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»Es erklärt immerhin, warum sie Wert auf militärische Erfahrungen legte.«

»Und wenn ich mich weigere, bei ihren Plänen mitzumachen?«

»Das würde sie wohl kaum stören.« Die Mademoiselle blieb stehen und wählte aus ihrem mimischen Sortiment eine sachlich-neutrale Miene. »Es sind nämlich Ultras. Ultras haben Zugang zu Techniken, die auf Kolonialwelten verboten sind.«

»Zum Beispiel?«

»Gewisse Verfahren zur Manipulation von Loyalität könnten dazu gehören.«

»Wie schön, dass ich diese wichtige Information so früh bekomme, vielen Dank.«

»Keine Sorge — diese Möglichkeit hatte ich immer berücksichtigt.« Die Mademoiselle hielt inne und fasste sich an den Kopf. »Ich habe entsprechende Vorkehrungen getroffen.«

»Darüber bin ich sehr erleichtert.«

»Das Implantat, das ich Ihnen eingesetzt habe, kann Antigene gegen neurale Nanomaschinen erzeugen. Außerdem strahlt es unterschwellige Verstärkungsbotschaften in Ihr Unterbewusstsein ab. Damit wird Volyovas Loyalitätstherapie vollständig neutralisiert.«

»Und warum haben Sie mir dann überhaupt davon erzählt?«

»Weil Sie, mein liebes Kind, Volyova überzeugen müssen, dass ihre Behandlung wirkt, wenn sie erst einmal damit angefangen hat.«

Die Fahrt dauerte nur wenige Minuten, Luftdruck und Temperatur wurden auf Oberflächenwerten gehalten. Der Schacht, in dem die Kabine fuhr, war zehn Meter breit und hatte Wände aus Diamant. Gelegentlich passierten sie Nischen, Fächer zur Aufbewahrung von Werkzeug, kleine Baubuden oder Ausweichstellen, wo zwei Kabinen aneinander vorbeifahren konnten, bevor sie ihren Weg fortsetzten. Der Diamant wurde von Servomaten bearbeitet, die aus ihren Spinndüsen Fäden von der Dicke eines Atoms pressten. Diese Fäden legten sich, geführt von proteingroßen Molekularmaschinen genau an den richtigen Platz. Wenn man durch die Glasdecke der Kabine schaute, schien der trübe Schacht kein Ende zu nehmen.

»Warum haben Sie mir nichts von dem Fund erzählt?«, fragte Sylveste. »Sie sind doch schon seit Monaten hier.«

»Sagen wir einfach, Ihr Beitrag war nicht unverzichtbar«, versetzte Girardieu und fügte dann hinzu: »Das heißt, bis jetzt.«

Am Grund des Schachts angelangt, verließen sie den Fahrstuhl und betraten wieder einen Gang. Der war mit Silber verkleidet und wirkte sauberer und kühler als der am oberen Ende. Durch Fenster an der Längsseite konnte man in eine Höhle von ungeheurer Größe sehen, die voll war mit geodätischen Gerüsten und Werksgebäuden. Sylvestes Augen konnten jedes Bild festhalten, aufbereiten und zehn Schritte später vergrößern. Im Geiste sagte er Calvin widerwillig Dank.

Was er sah, ließ sein Herz höher schlagen.

Jetzt passierten sie eine gepanzerte Doppeltür, die von entoptischen Figuren — züngelnden Schlangen, die die Gruppe drohend anzischten — bewacht wurde, und traten in einen Vorraum. Am gegenüberliegenden Ende befand sich eine zweite, von Soldaten flankierte Tür. Girardieu winkte die Wachen beiseite, dann wandte er sich an Sylveste. Sein Pekinesengesicht mit den runden Augen erinnerte plötzlich an das Bild eines Feuer speienden japanischen Teufels.

»An diesem Punkt«, sagte Girardieu, »verlangen die Besucher entweder ihr Geld zurück oder sie verharren in andächtigem Schweigen.«

»Ich lasse mich gern beeindrucken«, scherzte Sylveste so lässig, wie er nur konnte. Aber sein Puls raste und innerlich fieberte er vor Aufregung.

Girardieu öffnete die rückwärtigen Türen. Sie betraten einen Raum, der etwa halb so groß war wie der Frachtaufzug. Er war leer, nur in die Wand war eine Reihe von einfachen Schreibpulten eingelassen. Auf einem lag ein Kopfhörer mit Rundum-Mikrofon neben einem Notepad, auf dessen Bildschirm fein gestrichelte technische Zeichnungen zu sehen waren. Die Wände waren nach außen geneigt, so dass die Deckenfläche größer war als der Fußboden. Dadurch und durch die riesigen Glasfenster auf drei Seiten kam sich Sylveste vor wie in der Gondel eines Luftschiffs, das unter einem Sternenlosen Nachthimmel über einem unbekannten Ozean schwebte.

Girardieu löschte das Licht, so dass sie sehen konnten, was hinter dem Glas lag.

An der Decke des Nebenraums waren Scheinwerfer mit langen, geschwungenen Armen befestigt. Sie beleuchteten ein Amarantin-Artefakt, das aus der nahezu glatten Höhlenwand hervortrat, eine tiefschwarze, von Montagetürmen und geodätischen Gerüsten umgebene Halbkugel. Noch hafteten raue Magmaklumpen an der Oberfläche, doch wo man sie bereits weggeschlagen hatte, war der Untergrund über weite Flächen so glatt und schwarz wie Obsidian. Die Grundform war eine Kugel von mindestens vierhundert Metern Durchmesser, die allerdings noch mehr als zur Hälfte im Boden steckte.

»Wissen Sie, wer das gemacht hat?«, flüsterte Girardieu endlich und fuhr fort, ohne eine Antwort abzuwarten. »Es ist älter als die menschliche Sprache, aber mein Ehering hat mehr Kratzer.«

Girardieu führte die Gruppe zum Fahrstuhl zurück, denn die Baustelle auf dem Boden der Höhle lag noch etwas tiefer. Die Fahrt dauerte höchstens dreißig Sekunden, aber für Sylveste verging sie so quälend langsam wie eine homerische Odyssee. Das Artefakt war sozusagen seine ganz persönliche Belohnung; so schwer verdient, als hätte er es eigenhändig mit blutigen Fingern aus der Erde gescharrt. Dann stand er endlich davor und über ihm ragte die felsverkrustete Wölbung frei in die Luft. Eine flache Vertiefung lief schräg um das ganze Artefakt. Von da, wo er stand, wirkte sie nur wie ein Haarriss, aber in Wirklichkeit war sie etwa einen Meter breit und wahrscheinlich ebenso tief.

Girardieu führte sie ins Innere des nächsten Keils: eine Betonkonstruktion mit eigenen Räumen und Arbeitsbereichen, die direkt an das Objekt angebaut war. Von dort fuhren sie mit einem weiteren Fahrstuhl in das Gerüstlabyrinth hinauf, das aus dem Gebäude hervorspross. Sylveste spürte ein Kribbeln im Magen, eine Mischung aus Klaustro- und Agoraphobie. Einerseits fürchtete er, von den Megatonnen von Gestein Hunderte von Metern über seinem Kopf erdrückt zu werden, andererseits schüttelte ihn auf dem himmelhohen Gerüst an der Seite des Objekts die Höhenangst.

Kleine Baracken und Werkzeugschuppen schwebten im geodätischen Tragwerk. Vor einer dieser Buden hielt der Fahrstuhl an. Sie stiegen aus und betraten Räume, die noch spüren ließen, welch reges Treiben bis vor kurzem hier geherrscht hatte. Alle Warnsignale und Notizen waren aufgeklebt oder aufgemalt, für Entoptik-Generatoren waren die Einrichtungen noch zu behelfsmäßig.

Sie überquerten eine schwankende Trägerbrücke, die sich durch einen Wirrwarr von Gerüsten der schwarzen Hülle des Amarantin-Artefakts entgegenstreckte. Jetzt befanden sie sich etwa in der Mitte, auf gleicher Höhe mit der Rinne. Die Kugelform des Objekts war aus dieser geringen Entfernung nicht mehr zu erkennen. Es erschien wie eine einzige schwarze Wand, die ihnen den Weg versperrte. Genau so riesig und ohne Tiefe war Sylveste auch Lascailles Schleier erschienen, nachdem er Spindrift verlassen hatte. Sie gingen auf der Brücke weiter und betraten die Rinne.

Der Weg bog sofort nach rechts ab. Auf drei Seiten — links, oben und unten — waren sie von den unheimlich glatten, schwarzen Wänden umgeben. Unter den Füßen hatten sie einen Gittersteg, der mit Saugfüßen am Boden befestigt war. Das fremde Material war so glatt, dass man darauf kaum Halt gefunden hätte. Rechts befand sich ein hüfthohes Schutzgeländer, und dahinter ging es mehrere hundert Meter weit ins Nichts. An der Innenwand waren in Abständen von fünf bis sechs Metern mit Epoxidpunkten Lampen befestigt und etwa alle zwanzig Meter tauchte eine Tafel mit rätselhaften Symbolen auf.

Nachdem sie drei bis vier Minuten lang die steile Rinne hinaufgestiegen waren, blieb Girardieu stehen. Vor ihnen befand sich ein Knotenpunkt, ein heilloses Gewirr aus Stromleitungen, Lampen und Kommunikationsschaltpulten. Die linke Wand der Vertiefung wich hier nach innen zurück.

»Wir haben Wochen gebraucht, um den Eingang zu finden«, erklärte Girardieu. »Ursprünglich war die ganze Rinne mit Basalt verschüttet. Erst nachdem wir alles herausgeschlagen hatten, stellten wir fest, dass dies die einzige Stelle war, wo sich der Basalt nach innen fortsetzte, als blockiere er dort einen Stichtunnel, der in die Rinne mündete.«