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»Wie groß ist seine Sprengkraft?«

»Etwa zwei Kilotonnen. Das genügt, um in Cuvier ein großes Loch zu reißen.«

Sylveste begriff, was das bedeutete, und nickte nachdenklich. Dabei versuchte er sich auszumalen, was die Menschen empfunden haben mussten, die getötet wurden oder ihr Augenlicht verloren, als der Wahre Weg mit diesem Stecknadelkopf die Hauptstadt angriff. Durch den leichten Druckunterschied zwischen den Kuppeln und der Außenluft waren sicher verheerende Stürme entstanden, die über das geordnete Gemeinwesen hinwegfegten. Im Geiste sah er vor sich, wie die Bäume und Pflanzen in den Baumschulen von der Wucht des Hurrikans entwurzelt und in Stücke gerissen, Vögel und andere Tiere einfach durch die Luft geschleudert wurden. Wer die Zerstörung der Kuppel überlebt hatte — schwer zu sagen, wie viele das gewesen sein mochten —, musste rasch unter die Erde flüchten, bevor die gesamte Luft entwich und man an Resurgams Atmosphäre erstickte. Zwar war die Luft inzwischen eher atembar als noch vor zwanzig Jahren, aber man musste immer noch lernen, darin zu überleben, und sei es nur für wenige Minuten. Die meisten Bewohner hatten die Hauptstadt nie verlassen. Sie hatten keine Chance gehabt.

»Warum?«, fragte er.

»Es war ein…« Sie brach ab. »Ich wollte sagen, es war ein Fehler, aber darauf könnten Sie mir erwidern, im Krieg gebe es keine Fehler, nur mehr oder weniger glückliche Zufälle. Zumindest hatten wir nicht die Absicht, den Stecknadelkopf tatsächlich einzusetzen. Es war so gedacht, dass Girardieus Getreue die Stadt übergeben sollten, sobald sie erfuhren, dass sich die Waffe in unserem Besitz befand. Aber es kam ganz anders. Girardieu selbst hatte zwar von der Existenz der Stecknadelköpfe gewusst, aber er hatte seine Untergebenen nicht darüber informiert. Deshalb nahm man unsere Drohung nicht ernst.«

Was dann geschah, verstand sich von selbst. Die Briganten waren frustriert, weil man ihnen nicht glaubte, und hatten die Waffe dann doch eingesetzt. Aber die Hauptstadt war immer noch bewohnt, das hatte Sluka gleich zu Anfang deutlich gemacht. Girardieus Getreue gaben sie nicht aus der Hand. Sylveste stellte sich vor, wie sie in unterirdischen Bunkern saßen und alles verwalteten, während über ihnen die Staubstürme an den nackten Gerüsten der zerstörten Kuppeln zerrten.

»Sie sehen«, sagte die Frau, »man sollte uns nicht unterschätzen, besonders nicht, wenn man noch gewisse Bindungen an Girardieus Regime hat.«

»Was haben Sie mit den anderen Waffen vor?«

»Infiltration. Ohne Abschirmung ist so ein Stecknadelkopf klein genug, um ihn in einen Zahn einzusetzen. Dort könnte er höchstens bei einer gründlichen medizinischen Untersuchung entdeckt werden.«

»Sieht so Ihr Plan aus?«, fragte er. »Sie suchen sich acht Freiwillige, die sich diese Dinger implantieren lassen? Und diese acht schleusen Sie dann wieder in die Hauptstadt ein? Diesmal würde man Ihnen vermutlich glauben.«

»Wir brauchen nicht einmal Freiwillige«, verbesserte Sluka. »Sie wären vorzuziehen, aber notwendig sind sie nicht.«

Wider besseres Wissen bemerkte Sylvester »Gillian, ich glaube, vor fünfzehn Jahren haben Sie mir besser gefallen.«

»Bringen Sie ihn in seine Zelle zurück«, befahl sie Falkender. »Er fängt an, mich zu langweilen.«

Der Arzt zupfte ihn am Ärmel.

»Darf ich mich noch etwas länger mit seinen Augen beschäftigen, Gillian? Ich könnte mehr erreichen, allerdings nur unter größeren Beschwerden.«

»Tun Sie, was Sie wollen«, sagte Sluka. »Aber Sie sind zu nichts verpflichtet. Ich muss gestehen, seit er sich in meiner Gewalt befindet, bin ich fast ein wenig enttäuscht von ihm. Wahrscheinlich hat auch er mir besser gefallen, bevor ihn Girardieu zum Märtyrer machte.« Sie zuckte die Achseln. »Wir können ihn nicht einfach wegwerfen, dafür ist er zu wertvoll, aber vielleicht lasse ich ihn zunächst einfrieren, bis uns etwas Besseres einfällt. In einem oder auch in fünf Jahren kann ich eventuell mehr mit ihm anfangen. Damit will ich nur sagen, es wäre schade, allzu viel Zeit auf jemanden zu verschwenden, von dem wir ohnehin bald genug haben könnten, Dr. Falkender.«

»Der Erfolg ist des Chirurgen schönster Lohn«, bemerkte Falkender.

»Ich sehe gut genug«, erklärte Sylveste.

»O nein«, widersprach der Arzt. »Ich kann viel mehr für Sie tun, Dr. Sylveste. Sehr viel mehr. Ich habe noch kaum angefangen.«

Volyova war unten bei Captain Brannigan, als eine Pförtnerratte ihr mitteilte, die Berichte der Kiesel seien eingetroffen. Sie wollte neue Proben von der Peripherie des Captains nehmen, die jüngsten Erfolge eines ihrer Retrovirenstämme gegen die Seuche hatten ihr Mut gemacht. Sie hatte eines der militärischen Cyberviren, die das Schiff getroffen hatten, modifiziert und mit der Seuche kompatibel gemacht. Erstaunlicherweise schien es tatsächlich zu wirken — zumindest bei den kleinen Proben, an denen sie es bisher ausprobiert hatte. Wie ärgerlich, dachte sie, wegen etwas aus der Arbeit gerissen zu werden, das sie neun Monate zuvor in die Wege geleitet und in der Zwischenzeit fast vergessen hatte — wobei sie im ersten Moment nicht glauben wollte, dass tatsächlich so viel Zeit vergangen war. Doch die Aussicht auf neue Informationen war erregend.

Sie nahm den Fahrstuhl nach oben. Neun Monate, tatsächlich. Nicht zu fassen, wie schnell die Zeit verging, wenn man arbeitete. Sie hätte es wissen müssen, und im Grunde war ihr auch bekannt, wie lange es her war, die Information war nur nicht in den Teil ihres Bewusstseins vorgedrungen, mit dem sie solche Dinge zur Kenntnis nahm und sich aktiv damit auseinander setzte. Es hatte genügend Anhaltspunkte gegeben. Das Schiff trödelte nur noch mit einem Viertel Lichtgeschwindigkeit dahin. In etwa hundert Tagen würde es endgültig in den Resurgam-Orbit einschießen und dann brauchten sie eine Strategie. Hier kamen die Kiesel ins Spiel.

Auf der Brücke erschienen Schnappschüsse von Resurgam und der näheren Umgebung in verschiedenen elektromagnetischen und exotischen Teilchenspektren. Es waren die ersten neueren Bilder eines potenziellen Feindes. Volyova prägte sich die wichtigsten Fakten tief ins Bewusstsein ein, um sie in einer Krise mühelos instinktiv abrufen zu können. Die Kiesel waren zu beiden Seiten an Resurgam vorbeigerast, so dass es Daten von der Tag- wie von der Nachtseite gab. Außerdem hatte sich die Kieselwolke im Lauf des Fluges so weit auseinandergezogen, dass zwischen der ersten und der letzten Einheit, die das System passierte, fünfzehn Stunden lagen. So konnte sie Resurgams gesamte Oberfläche beleuchtet und im Dunkeln betrachten. Die Kiesel über der Tagseite wandten Delta Pavonis den Rücken zu und suchten nach Neutrinostrahlung aus Fusions- und Antimateriekraftwerken auf der Oberfläche. Die Kiesel auf der Nachtseite suchten nach Wärmesignaturen von Bevölkerungszentren und Orbitalanlagen. Andere Sensoren prüften die Atmosphäre, maßen Sauerstoff—, Ozon- und Stickstoffwerte und stellten fest, in welchem Ausmaß die Kolonisten die planetare Biosphäre verändert hatten.

Wenn man berücksichtigte, dass die Kolonisten seit mehr als fünfzig Jahren hier waren, hatten sie auf auffallend vieles verzichtet. Es gab keine großen Orbitalstationen, keine Einrichtungen für den interplanetaren Flugverkehr. Nur ein paar Kommunikationssatelliten umkreisten den Planeten, und ob die repariert oder ersetzt werden konnten, falls sie beschädigt wurden, war zu bezweifeln, da es auf der Planetenoberfläche keine größeren Industrieanlagen gab. Die wenigen noch verbliebenen Satelliten außer Betrieb zu setzen oder zu stören wäre ein Kinderspiel, falls das im Rahmen ihres bislang noch nicht formulierten Planes erforderlich werden sollte.

Dennoch waren die Siedler nicht untätig gewesen. Die Atmosphäre zeigte Spuren extensiver Veränderung, der freie Sauerstoff lag weit über den Werten, die Volyova erwartet hätte. Die Infrarot-Sensoren meldeten geothermische Bohrungen entlang einer Linie, an der sich mit Sicherheit kontinentale Subduktionszonen befanden. Der Neutrinoausstoß an den Polarzonen wies auf Sauerstofffabriken hin — Fusionsanlagen, die Wassereis-Moleküle in Sauerstoff und Wasserstoff zerlegten. Der Sauerstoff wurde an die Atmosphäre abgegeben — oder in überkuppelte Wohngebiete gepumpt —, während der Wasserstoff in die Fusoren zurückgeleitet wurde. Volyova identifizierte mehr als fünfzig solcher Wohngebiete, aber die meisten waren unbedeutend und keines war auch nur annähernd so groß wie die Hauptsiedlung. Vermutlich gab es noch weitere, kleinere Außenposten — Stationen und Heimstätten in Familienbesitz —, aber die würden die Kiesel nicht finden.