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»Er war bereits mehr als hundert Jahre alt, bevor er zum ersten Mal das Sol-System verließ«, sagte Sajaki. »Er wartete, bis sich eine Möglichkeit ergab, und als die Synthetiker das erste Schiff von Phobos starteten, war er unter den ersten tausend Passagieren.«

»Jedenfalls war auf diesem Schiff ein John Brannigan«, verbesserte Volyova.

»Nein«, widersprach Sajaki. »Es besteht kein Zweifel. Ich weiß, dass er es war. Später… wird es natürlich schwieriger, ihm zu folgen. Vielleicht hat er seine Spuren auch absichtlich verwischt, um nicht von den vielen Feinden aufgespürt zu werden, die er sich wohl im Lauf der Zeit geschaffen hatte. Er wurde oft gesichtet, in vielen verschiedenen Systemen, im Abstand von Jahrzehnten… aber keiner der Berichte ist eindeutig.«

»Wie wurde er Captain Ihres Schiffes?«

»Er tauchte Jahrhunderte später — nach etlichen Landungen auf anderen Planeten und mehreren unbestätigten Berichten von Zeugen, die ihn gesehen haben wollten — am Rand des Yellowstone-Systems auf. Dank der relativistischen Effekte der interstellaren Raumfahrt alterte er nur langsam, aber allmählich kam er doch in die Jahre, und die Langlebigkeitstherapien waren noch nicht so gut entwickelt wie heutzutage.« Sajaki hielt inne. »Inzwischen waren große Teile seines Körpers durch Prothesen ersetzt worden. Es hieß, John Brannigan könne sein Schiff auch ohne Raumanzug verlassen; er könne im Vakuum atmen, sengende Hitze und verheerende Kälte ertragen, und sein Wahrnehmungsbereich umfasse jedes nur denkbare Spektrum. Von dem Gehirn, mit dem er geboren wurde, sei nur noch wenig übrig; in seinem Kopf befinde sich vielmehr ein engmaschiges cybernetisches Netz, ein Eintopf aus winzigen Denkmaschinen mit verdammt wenig organischem Material dazwischen.«

»Und wie viel von diesen Gerüchten entsprach der Wahrheit?«

»Vielleicht mehr, als die Menschen glauben wollten. Natürlich waren Lügen darunter: so sollte er schon Jahre bevor ihre Existenz allgemein bekannt wurde, die Schieber auf Spindrift besucht haben, und es hieß, die Aliens hätten unglaubliche Transformationen an den Resten seines Bewusstseins vorgenommen; außerdem sollte er mindestens zwei empfindungsfähige Spezies entdeckt und kontaktiert haben, die dem Rest der Menschheit bis dahin unbekannt gewesen seien.«

»Bei den Schiebern war er irgendwann tatsächlich«, warf Volyova ein. »Triumvir Sajaki war sogar dabei.«

»Das war sehr viel später«, fauchte Sajaki. »Uns interessiert hier nur seine Verbindung zu Calvin.«

»Wie kam es, dass ihre Wege sich kreuzten?«

»Das weiß niemand so genau«, sagte Volyova. »Sicher ist nur, dass er bei einem Unfall oder bei einer missglückten militärischen Operation verwundet wurde. Seine Verletzungen waren nicht lebensgefährlich, aber er brauchte dringend Hilfe, und an die offiziellen Stellen im Yellowstone-System konnte er sich nicht wenden, das wäre glatter Selbstmord gewesen. Er hatte sich zu viele Feinde gemacht, um sein Leben in die Hände irgendeiner Organisation zu geben. Er brauchte Einzelpersonen, die untereinander keinen Kontakt hatten und denen er persönlich vertrauen konnte. Calvin scheint ein solcher Mensch gewesen zu sein.«

»Calvin hatte Verbindung zu Ultra-Elementen?«

»Ja, aber das hätte er niemals öffentlich zugegeben.« Der Halbmond unter Volyovas Mützenschild öffnete sich zu einem breiten Lächeln, dass die Zähne blitzten. »Calvin war damals noch jung und idealistisch. Als man ihm den Verletzten brachte, hielt er ihn für ein Himmelsgeschenk. Bis dahin hatte er seine ausgefallenen Ideen nicht weiterverfolgen können. Nun hatte er ein perfektes Versuchsobjekt, das nur eine einzige Bedingung stellte: absolute Geheimhaltung. Natürlich hatte das Abkommen Vorteile für beide Seiten: Calvin konnte an Brannigan seine radikalen cybernetischen Theorien ausprobieren, während Brannigan geheilt wurde und durch Calvins Arbeit einiges an Fähigkeiten hinzugewann. Man könnte von einer gelungenen Symbiose sprechen.«

»Soll das heißen, der Captain wurde von diesem Dreckskerl als Versuchskaninchen für seine schändlichen Experimente missbraucht?«

Sajaki zuckte die Achseln. In seiner dicken Thermokleidung sah er wie eine Marionette aus.

»Brannigan empfand es nicht so. Er war für den Rest der Menschheit schon vor dem Unfall ein Monstrum gewesen. Calvin setzte diesen Trend nur fort. Führte ihn zur Vollendung, wenn man so will.«

Volyova nickte, doch etwas in ihrem Gesicht verriet Khouri, dass das Verhältnis zu ihrem Kollegen nicht ganz ungetrübt war. »Überhaupt war das lange vor den Achtzig. Calvins Name war ohne Makel. Und im Vergleich zu den alltäglichen Extremen des Ultra-Lebens lag Brannigans Transformation nur wenig außerhalb der Norm.« Der Abscheu in ihrer Stimme war nicht zu überhören.

»Weiter.«

»Bis zu seiner nächsten Begegnung mit dem Sylveste-Clan verging fast ein Jahrhundert«, sagte Sajaki. »In der Zwischenzeit hatte er das Kommando über dieses Schiff übernommen.«

»Was geschah?«

»Er wurde abermals verwundet. Diesmal schwer.« Er strich so vorsichtig, als halte er den Finger über eine Kerzenflamme, über den äußersten Rand der silbrigen Wucherungen. Die Ausläufer des Captains wirkten so schaumig wie die Lake, die das Meer bei Ebbe in den Felshöhlungen zurücklässt. Sajaki wischte sich diskret die Hand an der Vorderseite seiner Jacke ab, aber Khouri merkte, dass er sich nicht sauber fühlte; seine Finger schienen zu jucken und zu kribbeln, als sei ihm der Kontakt mit dem verseuchten Gewebe unter die Haut gegangen.

»Leider«, fuhr Volyova fort, »war Calvin damals bereits tot.«

Natürlich. Er war mit den Achtzig gestorben; er hatte als einer der Letzten seine körperliche Existenz verloren.

»Schön«, sagte Khouri. »Aber er starb, während sein Gehirn von einem Computer gescannt wurde. Warum haben Sie nicht einfach die Aufzeichnung gestohlen und sie überredet, Ihnen zu helfen?«

»Wenn das möglich gewesen wäre, hätten wir es getan.« Sajakis tiefe Stimme wurde von der engen Biegung des Korridors zurückgeworfen. »Aber die Aufzeichnung, die Alpha-Simulation, war verschwunden. Und es gab keine Duplikate — Alphas waren kopiergeschützt.«

»Das heißt«, sagte Khouri in der Hoffnung, die Leichenhausatmosphäre etwas zu zerstreuen, »Sie hatten keinen Captain mehr und saßen in der Scheiße.«

»Nicht ganz«, sagte Volyova. »Das alles fiel nämlich in eine ziemlich interessante Periode der Geschichte von Yellowstone. Daniel Sylveste war eben von den Schleierwebern zurückgekehrt — und er war weder tot, noch hatte er den Verstand verloren. Seine Begleiterin hatte weniger Glück gehabt, aber ihr Tod machte ihn erst recht zum strahlenden Helden.« Sie hielt inne, dann fragte sie so ungeduldig wie ein Vögelchen: »Haben Sie jemals von seinen ›Dreißig Tagen in der Wildnis‹ gehört, Khouri?«

»Kann schon sein. Helfen Sie meinem Gedächtnis auf die Sprünge.«

»Er verschwand vor hundert Jahren für einen vollen Monat«, sagte Sajaki. »Der gefeierte Mittelpunkt der Stoner-Gesellschaft war von einem Augenblick zum anderen nicht mehr aufzufinden. Es gingen Gerüchte um, er hätte die Stadtkuppel verlassen; er hätte sich in einen Exo-Anzug gezwängt und sei ausgezogen, um die Sünden seines Vaters zu sühnen. Eine rührende Geschichte, nur leider ist sie nicht wahr. In Wirklichkeit«, Sajaki nickte zum Fußboden hin, »verbrachte er diesen Monat hier. Wir hatten ihn entführt.«

»Sie haben Dan Sylveste gekidnappt?« Was für ein Husarenstück! Khouri musste beinahe lachen. Doch dann fiel ihr ein, dass es um den Mann ging, den sie töten sollte, und das Lachen verging ihr schnell.

»Ich würde lieber sagen, wir haben ihn eingeladen, an Bord zu kommen«, sagte Sajaki. »Auch wenn ich zugeben muss, dass er eigentlich keine andere Wahl hatte.«

»Damit ich ganz klar sehe«, sagte Khouri. »Sie haben also Cals Sohn entführt? Was hatten Sie davon?«