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»Eine Runde Applaus für den Mann.«

»Und Sie haben die Macht übernommen?«

»Alles hört auf unser Kommando.« Das klang recht großspurig, aber Sylveste war das kurze Zögern nicht entgangen. Ganz sicher ist er sich nicht, dachte er. Wahrscheinlich wussten sie nicht genau, wie weit ihr Einfluss tatsächlich reichte. Vielleicht hatte der Mann ja sogar Recht, aber vermutlich waren die Nachrichtenverbindungen auf dem Planeten schwer beschädigt, und deshalb konnte er nicht sicher sein. Er konnte sich nicht vergewissern, ob sie wirklich alles unter Kontrolle hatten. Leicht möglich, dass die Hauptstadt noch von Girardieu-Treuen oder von einer ganz anderen Gruppe besetzt war. Seine Bewacher konnten eigentlich nur in gutem Glauben handeln und hoffen, dass auch ihre Verbündeten gesiegt hatten. Was natürlich durchaus möglich war.

Jemand zog ihm die Maske über das Gesicht. Die harten Kanten schnitten ihm in die Haut, aber das war erträglich, nicht mehr als eine kleine zusätzliche Unannehmlichkeit neben den ständigen Schmerzen in seinen zerstörten Augen.

Mit der Maske zu atmen war ziemlich mühsam. Er musste sich anstrengen, um die Luft durch den Staubabscheider in der Düse zu saugen. Von jetzt an kamen zwei Drittel des Sauerstoffs in seinen Lungen aus der Atmosphäre von Resurgam und das letzte Drittel aus einem Druckbehälter unter dem Rüssel. Diese Luft war mit so viel Kohlendioxid versetzt, dass sie den Atemreflex seines Körpers auslöste.

Er hatte kaum gespürt, wie das Flugzeug aufsetzte — erst als die Tür geöffnet wurde, war er ganz sicher, dass sie irgendwo gelandet waren. Sein Bewacher löste ihm die Fesseln und schob ihn energisch zum Ausgang, wo ihn Wind und Kälte erwarteten.

War es da draußen Tag oder Nacht?

Er hatte keine Ahnung; keine Möglichkeit, es festzustellen.

»Wo sind wir?«, rief er. Die Maske dämpfte seine Stimme, er hörte sich an wie ein Schwachsinniger.

»Wozu wollen Sie das wissen?« Die Stimme des Wärters klang nicht verzerrt. Sylveste begriff, dass er ohne Maske atmete. »Selbst wenn die Stadt zu Fuß zu erreichen wäre — was sie nicht ist — Sie könnten nicht einmal so weit laufen, wie Sie von hier aus spucken können, ohne sich umzubringen.«

»Ich will mit meiner Frau sprechen.«

Der Bewacher packte seinen Arm und verdrehte ihn nach hinten, bis Sylveste fürchtete, er würde aus dem Gelenk springen. Er stolperte, aber der Mann ließ ihn nicht los. »Sie können mit ihr sprechen, wenn wir es Ihnen erlauben. Ich habe Ihnen doch gesagt, dass es ihr gut geht? Trauen Sie mir etwa nicht?«

»Ich habe mit angesehen, wie Sie meinen Schwiegervater getötet haben. Also was meinen Sie?«

»Ich meine, Sie sollten sich jetzt schön ducken.«

Jemand drückte ihn nach unten, in Deckung. Der Wind heulte ihm nicht mehr in den Ohren; die Stimmen hatten plötzlich ein Echo. Hinter ihm fiel eine druckfeste Tür ins Schloss. Der Sturm verstummte jäh. Trotz seiner Blindheit spürte er, dass Pascale nicht in seiner Nähe war. Hoffentlich bedeutete das nur, dass man sie getrennt von ihm ans Ziel brachte und dass seine Bewacher nicht logen, wenn sie sagten, sie sei in Sicherheit.

Jemand riss ihm die Maske ab.

Nun folgte ein Gewaltmarsch durch enge Gänge, wo man mit den Schultern anstieß und es durchdringend nach Desinfektionsmitteln roch. Mit Hilfe seines Begleiters stieg er klappernde Treppen hinunter und fuhr zwei Mal mit einem schwankenden Fahrstuhl in eine Tiefe, die er nicht schätzen konnte. Als sie ausstiegen, betraten sie ein unterirdisches Gewölbe, wo jeder Laut widerhallte. Ein Luftzug war zu spüren, es roch nach Metall. Durch ein undichtes Belüftungsrohr drang das Kreischen des Windes. Dazwischen hörte Sylveste Stimmen und glaubte auch bestimmte Satzmelodien zu erkennen, verstand aber kein einziges Wort.

Endlich gelangten sie in einen Raum.

Sylveste war sicher, dass die Wände weiß gestrichen waren. Die Leere des Würfels drohte ihn förmlich zu erdrücken.

Jemand trat zu ihm, jemand, dessen Atem nach Kohl roch. Finger strichen zart über sein Gesicht. Sie waren mit einer glatten Schicht überzogen und rochen schwach nach Desinfektionsmittel. Die Finger berührten seine Augen und beklopften die Facetten mit einem harten Gegenstand.

Jeder Schlag löste hinter seinen Schläfen eine kleine Schmerznova aus.

»Die Augen werden erst repariert, wenn ich es sage«, erklärte eine Stimme. Er kannte diese Stimme, dessen war er vollkommen sicher. Sie gehörte einer Frau, obwohl sie in ihrer kehligen Heiserkeit fast männlich klang. »Vorerst bleibt er blind.«

Schritte entfernten sich; die Sprecherin hatte seinen Bewacher wohl mit einer stummen Geste entlassen. Sylveste war allein. Nun gab es nichts mehr, woran er sich orientieren konnte. Er spürte, wie er das Gleichgewicht verlor. Ganz gleich, wie er sich bewegte, die graue Matrix veränderte sich nicht. Die Knie wurden ihm weich, aber es gab nichts, woran er sich festhalten konnte. Er wusste nicht einmal, ob er nicht zehn Stockwerke hoch auf einer Holzplanke stand.

Er begann zu schwanken und zappelte kläglich mit den Armen.

Jemand fasste ihn am Ellbogen und gab ihm Halt. Er hörte ein pulsierendes Schnarren, als fräße sich eine Säge durch Holz.

Sein Atem.

Ein feuchtes Schmatzen — sie hatte wieder den Mund geöffnet. Jetzt lächelte sie wohl zufrieden in sich hinein.

»Wer sind Sie?«, fragte er.

»Sie sind doch ein Dreckskerl. Sogar meine Stimme haben Sie vergessen.«

Die Finger gruben sich in seinen Unterarm, fanden zuverlässig die Nervenstränge und drückten genau an den richtigen Stellen zu. Er fiepte wie ein Hund; der erste Reiz, der stärker war als der Schmerz in seinen Augen. »Ich kenne Sie wirklich nicht«, beteuerte er. »Ich schwöre es.«

Der Druck ließ nach. Nerven und Sehnen sprangen an ihren Platz zurück. Der Schmerz flammte noch einmal auf und flaute dann ab zu einem dumpfen Taubheitsgefühl, das sich über Arm und Schulter erstreckte.

»Das sollten Sie aber«, sagte die heisere Stimme. »Auch wenn Sie mich seit langem für tot hielten, Dan. Unter einem Erdrutsch begraben.«

»Sluka«, sagte er.

Volyova war auf dem Weg zum Captain, als sich der beunruhigende Vorfall ereignete. Seit der Rest der Besatzung — einschließlich Khouris — für die Dauer der Reise nach Resurgam im Kälteschlaf lag, hatte Volyova die alte Gewohnheit wieder aufgenommen, den Captain leicht zu erwärmen, um sich mit ihm zu beraten. Wenn sie seine Hirntemperatur um den Bruchteil eines Kelvin anhob, erwachte er zu einem wenn auch fragmentarischen Bewusstsein. Das trieb sie nun schon fast zwei Jahre lang, und sie würde noch weitere zweieinhalb Jahre weitermachen, bis das Schiff in den Orbit um Resurgam einschwenkte und die anderen aus dem Kälteschlaf geweckt wurden. Natürlich fanden diese Gespräche nicht allzu häufig statt — sie durfte den Captain nicht allzu oft erwärmen, denn mit jedem Mal eroberte die Seuche etwas mehr von ihm und seiner Umgebung —, aber sie waren doch kleine Oasen menschlicher Nähe in diesen Wochen, in denen sie sich ansonsten nur mit Viren, Waffen und dem zunehmenden Verfall des Schiffs beschäftigen konnte.

Deshalb sah Volyova diesen Begegnungen mit einer gewissen Vorfreude entgegen, auch wenn der Captain nur selten erkennen ließ, dass er sich an frühere Unterhaltungen erinnerte. Obendrein hatte sich ihr Verhältnis in letzter Zeit etwas abgekühlt. Zum Teil war das wohl damit zu erklären, dass es Sajaki nicht gelungen war, Sylveste im Yellowstone-System aufzuspüren, und sich die Tortur des Captains somit mindestens um ein weiteres halbes Jahrzehnt verlängerte — vielleicht auch mehr, falls Sylveste auch auf Resurgam nicht zu finden wäre, was Volyova zumindest theoretisch für möglich hielt. Für sie bestand die Schwierigkeit darin, dass der Captain sich immer wieder nach den Fortschritten bei der Suche nach Sylveste erkundigte und sie ihm immer wieder beibringen musste, dass man nicht die gewünschten Erfolge zu verzeichnen habe. Das nahm der Captain nicht sonderlich gut auf — was sie ihm nicht verdenken konnte —, und oft verdüsterte sich seine Stimmung so stark, dass er nicht mehr ansprechbar war. Wenn sie Tage oder Wochen später einen neuen Versuch unternahm, hatte er vergessen, was sie ihm erzählt hatte, und das Ganze begann von vorn, nur dass Volyova dieses Mal nach Kräften versuchte, ihm die schlechte Nachricht schonender beizubringen oder ihr eine optimistische Färbung zu geben.