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»Ich habe verstanden«, sagte Khouri. »Ich soll ihn also unten töten. War das alles?«

»Nicht ganz.« Der Geist zeigte ein dämonisches Lächeln, das Khouri bisher noch nicht gesehen hatte. Vielleicht hatte die Mademoiselle ihr mimisches Reservoir doch noch nicht ganz ausgeschöpft, sondern hob sich den einen oder anderen Gesichtsausdruck für Augenblicke wie diesen auf. »Natürlich verlange ich Beweise für seinen Tod. Das Implantat wird alles aufzeichnen, aber wenn Sie nach Yellowstone zurückkehren, brauche ich etwas Handfestes, was die Aufzeichnung bestätigt. Ich spreche von sterblichen Überresten und damit meine ich nicht nur Asche. Konservieren Sie im Vakuum, so viel Sie können. Die Überreste müssen gut verschlossen und vom Rest des Schiffes isoliert aufbewahrt werden. Sie können sie meinetwegen in Fels eingießen, aber ich will sie sehen. Ich brauche Beweise.«

»Und dann?«

»Dann, Ana Khouri, bekommen Sie Ihren Mann zurück.«

Sylveste gönnte sich keine Atempause, bis er und Pascale die schwarze Mauer um die Amarantin-Stadt erreicht und passiert hatten und mehrere hundert Schritte in das Labyrinth in ihrem Innern vorgedrungen waren. Er wählte die Richtung so willkürlich wie nur möglich, ließ die Markierungen der Archäologen völlig außer Acht und vermied alles, was ihren Weg hätte nachvollziehbar machen können.

»Nicht so schnell«, bat Pascale. »Am Ende verirren wir uns noch.«

Sylveste legte ihr die Hand auf den Mund, obwohl er verstand, dass sie nur redete, um nicht über den Mord an ihrem Vater nachdenken zu müssen.

»Wir müssen leise sein. Der Wahre Weg hat sicher Posten im Innern der Mauer aufgestellt, um Flüchtlinge aufzuhalten. Wir wollen sie doch nicht auf uns aufmerksam machen.«

»Aber wir wissen nicht, wo wir sind«, flüsterte sie. »Dan, hier sind schon Menschen verhungert, weil sie den Weg nach draußen nicht mehr finden konnten.«

Sylveste schob Pascale in ein enges Loch. Unten war die Finsternis noch dichter. Die Wände waren sehr glatt; hier gab es keine rutschsicheren Bodenbeläge. »Wir werden uns nicht verirren«, sagte er mit einer Ruhe, die er nicht empfand, »das ist das Einzige, was ich dir versprechen kann.« Er klopfte gegen seine Augen, obwohl es bereits viel zu dunkel war, als dass Pascale die Geste hätte würdigen können. Es ging ihm wie einem Sehenden unter Blinden. Er vergaß immer wieder, dass große Teile seiner nonverbalen Kommunikation einfach ins Leere gingen. »Ich kann jeden unserer Schritte zurückverfolgen. Die Wände reflektieren die Infrarotstrahlung unserer Körper recht gut. Wir sind hier sicherer als in der Stadt.«

Sie keuchte hinter ihm her und sagte Minuten lang gar nichts. Schließlich murmelte sie: »Ich hoffe, dies ist nicht einer der seltenen Fälle, in denen du dich irrst. Das wäre kein glückverheißender Anfang für unsere Ehe, meinst du nicht auch?«

Ihm war nicht nach Lachen zumute; das Gemetzel in der Halle stand ihm noch zu deutlich vor Augen. Aber er lachte trotzdem und dadurch verlor das ganze Elend an Realität. Das war auch gut so, denn wenn er es nüchtern betrachtete, waren Pascales Zweifel nur allzu berechtigt. Selbst wenn er den Weg aus dem Labyrinth genau kannte, nützte ihm das womöglich gar nichts, wenn die Wände zu glitschig waren, um hinaufzuklettern, oder wenn die Gerüchte stimmten und sich das Labyrinth immer wieder neu konfigurierte. Dann würden sie trotz seiner magischen Augen verhungern wie all die anderen armen Teufel, die vom markierten Weg abgewichen waren.

Dem Tunnel folgend, der sich in sanften Windungen wie eine Made durch das Innere der Mauer bohrte, drangen sie tiefer in das Amarantin-Bauwerk vor. Panik war natürlich nicht weniger gefährlich als Orientierungslosigkeit. Aber es war nicht leicht, sich zur Ruhe zu zwingen.

»Was meinst du, wie lange müssen wir hier bleiben?«

»Einen Tag«, sagte Sylveste. »Wir warten, bis sie fort sind, dann gehen wir hinaus. Inzwischen ist sicher Verstärkung aus Cuvier eingetroffen.«

»Und für wen arbeitet die?«

Sylveste zwängte sich mit den Schultern durch eine Engstelle. Dahinter teilte sich der Tunnel in drei Gänge. Er warf im Geiste eine Münze und nahm den linken Ast. »Gute Frage«, sagte er so leise, dass seine Frau es nicht hören konnte.

Wenn das Attentat nun kein einzelner Terrorakt gewesen wäre, um die Öffentlichkeit aufzurütteln, sondern Teil eines Umsturzversuches, der sich gegen die ganze Kolonie richtete? Wenn Cuvier nicht mehr der Girardieu-Regierung gehorchte, sondern an den Wahren Weg gefallen wäre? Girardieu hatte eine gewaltige Parteimaschinerie hinterlassen, aber bei dieser Hochzeitsfeier waren viele Rädchen entfernt worden. Wenn die Revolutionäre die momentane Schwäche ausnützten, könnten sie mit einem Blitzkrieg eine Menge erreichen. Vielleicht war bereits alles vorbei, vielleicht waren Sylvestes frühere Feinde entthront und neue, fremde Gesichter hatten die Macht übernommen. In diesem Fall wäre es völlig sinnlos, im Labyrinth auszuharren. Würde ihn der Wahre Weg wohl als Feind betrachten? Oder hatte er ihm die noch sehr viel undurchsichtigere Rolle des Feindes seines Feindes zugewiesen?

Obwohl er und Girardieu am Ende gar keine Feinde mehr gewesen waren.

Endlich kamen sie an eine größere, ebene Fläche, auf der etliche Tunnel zusammentrafen. Hier war Platz genug zum Sitzen, und da die Wirkung der Pumpen bis hierher reichte, wehte ein frischer Luftzug. Sylveste beobachtete im Infrarotmodus, wie Pascale den spiegelglatten Boden nach Ratten, scharfen Steinen oder grinsenden Totenschädeln abtastete, bevor sie sich vorsichtig niederließ.

»Schon gut«, sagte er. »Hier sind wir in Sicherheit.« Als bräuchte er den Wunsch nur auszusprechen, um ihn Wahrheit werden zu lassen. »Falls jemand kommt, können wir zwischen mehreren Fluchtwegen wählen. Wir verhalten uns ganz still und warten ab.«

Damit war die Flucht zunächst beendet. Nun würde sie natürlich wieder an ihren Vater denken, aber das wollte er nicht; nicht jetzt.

»Janequin ist ein armer Tropf«, sagte er, in der Hoffnung, sie damit auf etwas andere Gedanken zu bringen. »Sie müssen ihn erpresst haben. Es ist doch immer wieder das Gleiche.«

»Was?«, würgte Pascale heraus. »Was ist deiner Meinung nach immer wieder das Gleiche?«

»Was rein war, wird beschmutzt.« Er war so heiser, dass er kaum flüstern konnte. Das Gas im Tempel war ihm zwar nicht in die Lungen gedrungen, aber sein Kehlkopf hatte einiges abbekommen. »Janequin hatte jahrelang an diesen Pfauen gearbeitet; seit er nach Mantell gekommen war. Angefangen hatte es ganz harmlos, mit lebenden Skulpturen.

Er meinte, zu einer Kolonie um einen Stern namens Pavonis gehörten einfach ein paar Pfauen. Und dann kam jemand, der für die Vögel eine bessere Verwendung fand.«

»Vielleicht waren sie alle vergiftet.« Pascale dehnte das f zu einem wütenden Zischen. »Lauter wandelnde kleine Zeitbomben.«

»Ich glaube, er hatte nur ein paar präpariert.« Vielleicht lag es an der Luft, jedenfalls fühlte Sylveste sich plötzlich so müde, dass er kaum die Augen offen halten konnte. Im Moment waren sie in Sicherheit. Wenn ihnen die Mörder — die möglicherweise gar nicht wussten, dass sie nicht unter den Toten waren — gefolgt wären, hätten sie diesen Teil des Labyrinths inzwischen längst erreicht.

»Ich hätte nie gedacht, dass er wirklich Feinde hatte«, sagte Pascale. Der Satz hing zusammenhanglos in dem engen Raum. Sylveste konnte sich vorstellen, wie sehr sie sich fürchtete: für jemanden, der blind war und sich nur auf seinen Zuspruch verlassen konnte, musste dieser Ort eine Stätte des Grauens sein. »Ich hätte nie für möglich gehalten, dass sie ihn um ihrer Ziele willen töten würden. Ich war sicher, dass es nichts gäbe, wofür sich das lohnte.«

Khouri sollte zusammen mit dem Rest der Besatzung für den größten Teil des Fluges nach Resurgam in Kälteschlaf versetzt werden. Doch zunächst brachte sie viele Stunden im Feuerleitstand zu und absolvierte unzählige Kampfsimulationen.