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»Natürlich bin ich…« Khouri brach ab. Was Fazil sagte, ergab keinen Sinn, aber die Erinnerung an jenen anderen Ort ließ sie nicht los; an den Raum mit den Metallwänden und dem brutalen Stuhl. Sie hatte das Gefühl, als sei dort noch etwas unerledigt — als stehe die Lösung gar unmittelbar bevor. Wo immer dieser Raum war, sie sollte eigentlich dort sein und sich am Kampf beteiligen, obwohl sie nicht wusste, worum es ging. Sie ahnte nur, dass nicht mehr viel Zeit war, dass sie sich dieses Intermezzo ganz sicher nicht leisten konnte.

»Oh, mach dir deshalb keine Sorgen«, beschwichtigte Fazil. Er konnte offenbar ihre Gedanken lesen. »Unsere Unterhaltung findet nicht in Realzeit statt; nicht einmal in der beschleunigten Realzeit des Leitstandes. Hast du noch nie erlebt, dass du unversehens von jemandem aus einem Traum geweckt wirst, dessen Handlungen schon lange vorher in die Traumgeschichte verwoben waren? Du verstehst, was ich meine: du wachst auf, weil dir dein Hund das Gesicht leckt, und im Traum bist du auf einem Schiff und fällst über Bord ins Meer. Aber auf dem Schiff warst du schon von Anfang des Traumes an.« Er hielt inne. »Eine Erinnerung, Khouri. Eine Erinnerung, die unverzüglich konserviert wird. Der Traum kam dir ganz wirklich vor, aber er entstand in dem Moment, als der Hund anfing, dir das Gesicht zu lecken. Eine Rekonstruktion. Du hast ihn nie wirklich erlebt. Genauso ist es mit diesen Erinnerungen.«

Als Fazil den Leitstand erwähnte, hatte sich das Bild des Raumes verfestigt. Das Gefühl, dort sein und in einen Kampf eingreifen zu müssen, wurde noch stärker. Die Einzelheiten ließen sich immer noch nicht fassen, aber es erschien Khouri sehr wichtig, sofort zurückzukehren.

»Die Mademoiselle«, fuhr Fazil fort, »hätte auch jeden anderen Schauplatz aus deiner Vergangenheit wählen oder eine neue Szenerie erschaffen können. Aber sie fand, es könnte hilfreich sein, dich in eine geistige Verfassung zu bringen, in der dir ein Gespräch über militärische Fragen ganz natürlich vorkäme.«

»Militärische Fragen?«

»Genauer gesagt, über einen Krieg.« Als er lächelte, bogen sich die Spitzen seines Schnurrbarts kurz nach oben, wie um das Prinzip einer freitragenden Brücke zu demonstrieren. »Allerdings über einen Krieg, von dem du wahrscheinlich noch nie gelesen hast. Nein; dafür ist er schon viel zu lange her.« Er stand unvermittelt auf, zog seinen Waffenrock glatt und rückte den Gürtel zurecht. »Vielleicht wäre es sogar ganz nützlich, dazu in den Besprechungsraum zu gehen.«

Zwölf

Cygni-A

(Simulation)

2483

Der Besprechungsraum, in den Fazil sie führte, war ganz anders als alle derartigen Räume, die Khouri je besucht hatte. Auf jeden Fall war er viel zu groß, als dass er im Zelt hätte Platz finden können. Und Khouri hatte zwar Erfahrung mit Projektionsgeräten verschiedenster Art, aber keines hätte ihr das zeigen können, was sie jetzt zu sehen bekam. Der ganze Boden war auf einer Breite von etwa zwanzig Metern davon bedeckt. Es war von einem Laufsteg mit Metallgeländer umgeben.

Es war eine Karte der gesamten Galaxis.

Und ein ganz einfacher Umstand bewies, dass diese Karte von keinem der ihr bekannten Geräte hätte projiziert werden können. Mit einem Blick darauf konnte sie nämlich jeden einzelnen Stern in der Galaxis erfassen — sehen und identifizieren — vom kühlsten Braunen Zwerg mit fast erloschener Fusionstätigkeit bis hinauf zum hellsten, kurzfristig weißglühenden Superriesen. Und nicht genug damit, dass jeder Stern in der Galaxis verzeichnet war und sie ihn wahrnehmen konnte, wenn ihr Blick darauf fiel. Es ging noch weiter. Sie konnte die ganze Galaxis mit einem einzigen Blick erkennen. Sie in ihrer Gesamtheit assimilieren.

Sie konnte die Sterne zählen.

Es waren vierhundertsechsundsechzig Milliarden dreihundertelf Millionen neunhundertzweiundzwanzigtausend und achthundertelf Sterne. Vor Khouris Augen explodierte einer der weißen Superriesen zu einer Supernova, und sie korrigierte die Zahl um eins nach unten.

»Ein Trick«, sagte Fazil. »Die Karte ist codifiziert. Die Galaxis hat mehr Sterne, als das menschliche Gehirn Zellen hat, sie alle zu kennen, würde also einen allzu großen Teil deiner gesamten Erinnerungsspeicher besetzen, und das wäre nicht wünschenswert. Was natürlich nicht heißt, dass das Gefühl der Allwissenheit nicht simuliert werden könnte.«

Tatsächlich war die Galaxisdarstellung viel zu detailliert, um wirklich von einer Karte sprechen zu können. Nicht nur, dass die charakteristischen Eigenschaften jedes Sterns — Farbe, Größe, Leuchtkraft, Begleitsterne, Positionen und Bahngeschwindigkeiten — präzise vermerkt waren, man sah auch Regionen, wo Sterne entstanden, dünne, schwach leuchtende Schleier aus kondensierendem Gas, in denen immer heißer werdende Glutkörnchen, die Sonnenembryonen, eingebettet waren. Junge, von Scheiben aus protoplanetarem Material umgebene Sterne waren zu beobachten, und wenn sie wollte, sah sie ganze Planetensysteme wie mikroskopisch kleine Planetarien mit ungeheurer Beschleunigung um ihre Zentralgestirne kreisen. Sie entdeckte alte Sterne, die ihre Photosphäre schichtweise abgestoßen und ins All geschleudert hatten, um damit das dünne interstellare Medium anzureichern: das elementare Protoplasma-Reservoir, aus dem irgendwann künftige Sternengenerationen, Welten und Kulturen entstehen würden. Supernova-Reste verschiedenster Art trieben auseinander, kühlten dabei aus und strahlten ihre Energie an das interstellare Medium ab. Manchmal konnte sie im Herzen einer solchen Sternenkatastrophe einen neu geschmiedeten Pulsar beobachten, der mit würdevoller Präzision ständig langsamer werdende Radiowellen aussendete — vergleichbar einer Uhr in einem längst vergessenen Kaiserpalast, die, ein letztes Mal aufgezogen, bis zum Ende weitertickte, wobei der Abstand von einem Ticken zum nächsten immer länger wurde, bis schließlich alles in frostiger Unendlichkeit erstarb. Auch Schwarze Löcher befanden sich im Herzen solcher Trümmerfelder. Ein gewaltiges (wenn auch im Augenblick noch nicht aktives) Schwarzes Loch lauerte im Herzen der Galaxis, umgeben von einem Schwarm zum Untergang verurteilter Sterne, die es eines Tages in seinen Ereignishorizont ziehen und mit einer Röntgenstrahlen-Explosion von apokalyptischen Ausmaßen in Stücke reißen würde.

Und die Darstellung beschränkte sich nicht nur auf die astrophysikalische Seite dieser Galaxis. Es war, als lege sich lautlos eine neue Schicht von Erinnerungen über Khouris Bewusstsein. Plötzlich wimmelte die Galaxis von Leben; eine Million Zivilisationen verteilten sich nach einem Pseudo-Zufallsprinzip über die große, langsam rotierende Scheibe.

Doch das war Vergangenheit — tiefe, tiefe Vergangenheit.

»Seither«, sagte Fazil, »sind etwa eine Milliarde Jahre vergangen. Ein für galaktische Verhältnisse beachtlicher Zeitraum, besonders wenn man berücksichtigt, dass das gesamte Universum nur etwa fünfzehn Mal so alt ist.« Er stand neben ihr auf dem Laufsteg, und beide beugten sich über das Metallgeländer wie ein junges Paar, das in einem schwarzen, mit schwimmenden Brotstücken übersäten Teich sein Spiegelbild betrachtete. »Um dir eine gewisse Vorstellung zu geben — die Menschheit existierte vor einer Milliarde Jahren noch nicht, auch die Dinosaurier entwickelten sich erst vor knapp zweihundert Millionen Jahren; einem Fünftel des Zeitraums, mit dem wir uns hier beschäftigen. Nein; wir stecken noch mitten im Präkambrium. Auf der Erde gab es Leben, aber keine Vielzeller — höchstens ein paar Schwämme, wenn man Glück hatte.« Wieder betrachtete Fazil die Galaxis-Darstellung. »Aber das war nicht überall so.«

Die Zivilisationen, etwa eine Million (Khouri hätte die Zahl mit unglaublicher Präzision bestimmen können, aber das erschien ihr plötzlich so kindisch und pedantisch, als gäbe man sein Alter auf den Monat genau an), waren nicht alle zur gleichen Zeit entstanden und hatten sich nicht alle gleich lange erhalten. Fazil zufolge (aber das sah sie auf einer sehr elementaren Ebene auch selbst) hatte die Galaxis erst vor vier Milliarden Jahren eine Entwicklungsstufe erreicht, die das Aufkommen intelligenter Strukturen ermöglichte. Doch auch an diesem Punkt minimaler galaktischer Reife waren nicht alle Zivilisationen schlagartig zur gleichen Zeit aufgetaucht. Die Entwicklung der Intelligenz war in Schüben verlaufen, einige Zivilisationen hatten sich Welten ausgesucht, wo das Tempo der Evolution aus welchen Gründen auch immer hinter der Norm zurückblieb, manchmal war der Aufstieg des Lebens auch von einer ungewöhnlich hohen Katastrophendichte behindert worden.