»Natürlich; wie hätte ich sonst Nagorny getötet?« Sehr zuversichtlich klang das nicht. »Njet… kein Zugriff auf den Antrieb; habe wohl jede Einwirkung unmöglich gemacht, als ich Palsy…« Jetzt faselte sie. »Khouri, ich fange an, ein klein wenig zu verzweifeln… wenn Sie diese Waffen…«
Daraufhin meldete sich die Mademoiselle zu Wort. »Sie ist schon tot, Khouri«, stellte sie mit verständlicher Genugtuung fest. »Und sie müssten jetzt in einem Winkel schießen, bei dem sich die Hälfte der Waffen abschalten würde, um nicht das Schiff zu beschädigen. Wenn Sie mit den übrigen das Weltraumgeschütz auch nur streiften, hätten Sie Glück gehabt.«
Sie hatte Recht — Khouri war fast entgangen, dass sich ganze Blöcke der potenziell verfügbaren Verteidigungssysteme selbsttätig gesichert hatten, um nicht in Gefahr zu geraten, auf wichtige Schiffskomponenten zu zielen. Damit blieben nur die leichtesten Waffen übrig, die ohnehin keine größeren Schäden anrichten konnten.
Ein Widerstand brach zusammen — vielleicht deshalb.
Khouri hatte mit einem Mal mehr Kontrolle über die Waffen. Und sie betrachtete es sogar als Vorteil, dass die Feuerkraft der verbliebenen Systeme beschränkt war. Sie hatte ihre Pläne geändert. Sie brauchte keine brutale Gewalt mehr, sie brauchte chirurgische Präzision.
Khouri nützte die Atempause, bevor die Mademoiselle die Waffen zurückeroberte, um die ursprünglichen Zieleinstellungen zu löschen und neue Koordinaten einzugeben. Ihre Anweisungen waren sehr präzise. Die Waffen setzten sich so langsam in Bewegung, als schwämmen sie in Sirup, dann richteten sie sich auf das Objekt, das sie ausgewählt hatte. Nicht das Weltraumgeschütz, sondern etwas anderes…
»Khouri«, begann die Mademoiselle, »Sie sollten sich das wirklich noch einmal überlegen…«
Aber Khouri hatte schon abgedrückt.
Plasmafontänen strömten auf das Weltraumgeschütz zu und trafen — nicht das Geschütz selbst, sondern den Spinnenraum. Alle acht Beine und danach alle vier Greifleinen wurden sauber durchtrennt. Der Raum wurde sozusagen in Kniehöhe amputiert und zugleich vom Lichtspeer des Antriebs weggeschleudert.
Das Weltraumgeschütz schwebte in den Strahl wie ein Falter in eine brennende Laterne.
Was dann geschah, war so unmenschlich schnell vorüber, dass Khouri es erst im Nachhinein richtig erfasste. Die Außenhülle des Weltraumgeschützes verdampfte im Bruchteil einer Sekunde zu einer größtenteils metallischen Wolke. Ob der Kontakt mit dem Abgasstrahl das Folgende auslöste oder ob das Waffensystem nicht anders konnte, als im Augenblick seiner Zerstörung sein Innerstes nach außen zu kehren, war nicht zu entscheiden.
Wie auch immer, die Dinge entwickelten sich nicht ganz im Sinne ihrer Erfinder.
Mehr oder weniger im gleichen Moment stieß das, was unter der ausgeweideten Hülle noch übrig war, einen langen Gravitationsrülpser aus, ein Raumzeitbäuerchen von gewaltiger Durchschlagskraft. Es richtete zwar in unmittelbarer Nähe des Geschützes verheerende Schäden an der Realität an, aber nicht so, wie ursprünglich geplant. Ein Regenbogen gebeugten Sternenlichts umflackerte die gerinnende Plasmaenergie. Eine Millisekunde lang bildete der Regenbogen fast eine stabile Kugel, dann begann er zu zittern und zu schillern wie eine Seifenblase kurz vor dem Platzen. Einen Millisekundenbruchteil später implodierte die Kugel und verschwand mit exponentieller Beschleunigung.
Im nächsten Augenblick war nichts mehr da. Nicht einmal Trümmer schwebten vor der sternenübersäten Kulisse des Normalraums.
Dann erschien ein Lichtpunkt, der sich ins Ultraviolette verfärbte. Er vergrößerte sich und schwoll zu einer bedrohlich grellen Kugel an. Die expandierende Plasmawelle traf das Schiff und erzeugte so heftige Erschütterungen, dass Khouri sie selbst in ihrem kardanisch aufgehängten Kampfsitz spürte. Ein Datenschwall sagte ihr — obwohl sie es gar nicht unbedingt wissen wollte —, die Explosion hätte keines der Rumpfsysteme schwer beschädigt und die kurze, intensive Hintergrundstrahlung durch den Blitz sei innerhalb tolerabler Grenzwerte geblieben. Die gravimetrischen Werte seien schlagartig auf Normal zurückgefallen.
Die Raumzeit war angestochen, auf Quantenniveau durchstoßen worden und hatte einen winzigen Blitz Planck-Energie abgegeben. Winzig im Verhältnis zu den Energien, die normalerweise im Raumzeit-Schaum brodelten. Doch jenseits der Grenzen des Normalraums wirkte der lächerlich geringe Ausstoß, als würde im Nachbarhaus eine Atombombe gezündet. Das Loch in der Raumzeit hatte sich sofort wieder geschlossen, bevor größerer Schaden entstehen konnte. Als Spuren des Geschehens blieben nur einige Rest-Monopole zurück, schwarze Löcher mit geringer Masse und andere exotische Teilchen.
Das Weltraumgeschütz hatte katastrophal versagt.
»Großartig«, sagte die Mademoiselle. Es klang tief enttäuscht. »Sie können wirklich stolz auf sich sein.«
Doch Khouri interessierte sich nur für die seltsame Leere, die durch den Waffenraum auf sie zugerast kam. Sie versuchte, sich rechtzeitig zurückzuziehen, die Verbindung zu kappen…
Aber sie war nicht schnell genug.
Dreizehn
Im Orbit um Resurgam
2566
»Sitz«, befahl Volyova, als sie die Brücke betrat.
Diensteifrig kam ein Sessel auf sie zu geschwenkt. Sie nahm Platz und schnallte sich fest. Dann steuerte sie ihn von den ansteigenden Sitzreihen weg und umkreiste die gewaltige holografische Projektionssphäre in der Mitte des Raumes.
Die Sphäre zeigte einen Blick auf Resurgam. Zwar glaubte man eher, den eingetrockneten Augapfel einer uralten Mumie in mehrhundertfacher Vergrößerung vor sich zu haben, aber Volyova wusste, dass es sich um mehr als nur ein genaues Abbild des Planeten handelte. Das Bild war nicht nur eine Simulation aus der Datenbank des Schiffes. Resurgam wurde in Echtzeit dargestellt; eingefangen von den Kameras am Schiffsrumpf, die in diesem Moment darauf gerichtet waren.
Niemand hätte die Welt als schön bezeichnet. Abgesehen von den schmutzig weißen Polarkappen war sie von einem einheitlichen Totenschädelgrau, das nur von einigen rostbraunen Schorfkrusten und kläglich wenigen blaugrauen Flecken nahe des Äquators unterbrochen wurde. Die größeren Ozeane lagen zum größten Teil noch immer unter einer dicken Eisschicht, und die winzigen freien Wasserflächen mussten höchstwahrscheinlich mit Thermalenergie oder durch fein abgestimmte biotechnische Verfahren künstlich erwärmt werden, um sie vor dem Zufrieren zu bewahren. Wolken gab es nur in Form von feinen Schleiern, nicht als ausgedehnte, vielfach geschichtete Formationen, wie sie bei planetaren Wettersystemen zu erwarten gewesen wären.
Hier und da verdichteten sie sich zwar zu undurchsichtigen weißen Ganglienknoten, aber nur in unmittelbarer Nähe der Siedlungen. Dort arbeiteten die Dampffabriken, die das Polareis zu Wasser, Sauerstoff und Wasserstoff sublimierten. Nur wenige Vegetationsflächen waren groß genug, um sie ohne Vergrößerung in einem Kilometerraster erkennen zu können, auch sonst gab es kaum Spuren menschlicher Gegenwart. Nur wenn der Planet den Kameras alle neunzig Minuten seine Nachtseite zudrehte, sah man vereinzelt und weit verstreut beleuchtete Siedlungen. Sie waren selbst mit dem Zoom kaum zu erfassen, da sie — mit Ausnahme der Hauptstadt — zum größten Teil unterirdisch angelegt waren. Oft gab es außer Antennen, Landefeldern und windschnittigen Treibhausdächern an der Oberfläche kaum etwas zu sehen. Von der Hauptstadt…
Das war das Beunruhigende.
»Wann öffnet sich das Fenster für das Gespräch mit Triumvir Sajaki?«, fragte sie mit einem schnellen Blick zu den anderen Besatzungsmitgliedern, die ihre Sitze in lockerer Runde unter dem aschgrauen Lichtkegel des Planetenabbilds postiert hatten.
»In fünf Minuten«, sagte Hegazi. »Fünf qualvolle Minuten müssen wir noch warten, dann wird uns Sajaki mit den jüngsten Erkenntnissen beglücken, die er über unsere neuen Kolonistenfreunde gewonnen hat. Können Sie die Spannung noch so lange ertragen?«