»Calvin hatte einige Vorkehrungen getroffen, bevor er sich dem Scanner auslieferte«, sagte Sajaki. »Eine Maßnahme war ganz simpel, musste aber Jahrzehnte vor dem Höhepunkt des Projekts eingeleitet werden. Kurz gesagt, er hat veranlasst, dass jede Sekunde seines Lebens von Aufzeichnungssystemen überwacht wurde. Jede Sekunde, ob er wachte oder schlief. Im Lauf der Jahre lernten die Maschinen, seine Verhaltensmuster zu imitieren und seine Reaktionen in jeder Situation mit erstaunlicher Genauigkeit vorherzusagen.«
»Eine Beta-Simulation.«
»Ja, aber ein Beta-Sim, das um mehrere Stufen komplexer war als alles bis dahin Dagewesene.«
»Nach einigen Definitionen«, sagte Volyova, »hatte es bereits ein Bewusstsein; Calvin hatte die Seelenwanderung vollzogen. Er selbst mag daran geglaubt haben oder nicht, jedenfalls trieb er die Entwicklung des Sims so weit, dass es ein Bild von Calvin projizieren konnte, das so wirklich war wie der Mann selbst. Man hatte ganz stark das Gefühl, ihm tatsächlich gegenüberzustehen. Aber Calvin ging noch einen Schritt weiter. Es gab noch eine zweite Maßnahme, auf die er zurückgreifen konnte.«
»Nämlich?«
»Klonen.« Sajaki lächelte und nickte Volyova fast unmerklich zu.
»Er klonte sich selbst«, sagte er. »Unter Einsatz verbotener oder ›schwarzer‹ gentechnischer Verfahren und indem er sich an einige seiner lichtscheueren Klienten wandte, die ihm noch eine Gefälligkeit schuldeten. Einige davon waren Ultras — sonst wüssten wir davon natürlich nichts. Die Technik des Klonens durfte auf Yellowstone nicht eingeführt werden; fast alle jungen Kolonien erlassen im Interesse maximaler genetischer Vielfalt ein solches Verbot. Aber Calvin war schlauer als die Behörden und reicher als die Individuen, die er bestechen musste. So gelang es ihm, den Klon als seinen Sohn auszugeben.«
»Dan«, sagte Khouri, eine einzige Silbe nur, aber die schnitt ein spitzes Loch in die eisige Luft. »Wollen Sie wirklich behaupten, Dan sei Calvins Klon?«
»Dan weiß davon natürlich nichts«, sagte Volyova. »Er wäre der Letzte, den Calvin eingeweiht hätte. Nein; Sylveste glaubt die Lüge ebenso wie der Rest der Bevölkerung. Er hält sich für eine eigenständige Persönlichkeit.«
»Merkt er denn nicht selbst, dass er ein Klon ist?«
»Nein, und im Laufe der Zeit schwinden die Chancen, dass er dahinterkommt, immer mehr. Abgesehen von Calvins Ultra-Verbündeten wusste kaum jemand darüber Bescheid, und Calvin bot genügend Anreize, um sich das Schweigen der wenigen Eingeweihten zu sichern. Einige Schwachstellen waren unvermeidlich — so blieb Calvin nichts anderes übrig, als einen der führenden Genetiker auf Yellowstone anzuwerben — und Sylveste hat denselben Mann für die Resurgam-Expedition ausgewählt, ohne zu ahnen, wie eng ihre Beziehung tatsächlich war. Dennoch bezweifle ich, dass er seither die Wahrheit erfahren oder auch nur in irgendeiner Weise Verdacht geschöpft hat.«
»Aber jedes Mal, wenn er in einen Spiegel schaut…«
»Sieht er sich selbst, nicht Calvin.« Volyova lächelte. Sie genoss es sichtlich, mit dieser Enthüllung Khouris Weltbild zu erschüttern. »Er war ein Klon, aber das heißt nicht, dass er Calvin aufs Haar gleichen musste. Der Genetiker — er hieß übrigens Janequin — hatte so viele kosmetische Unterschiede zwischen den beiden eingearbeitet, dass Außenstehende nur die erwartete Familienähnlichkeit sahen. Natürlich hat er auch Merkmale von Rosalyn Soutaine verwendet, der Frau, die als Dans Mutter ausgegeben wurde.«
»Der Rest war ganz einfach«, fuhr Sajaki fort. »Cal erzog seinen Klon in einer Umgebung, die bis ins Kleinste so gestaltet war wie die Welt seiner Kindheit — in bestimmten Entwicklungsphasen gab er dem Jungen sogar die gleichen Stimuli, weil er nicht sicher sein konnte, was von seinen eigenen Charakterzügen auf Vererbung zurückzuführen war und was auf den Einfluss der Umwelt.«
»Schön«, sagte Khouri. »Gehen wir zunächst einmal davon aus, dass alles so ist, wie Sie sagen — aber was war der Zweck der Maßnahme? Cal muss gewusst haben, dass Dan nicht die gleiche Entwicklung nehmen würde, wie sehr er das Leben des Jungen auch steuern mochte. Was ist mit den Entscheidungen, die bereits im Mutterleib getroffen werden?« Khouri schüttelte den Kopf. »Wahnsinn. Mehr als eine ungefähre Näherung konnte er niemals erreichen.«
»Ich glaube«, sagte Sajaki, »mehr hatte er sich auch gar nicht erhofft. Cal klonte sich ja nur zur Vorsicht. Er wusste, dass das Scannen, dem er und die anderen Freiwilligen der Achtzig sich unterziehen mussten, den Körper zerstörte, deshalb wollte er sich die Möglichkeit offen halten, in einen Körper zurückzukehren, falls ihm das Leben in der Maschine nicht zusagen sollte.«
»Sagte es ihm denn zu?«
»Schon möglich, aber das tat nichts zur Sache. Zur Zeit der Achtzig waren Retransfer-Operationen technisch noch nicht möglich. Aber Cal hatte keine Eile: er konnte den Klon jederzeit im Kälteschlaf konservieren, bis er ihn brauchte, oder er konnte sich aus den Zellen des Jungen einen zweiten Klon anfertigen lassen. Er dachte weit voraus.«
»Wobei er sich darauf verließ, dass der Retransfer jemals möglich wurde.«
»Calvin wusste, wie gering die Chancen waren. Deshalb war es ihm wichtig, daneben eine zweite Option zu haben.«
»Und die wäre?«
»Die Beta-Simulation.« Sajaki sprach jetzt sehr langsam und seine Stimme war so eisig kalt wie die Luft in der Kälteschlafzelle des Captains. »Obwohl sie offiziell kein eigenes Bewusstsein hatte, war sie doch eine unglaublich präzise Kopie von Calvin. Und dank ihrer relativ einfachen Strukturen war es leichter, ihre Regeln Dans organischer Gehirnmasse aufzuprägen. Viel leichter, als die Prägung mit einer so wenig fassbaren Struktur wie dem Alpha.«
»Ich weiß, dass die Primäraufzeichnung — das Alpha — verschwunden ist«, sagte Khouri. »Es gab keinen Calvin mehr, der die Zügel in der Hand hielt. Und Dan hat sich vermutlich eigenständiger entwickelt, als Calvin lieb sein konnte.«
»Sehr vorsichtig ausgedrückt«, warf Sajaki ein. »Mit den Achtzig begann der Niedergang des Sylveste-Instituts. Dan interessierte sich mehr für das Rätsel der Schleierweber als für cybernetische Unsterblichkeit und konnte sich bald von seinen Fesseln befreien. Das Beta-Sim behielt er, ohne jemals zu begreifen, welche Bedeutung es tatsächlich hatte. Er hielt es in erster Linie für ein Erbstück.« Der Triumvir lächelte. »Wenn er erkannt hätte, dass es im Grunde seinen eigenen Untergang bedeutete, hätte er es sicher zerstört.«
Begreiflich, dachte Khouri. Die Beta-Simulation war wie ein gebannter Dämon, der nur darauf lauerte, in einen neuen Körper einzufahren. Nicht im eigentlichen Sinne bei Bewusstsein, aber dank der subtilen Raffinesse, mit der sie wahre Intelligenz imitierte, doch gefährlich stark.
»Auch Cals Vorsichtsmaßnahme war uns noch nützlich«, sagte Sajaki. »Das Beta enthielt in verschlüsselter Form so viel von Calvins fachlichen Erfahrungen, wie für die Heilung unseres Captains erforderlich waren. Nun mussten wir Dan nur noch dazu bringen, dass er Calvin erlaubte, sich für eine begrenzte Zeit seines Körpers und seines Geistes zu bemächtigen.«
»Aber wenn das so einfach ging, muss Dan doch Verdacht geschöpft haben…«
»Es war nicht einfach«, widersprach Sajaki. »Keineswegs. In den Phasen, in denen Cal die Herrschaft übernahm, wirkte Dan wie ein Besessener. Ein großes Problem war die motorische Kontrolle: wir mussten Dan einen ganzen Cocktail von Neuro-Inhibitoren verabreichen, um seine eigene Persönlichkeit auszuschalten. Wenn Cal dann endlich durchkam, fand er einen Körper vor, der von unseren Drogen halb gelähmt war. Es war, als operiere ein begnadeter Chirurg nicht selbst, sondern erteile einem Betrunkenen Anweisungen. Und nach allem, was man sehen konnte, war die Erfahrung auch für Dan nicht angenehm. Er sagte selbst, es sei ziemlich quälend gewesen.«
»Aber es hat funktioniert.«
»Mit knapper Not. Aber seither sind hundert Jahre vergangen, und jetzt ist der nächste Besuch beim Onkel Doktor fällig.«