchten entrollte sich unter ihnen. Gelegentlich überflogen sie eine kleine Siedlung, normalerweise nur eine undurchsichtige Kuppel oder eine stromlinienförmige Baracke, die für einen Moment im Schein der Flügel aufleuchtete. Zumeist sahen sie nur eine endlose Wildnis ohne Straßen, Rohre oder Stromleitungen.

Sylveste nickte immer wieder ein, während unten tropische Wüsten, Eisfelder und importierte Tundraflächen vorbeizogen. Irgendwann stieg eine Siedlung über den Horizont, und das Flugzeug setzte in trägen Spiralen zur Landung an. Sylveste verschob sein Fenster, um besser sehen zu können.

»Die Gegend kenne ich. Dort haben wir den Obelisken gefunden.«

»Richtig«, sagte Pascale.

Das felsige Gelände war kaum bewachsen. Am Horizont ragten mächtige Gewölberuinen und spektakuläre Felssäulen auf. Alles schien unmittelbar vor dem Zusammenbruch zu stehen. Es gab kaum ebene Stellen, das Gebiet war von tiefen Falten durchzogen wie ein ungemachtes steinernes Bett. Sie überflogen einen ausgehärteten Lavastrom und landeten auf einem sechseckigen Feld inmitten von Gebäuden aus Eisenbeton. Obwohl es erst Mittag war, dämpfte der Staub in der Luft das Sonnenlicht so stark, dass man den Landeplatz mit Scheinwerfern beleuchten musste. Milizsoldaten kamen ihnen entgegengelaufen. Sie hielten sich die Hände vor die Augen, um nicht vom grellen Schein an der Unterseite der Flügel geblendet zu werden.

Sylveste griff nach seiner Maske, sah sie verächtlich an und ließ sie auf dem Sitz liegen. Die paar Schritte bis zum Gebäude würde er auch ohne Hilfe schaffen, und wenn er Schwierigkeiten hatte, ging das niemanden etwas an.

Die Miliz geleitete sie in die Baracke. Sylveste war Girardieu seit Jahren nicht mehr so nahe gewesen. Erschrocken stellte er fest, wie klein ihm sein Gegner inzwischen erschien. Girardieu war so gedrungen wie Schürfbagger. Man traute ihm zu, sich durch massiven Basalt zu fressen. Sein rotes Haar war kurz und borstig und zeigte bereits weiße Fäden. Er schaute mit großen Augen so fragend in die Welt wie ein verschreckter Pekinesenwelpe.

»Was für ein ungewöhnliches Bündnis«, sagte er, nachdem einer der Soldaten die Tür hinter ihnen geschlossen hatte. »Wer hätte gedacht, dass wir beide einmal so viel gemeinsam haben könnten.«

»Es ist weniger, als Sie vielleicht denken«, wehrte Sylveste ab.

Girardieu führte die Gruppe durch einen Stollen mit vielen Verstrebungen. Zu beiden Seiten standen ausrangierte und bis zur Unkenntlichkeit verdreckte Maschinen. »Sie fragen sich sicher, was das alles soll.«