Выбрать главу

Ein paar Mal hatte man sie sogar eingesetzt. Jedenfalls hatte Volyova so etwas angedeutet — vielleicht bei Piratenüberfällen. Es gab genügend dünn besiedelte Systeme, die nur lose mit den Handelsnetzen verbunden waren und wo man ohne weiteres einen Feind ausrotten konnte, ohne dass jemand davon erfuhr. Vielleicht waren einige dieser Feinde nicht weniger amoralisch als Sajaki und seine Leute und blickten auf eine Vergangenheit zurück, die nur so strotzte von Gräueltaten verschiedenster Art. Deshalb war es durchaus denkbar, dass Teile des Geschützparks auch getestet worden waren. Aber Khouri ging davon aus, dass dies immer nur als Mittel zum Zweck geschehen sei; zur Verteidigung oder für taktische Schläge gegen Feinde, die über dringend benötigte Ressourcen verfügten. Die schwereren Geschütze hatte man sicher nie ausprobiert. Was man letztlich mit dem Geschützpark vorhatte — wie man die weltenzerstörenden Maschinen entschärfen wollte — war vielleicht noch nicht einmal Sajaki klar. Und vielleicht war Sajaki auch nicht der Mann, der hier das letzte Wort hatte. Vielleicht war er in irgendeinem Sinne immer noch Captain Brannigan unterstellt.

Wer immer dieser geheimnisvolle Brannigan auch sein mochte.

»Willkommen im Leitstand«, sagte Volyova.

Sie waren irgendwo im Zentrum des Schiffs angekommen. Volyova hatte ein Loch in der Decke geöffnet, eine Teleskopleiter heruntergezogen und Khouri bedeutet, die scharfkantigen Sprossen hinaufzusteigen.

Nun ragte ihr Kopf in einen großen, sphärischen Raum voller bizarr geschwungener Maschinen mit zahlreichen Gelenkarmen. Im Zentrum eines bläulich-silbernen Lichtkreises stand inmitten von verschiedenen Gerätschaften und einem schier unübersehbaren Kabelgewirr ein eckiger, schwarzer Sitz mit einer Plane darüber. Er war gyroskopisch gelagert und konnte sich sehr elegant um so viele verschiedene Symmetrieachsen bewegen, dass er von der Schiffsbewegung unabhängig war. Die Kabel führten zu beweglichen Spulen, die Energie von einer konzentrischen Hülle zur anderen leiteten, bevor sie schließlich als schenkeldickes Bündel zwischen den Maschinen in die gewölbte Wand mündeten. Ein stechender Ozongeruch hing in der Luft.

In diesem Feuerleitstand gab es anscheinend nichts, was weniger als ein paar hundert Jahre alt gewesen wäre. Vieles wirkte noch weitaus älter. Doch alles war aufs Sorgfältigste gepflegt.

»Das ist der Höhepunkt der Vorstellung, nicht wahr?« Khouri zog sich durch die Falltür und schlängelte sich zwischen den geschwungenen Gerippen hindurch auf den schwarzen Sitz zu. Bei aller Massivität wirkte er bequem und verhieß eine Geborgenheit, die sie unwiderstehlich anzog. Sie konnte es nicht lassen und glitt hinein. Die in der sperrigen schwarzen Masse vergrabene Servomechanik begann zu schwirren, und die Polster schmiegten sich an ihren Körper.

»Wie fühlt sich das an?«

»Als hätte ich schon einmal hier gesessen«, sagte Khouri staunend. Ein dicker schwarzer Helm mit Metallbeschlägen war ihr über den Kopf geglitten und verzerrte ihre Stimme.

»Das haben Sie auch«, antwortete Volyova. »Bevor Sie wieder zu Bewusstsein kamen. Außerdem kennt sich das Implantat in Ihrem Kopf hier bereits aus — schon das ist großenteils für die Vertrautheit verantwortlich.«

Volyova hatte Recht. Der Kampfsitz kam Khouri vor wie ein altes Möbelstück aus ihrer Kindheit. Sie glaubte, jede Falte, jeden Kratzer zu kennen. Schon jetzt fühlte sie sich ungemein entspannt und ruhig, und der Drang, tätig zu werden — die Macht zu gebrauchen, die der Sitz ihr verlieh —, wurde von Sekunde zu Sekunde stärker.

»Ich kann die Weltraumgeschütze von hier aus bedienen?«

»So ist es gedacht«, sagte Volyova mit einem Nicken. »Aber natürlich nicht nur sie. Sie steuern auch alle anderen Waffensysteme an Bord der Unendlichkeit — so mühelos, als wären die Instrumente Teil Ihres eigenen Körpers. So wird es Ihnen vorkommen, wenn Sie ganz mit dem Leitstand verschmelzen — Ihr eigenes Körpergefühl weitet sich aus und umfasst schließlich das ganze Schiff.«

Khouri spürte schon die ersten Anzeichen; zumindest hatte sie den Eindruck, als würden die Grenzen zwischen ihrem Körper und dem Sitz verschwimmen. So verlockend es auch war, sie wollte nicht, dass der Prozess sich fortsetzte. Es kostete sie viel Überwindung, sich aus dem Stuhl zu lösen. Doch dann zogen sich die Polsterflächen schwirrend zurück und gaben sie frei.

»Ich weiß nicht recht, was ich davon halten soll«, bemerkte die Mademoiselle.

Sieben

Unterwegs nach Delta Pavonis

2546

Volyova war sich immer bewusst, dass sie sich an Bord eines Schiffes befand. (Dafür sorgten die leichten Unregelmäßigkeiten bei der Induktion der Schwerkraft, die bedingt waren durch winzige Schwankungen im Schubstrom, welche wiederum durch mysteriöse Quanten-Kapriolen in den Tiefen der Synthetiker-Triebwerke ausgelöst wurden.) So war es auch jetzt, als sie auf die abgeschiedene Lichtung trat und an der rustikalen Treppe, die zum Rasenplatz hinunter führte, zögernd stehen blieb. Sajaki blieb stumm und reglos neben dem knorrigen Baumstumpf, ihrem inoffiziellen Treffpunkt, auf den Knien liegen. Wenn er sie bemerkt hatte, so zeigte er das nicht. Aber er musste ihr Kommen gespürt haben. Volyova wusste, dass Sajaki zusammen mit Captain Brannigan, als der noch in der Lage war, das Schiff zu verlassen, den Musterschiebern auf der Wasserwelt Wintersea einen Besuch abgestattet hatte. Sie wusste zwar nicht, wozu die beiden die Reise unternommen hatten, aber es gab Gerüchte, wonach die Schieber Sajakis Neokortex verändert und ihm Neuralstrukturen aufgeprägt hatten, die sein räumliches Vorstellungsvermögen so außergewöhnlich intensivierten, dass es jetzt vier oder gar fünf Dimensionen umfasste. Es war ein sehr seltenes Schieber-Transform: es blieb nämlich auf Dauer erhalten.

Volyova schlenderte die Treppe hinunter und trat so fest auf die letzte Stufe, dass sie knarrte. Sajaki wandte sich um, zeigte sich aber nicht überrascht.

»Was ist los?«, fragte er, als er ihren Gesichtsausdruck bemerkte.

»Es geht um den Stavlennik«, sagte sie, kurz ins Russische zurückfallend. »Unseren Schützling, meine ich.«

»Erzählen Sie«, sagte Sajaki zerstreut. Er trug einen aschgrauen Kimono, der vom Knien im feuchten Gras olivgrüne Flecken hatte. Seine Shakuhachi lag auf der spiegelblank polierten Oberfläche des Baumstumpfs. Sajaki und Volyova waren die letzten beiden Besatzungsmitglieder, die zwei Monate nach dem Abflug von Yellowstone noch nicht im Kälteschlaf lagen.

»Sie gehört jetzt zu uns«, sagte Volyova und kniete vor ihm nieder. »Ihre Einweisung ist im Wesentlichen abgeschlossen.«

»Das ist erfreulich.«

Jenseits der Lichtung kreischte ein Papagei und flog, ein zappelnder, grell bunter Farbfleck, von seinem Ast auf. »Wir können sie Captain Brannigan vorstellen.«

»Je früher, desto besser«, sagte Sajaki und strich eine Falte seines Kimonos glatt. »Oder haben Sie Bedenken?«

»Wegen des Treffens mit dem Captain?« Sie schnalzte nervös mit der Zunge. »Nicht die geringsten.«

»Dann liegt es tiefer.«

»Was?«

»Was immer Sie belastet, Ilia. Los! Heraus mit der Sprache!«

»Es geht um Khouri. Ich wage es nicht mehr, sie den gleichen psychischen Belastungen auszusetzen, wie Nagorny sie erleiden musste.« Sie hielt inne und wartete — hoffte — auf irgendeine Reaktion von Sajaki. Aber nur das Rauschen des Wasserfalls war zu hören. Das Gesicht ihres Mit-Triumvirs blieb völlig ausdruckslos. »Das heißt«, fuhr sie fort — jetzt war sie so unsicher, dass sie fast stotterte —, »ich bin nicht mehr sicher, dass sie die geeignete Person für diese Phase ist.«

»Für diese Phase?« Sajaki sprach so leise, dass sie ihm die Worte von den Lippen ablesen musste.

»Ich meine, sie sollte nicht unmittelbar nach Nagorny an den Feuerleitstand angeschlossen werden. Es ist gefährlich, und Khouri ist zu wertvoll, ich will sie nicht verlieren.« Sie hielt inne, schluckte und holte tief Luft. Jetzt kam der schwierigste Teil. »Ich finde, wir brauchen einen neuen — einen weniger brillanten Kandidaten. Mit einem mittelmäßigen Waffenoffizier könnte ich die letzten Unebenheiten ausbügeln, um dann Khouri an die erste Stelle zu setzen.«