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»Wie man sieht, waren Sie fleißig wie die Biber.«

»Das Graben war Schwerarbeit«, bestätigte Girardieu mit einem Nicken. »Die Rinne war vergleichsweise leicht freizulegen, aber hier hatten wir nur ein kleines Loch, durch das wir nicht nur bohren, sondern auch den Abraum wegschaffen mussten. Einige von uns wollten mit Boser-Brennern Nebengänge bohren, um sich die Arbeit zu erleichtern, aber so weit sind wir nie gegangen. Und mit unseren Mineralbohrern war dem Zeug nicht beizukommen.«

Sylvestes wissenschaftliches Interesse erwies sich als stärker als der Wunsch, sich über Girardieus rührende Versuche, ihn zu beeindrucken, lustig zu machen. »Wissen Sie, was für ein Material das ist?«

»Im Grunde nichts anderes als Kohlenstoff vermischt mit Eisen und Niobium und einigen seltenen Metallen in Spurenelementen. Aber die Struktur ist uns unbekannt. Es handelt sich nicht einfach um ein Diamant-Allotrop, das wir noch nicht entdeckt haben, auch nicht um Hyperdiamant. Die obersten Zehntelmillimeter haben vielleicht einige Ähnlichkeit mit Diamant, aber weiter unten durchläuft das Zeug eine komplexe Gittertransformation. Die endgültige Form — in viel größerer Tiefe, als wir bisher unsere Proben entnommen hatten — ist womöglich gar kein echter Kristall. Es könnte sein, dass das Gitter in Trillionen von Makromolekülen mit hohem Kohlenstoffanteil zerfällt, die zu einer koaktiven Masse zusammengeschlossen sind. Manchmal scheinen sich diese Moleküle an defekten Gitterstrukturen zur Oberfläche vorzuarbeiten und nur in diesem Fall bekommen wir sie überhaupt zu sehen.«

»Das klingt ja fast nach einer zielgerichteten Bewegung.«

»Könnte schon sein. Vielleicht sind die Moleküle so etwas wie kleine Enzyme, die dafür ausgerüstet sind, die Diamantkruste zu reparieren, wenn sie beschädigt wurde.« Er zuckte die Achseln. »Aber wir konnten noch keines dieser Makromoleküle isolieren, wenigstens nicht in stabiler Form. Sobald man sie aus dem Gitter entfernt, geht die Kohärenz verloren. Sie fallen auseinander, bevor wir ins Innere schauen können.«

»Was Sie da beschreiben«, sagte Sylveste, »klingt verdächtig nach einer Form von Molekulartechnik.«

Girardieu lächelte, wie um zu zeigen, dass er bereit war, das Versteckspiel mitzumachen.

»Aber wir wissen natürlich, dass die Amarantin dafür viel zu primitiv waren.«

»Natürlich.«

»Natürlich.« Wieder lächelte Girardieu, aber diesmal bezog er die ganze Gruppe mit ein. »Wollen wir den Vorstoß nach innen wagen?«

Das Tunnelsystem, das von der Rinne ins Innere führte, war unübersichtlicher, als Sylveste zunächst gedacht hatte. Er war davon ausgegangen, dass der Stichtunnel die Außenhülle durchstoßen und in einem Hohlraum im Zentrum enden würde. Aber das war ein Irrtum. Das ganze Artefakt war ein einziges Labyrinth. Etwa zehn Meter weit führte der Tunnel tatsächlich auf den Mittelpunkt zu, doch dann machte er eine Biegung nach links und zerfiel bald in unzählige Äste. Die einzelnen Wege waren mit farbigen Klebeetiketten gekennzeichnet, aber der Farbcode war so kompliziert, dass Sylveste nicht viel damit anfangen konnte. Schon nach fünf Minuten war er völlig verwirrt, obwohl er den Verdacht hatte, dass sie noch nicht sehr weit vorgedrungen waren. Das Tunnelsystem kam ihm vor wie das Werk einer Made, die so verrückt war, sich nur mit der Schicht des Apfels direkt unter der Schale zu begnügen. Doch dann durchquerten sie einen regelrechten Riss in der Struktur, und Girardieu erklärte, das Artefakt bestehe aus einer Reihe von konzentrischen Schalen. Während sie sich durch das nächste verwirrende Tunnelsystem kämpften, unterhielt er sie mit zweifelhaften Anekdoten über die ersten Erkundungsexpeditionen.

Bekannt war das Objekt seit zwei Jahren — seit Sylveste Pascale darauf aufmerksam gemacht hatte, dass der Obelisk seltsamerweise erst nach dem Ereignis vergraben worden war. Die Freilegung der Höhle hatte fast die ganze Zeit in Anspruch genommen, zu genaueren Untersuchungen des Labyrinths im Innern war man erst in den letzten Monaten gekommen. Ganz zu Anfang hatte es einige Todesfälle gegeben. Die Umstände waren, wie sich mit der Zeit herausstellte, nicht weiter mysteriös. Etliche Teams hatten sich in unmarkierten Bereichen des Tunnelsystems verirrt und waren da, wo noch keine Schutzgitter angebracht waren, in senkrechte Schächte gestürzt. Eine Arbeiterin war verhungert, als sie sich zu weit vorwagte, ohne eine Brotkrumenspur zu hinterlassen — zwei Monate nach ihrem Verschwinden wurde sie von Servomaten gefunden. Sie war, manchmal nur Minuten von den sicheren Zonen entfernt, im Kreis herumgelaufen.

Als sie die letzte der konzentrischen Schalen erreichten, gingen sie langsamer und registrierten alles genauer als vorher. Der Tunnel führte steil abwärts und lief schließlich horizontal aus. Am Ende dieses Abschnitts sahen sie milchig-trübes Licht schimmern.

Girardieu sprach in seinen Ärmel, und das Licht wurde schwächer.

Im Halbdunkel gingen sie weiter. Das Echo ihrer Atemzüge wurde allmählich schwächer — der enge Gang weitete sich. Jetzt war nur noch das mühsame Schnarren der Luftpumpen zu hören.

»Achtung«, sagte Girardieu. »Jetzt kommt es.«

Das Licht ging wieder an, und Sylveste wappnete sich gegen die unvermeidliche Desorientierung. Diesmal nahm er Girardieu seinen Hang zur Theatralik nicht übel, denn er erlaubte ihm, in der Vorstellung zu schwelgen, er würde den Fund noch einmal entdecken. Natürlich war das Ersatzbefriedigung, aber das wusste nur er. Er missgönnte den anderen ihren Triumph nicht. Das wäre kleinlich gewesen, denn schließlich würden sie nie erleben, wie wahre Entdeckerfreude sich anfühlte. Er wollte sie schon fast bedauern, doch in diesem Moment enthüllten die aufflammenden Lichter einen Anblick, der jeden normalen Gedanken auslöschte. Sie standen in einer Alien-Stadt.

Sechs

Unterwegs nach Delta Pavonis

2546

»Ich nehme an«, sagte Volyova, »dass Sie zu den rational denkenden Menschen gehören, die stolz darauf sind, nicht an Gespenster zu glauben.«

Khouri runzelte leicht die Stirn. Volyova hatte von Anfang an gewusst, dass die Frau nicht dumm war, trotzdem fand sie es interessant zu beobachten, wie sie auf diese Frage reagierte.

»Gespenster, Triumvir? Das kann nicht Ihr Ernst sein.«

»Eines werden Sie sehr schnell lernen müssen«, sagte Volyova. »Ich sage nur sehr selten etwas, das ich nicht völlig ernst meine.« Dann wies sie auf die Tür, durch die sie gekommen waren. Es war eine schwere Tür und sie war ganz unauffällig in eine der rostroten Innenwände des Schiffes eingelassen. Hinter mehreren Rost- und Fleckschichten war die stilisierte Zeichnung einer Spinne zu erkennen. »Nur zu. Ich bin direkt hinter Ihnen.«

Khouri gehorchte; ohne zu zögern. Volyova war zufrieden. In den drei Wochen, seit sie die Frau geshanghait — oder angeheuert hatte, um es weniger drastisch auszudrücken —, hatte Volyova ein ganzes Bündel von komplexen Maßnahmen zur Loyalitätsveränderung eingeleitet. Nun war die Behandlung fast abgeschlossen und musste nur immer wieder mit zusätzlichen Eingriffen ergänzt werden. Bald war die Loyalität der Frau so weit gefestigt, dass sie über bloßen Gehorsam hinausging und zu einem inneren Zwang wurde, einem Gesetz des Handelns, dem sie sich ebenso wenig entziehen konnte wie ein Fisch aufhören konnte, im Wasser zu atmen. Im Extremfall würde Khouri sich nicht nur wünschen, dem Willen der Besatzung zu gehorchen, sondern sie würde ihr auch noch dankbar sein, weil sie ihr Gelegenheit dazu gab. Aber Volyova hoffte, dass sie nicht so weit zu gehen brauchte. Sie wollte aufhören, bevor die Programmierung diese Schichten erreichte. Nach ihren wenig erfolgreichen Experimenten mit Nagorny würde sie sich hüten, noch ein Meerschweinchen zu züchten, das keine Fragen stellte. Sie hätte nichts dagegen, wenn Khouri eine Spur von Auflehnung behielte.