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Delta Pavonis schwebte, eine rötlichwarme Bernsteinperle, in der Mitte. Ihre elf großen Planeten umkreisten sie in maßstabsgetreuen Abständen auf ihren jeweiligen Bahnen; Asteroidenschutt und Kometentrümmer bewegten sich auf eigenen Ellipsen; das ganze System war umgeben von einem zarten Kuiper-Gürtel aus eisigem Strandgut; der Neutronenstern, Pavonis’ schwarzer Zwilling, verschob durch seine enorme Gravitation ein wenig die Symmetrie. Das Hologramm war nicht so sehr eine Vergrößerung dessen, was vor ihnen lag, als eine Simulation. Die Schiffssensoren waren empfindlich genug, um selbst auf diese Entfernung Daten zu erfassen, aber das Bild wäre durch relativistische Effekte verzerrt worden und — schlimmer noch — es wäre ein Schnappschuss des Systems vor mehreren Jahren gewesen. Die relativen Positionen der Planeten hätten keinerlei Ähnlichkeit mit der aktuellen Konstellation gehabt. Da die Anflugstrategie des Schiffes entscheidend darauf beruhte, die größeren Gasriesen des Systems zur Tarnung und zur Schwerkraftbremsung zu nützen, musste Volyova wissen, wo sich die Himmelskörper bei ihrer Ankunft befinden würden, nicht wo sie vor fünf Jahren gewesen waren. Und das war nicht der einzige Grund. Lange bevor das Schiff das Resurgam-System erreichte, schickte es bereits unsichtbare Boten voraus, und auch deren Flug musste optimal auf die Planetenkonstellation abgestimmt werden.

»Kiesel freisetzen«, sagte sie, als sie glaubte, genügend Simulationen durchgespielt zu haben. Folgsam schoss die Unendlichkeit tausend der winzigen Sonden ab. Der Schwarm entfernte sich vom Bug des abbremsenden Schiffes und zog sich langsam auseinander. Volyova sprach einen Befehl in ihr Armband, und vor ihr öffnete sich ein Fenster, das ihr den Blick einer Kamera am Rumpf zeigte. Die ganze Kieselschar verschwand wie von einer unsichtbaren Kraft gezogen in der Ferne. Die Wolke wurde immer kleiner, bis Volyova endlich nur noch einen verschwommenen Fleck sah, der rasch schrumpfte. Die Kiesel flogen knapp unter Lichtgeschwindigkeit und würden das Resurgam-System Monate vor dem Schiff erreichen. Bis dahin hatte sich der Schwarm über Resurgams Orbit um die Sonne hinaus verteilt. Jede der winzigen Sonden würde sich auf den Planeten ausrichten, Photonen aus dem gesamten elektromagnetischen Spektrum einfangen und die Daten mit einem stark gebündelten Laserstrahl zum Schiff zurückschicken. Jede einzelne Sonde erfasste nur einen winzigen Ausschnitt, aber wenn man die Ergebnisse zusammenfügte, entstand ein sehr scharfes und detailreiches Bild von Resurgam. Zwar ließ sich daraus nicht entnehmen, wo Sylveste sich aufhielt, aber Sajaki bekäme immerhin eine Vorstellung, wo die Machtzentren auf dem Planeten zu vermuten waren und — wichtiger noch — in welchem Umfang man dort womöglich imstande wäre, Verteidigungsmaßnahmen auf die Beine zu stellen.

Denn in diesem Punkt waren sich Sajaki und Volyova vollkommen einig gewesen. Selbst wenn sie Sylveste fanden, war kaum damit zu rechnen, dass er freiwillig an Bord kommen würde.

»Wissen Sie, was aus Pascale geworden ist?«, fragte Sylveste.

»Sie ist in Sicherheit«, sagte der Augenarzt, der ihn durch enge Felsentunnel in Mantells Tiefen führte. »Das habe ich zumindest gehört«, fügte er hinzu und schwächte damit Sylvestes Zuversicht. »Aber ich könnte mich auch irren. Ich glaube nicht, dass Sluka sie töten ließe, ohne einen triftigen Grund zu haben, aber möglicherweise hat man sie eingefroren.«

»Eingefroren?«

»So lange, bis man etwas mit ihr anfangen kann. Sie haben inzwischen sicher gemerkt, dass Sluka langfristig plant.«

Wellen von Übelkeit brandeten über Sylveste hinweg. Seine Augen schmerzten, aber wenigstens konnte er sehen. Damit tröstete er sich immer wieder. Sehen zu können war ein Fortschritt. Ein Blinder war machtlos und musste im Grunde tun, was man ihm sagte. Eine Flucht mochte auch jetzt noch unmöglich sein, aber zumindest brauchte er nicht mehr so würdelos umherzustolpern. Wobei sein Sehvermögen so schwach war, dass sich das primitivste Urtier dafür geschämt hätte. Räumliche Tiefe konnte er nur unzuverlässig wahrnehmen und Farbe gab es in seiner Welt lediglich als verschiedene Nuancen von Graugrün.

Er musste sich ganz auf seine Erinnerungen verlassen.

Er hatte Mantell seit der Nacht des Umsturzes vor zwanzig Jahren nicht mehr gesehen. Des ersten Umsturzes, verbesserte er sich. Seit Girardieu seinerseits abgesetzt war, hatte Sylveste sich angewöhnt, seine eigene Entthronung als historisches Ereignis zu betrachten. Girardieus Regierung hatte die Station nicht sofort geschlossen, obwohl die Erforschung der Amarantin im Widerspruch zum Programm der Fluter stand. Nach dem Umsturz hatte man die Arbeiten fünf oder sechs Jahre lang weiterlaufen lassen, aber einen von Sylvestes fähigsten Archäologen nach dem anderen nach Cuvier zurückbeordert und durch Öko-Ingenieure, Botaniker und Spezialisten für Geothermalenergie ersetzt. Schließlich wurde Mantell nur noch als Experimentalstation mit minimaler Besetzung geführt, große Teile wurden eingemottet oder verwahrlosten. Dabei wäre es wohl geblieben, doch dann tauchten Schwierigkeiten von anderer Seite auf. Schon seit Jahren kursierten Gerüchte, wonach die Führer des Wahren Weges in Cuvier, Resurgam City oder wie die Stadt sonst noch genannt wurde, von außerhalb gesteuert würden, von einer Clique ehemaliger Girardieu-Anhänger, die bei den Intrigen im Vorfeld des ersten Umsturzes den Kürzeren gezogen hatten. Diese ›Briganten‹ hatten angeblich mit Hilfe biotechnischer Verfahren, die sie Captain Remilliod abgekauft hatten, ihren Organismus so weit modifiziert, dass sie die staubige, sauerstoffarme Atmosphäre außerhalb der Kuppeln atmen konnten.

Solche Geschichten waren nicht neu. Doch nach den ersten Überfällen auf eine Reihe von Außenposten gewannen sie sehr an Überzeugungskraft. Sylveste wusste, dass man Mantell irgendwann aufgegeben hatte, das hieß, die derzeitigen Bewohner waren nicht erst seit Girardieus Ermordung eingezogen, sondern hausten hier vielleicht schon seit Monaten oder gar seit Jahren.

Jedenfalls gebärdeten sie sich wie die Herren im Haus. Sylveste wusste, dass der Raum, den er und der Arzt schließlich betraten, derselbe war, in dem ihn Gillian Sluka nach seiner Gefangennahme — wann immer das gewesen sein mochte — empfangen hatte. Aber er erkannte ihn nicht wieder: durchaus möglich, dass er während seiner Tätigkeit in Mantell hier wie zu Hause gewesen war, jetzt gab es keine Anhaltspunkte mehr, die ihm hätten helfen können. Die Ausstattung und die Möbel — soweit vorhanden — waren vollständig ersetzt worden. Sluka stand mit dem Rücken zu ihm neben einem Tisch und hatte die behandschuhten Hände in die Hüften gestemmt. Sie trug eine weite, knielange Jacke mit ledernen Schulterstücken in einer Farbe, die seine Augen als schmutziges Olivgrün wiedergaben. Das Haar hing ihr zum Zopf geflochten auf den Rücken.

Entoptische Figuren projizierte sie nicht. Zu beiden Seiten des Raums schwebten Planetenkugeln über schlanken Schwanenhalssockeln. Die Decke strahlte eine tageslichtähnliche Helligkeit aus, der seine Augen jede Wärme entzogen.

»Bei unserem ersten Gespräch nach Ihrer Gefangennahme«, begann sie mit ihrer heiseren Stimme, »hatte ich fast den Eindruck, als wüssten Sie nicht, wo Sie mich unterbringen sollten.«

»Ich hatte Sie immer für tot gehalten.«

»Den Eindruck wollten Girardieus Leute auch erwecken. Die Geschichte, unser Schlepper sei unter einem Erdrutsch begraben worden — eine einzige Lüge! Wir wurden angegriffen — sie dachten natürlich, Sie wären bei uns.«

»Warum haben sie mich dann nicht später an der Ausgrabungsstätte getötet?«

»Weil sie inzwischen begriffen hatten, dass Sie lebend nützlicher waren. Girardieu war kein Dummkopf — er hat immer Gewinn aus Ihnen gezogen.«

»Wenn Sie die Grabung nicht verlassen hätten, wäre das alles nicht passiert. Wie haben Sie eigentlich überlebt?«