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Die Situation stellt sich ganz anders dar, als wir erwartet hatten.«

Das kann man wohl sagen, dachte Volyova. Die Kolonisten — wenigstens eine Partei — wussten genau, dass ein Schiff vor Resurgam eingetroffen war. Sie hatten es heimlich mit einem Radarstrahl erfasst. Aber sie hatten keinen Versuch unternommen, mit der Unendlichkeit Verbindung aufzunehmen — und das Schiff hatte keine Anstalten gemacht, eine Bodenstation anzurufen. Sie fand dieses Verhalten nicht weniger Besorgnis erregend als die Neutrinoquelle. Es war paranoid und ließ — nicht nur auf ihrer Seite — auf verborgene Motive schließen. Aber sie zwang sich, darüber nicht weiter nachzudenken. Sajaki redete immer noch, und sie wollte kein Wort seines Berichtes verpassen.

»Ich habe viel über die Kolonie zu erzählen«, sagte er, »und das Fenster ist nur kurz. Also beginne ich mit der Nachricht, auf die Sie sicher schon ungeduldig warten. Wir haben Sylveste gefunden; jetzt geht es nur noch darum, ihn in die Hand zu bekommen.«

Sluka saß hinter einem ovalen, schwarzen Tisch und schüttete Kaffee in sich hinein. Resurgams Morgensonne schien durch die halb geschlossenen Jalousien ins Zimmer und zeichnete ihr feurige Streifen auf die Haut.

»Ich möchte Ihre Meinung zu einer bestimmten Frage hören.«

»Die Besucher?«

»Wie scharfsinnig.« Sie schenkte ihm eine Tasse ein und wies mit der Hand auf den Sessel vor dem Tisch. Sylveste setzte sich und sank immer tiefer, bis er kleiner war als sie. »Befriedigen Sie meine Neugier, Dr. Sylveste, und sagen Sie mir genau, was Sie gehört haben.«

»Ich habe nichts gehört.«

»Dann ist die Sache ja auch schnell erzählt.«

Er lächelte, obwohl er vor Müdigkeit noch ganz benommen war. Zum zweiten Mal an diesem Tag hatten ihn ihre Wärter aus dem Schlaf gerissen und halbwach und desorientiert aus seiner Zelle gezerrt. Pascales Duft umschwebte ihn, und er fragte sich, ob sie irgendwo am anderen Ende von Mantell wohl noch in ihrer Zelle schliefe. Seit er sich selbst davon überzeugt hatte, dass sie lebte und wohlauf war, konnte er die Einsamkeit besser ertragen. Zwar hatte man ihm das vorher mehrmals versichert, aber er hatte keinen Anlass gehabt, Slukas Leuten zu glauben. Was konnte Pascale den Anhängern des Wahren Weges schließlich nützen? Noch weniger als er — und Sluka hatte doch schon große Zweifel, ob es sinnvoll sei, ihn am Leben zu lassen.

Doch jetzt kamen die Dinge in Bewegung. Man hatte ihm ein Treffen mit Pascale ermöglicht, und es würde vermutlich nicht das letzte sein. Hatte sich in Slukas Seele ein Funken Menschlichkeit geregt, oder hatte diese Entwicklung etwas ganz anderes zu bedeuten — musste sie womöglich damit rechnen, schon bald auf einen von ihnen angewiesen zu sein, und wollte nun anfangen, sich lieb Kind zu machen?

Sylveste trank. Der Kaffee vertrieb die Müdigkeit rasch. »Ich habe nur gehört, wir würden vielleicht Besuch bekommen. Daraus habe ich meine Schlüsse gezogen.«

»Die Sie mir sicher mit großem Vergnügen mitteilen würden.«

»Könnten wir vorher kurz über Pascale sprechen?«

Sie sah ihn über den Tassenrand hinweg an, dann nickte sie kurz wie eine mechanische Puppe. »Sie bieten mir Informationen — wofür? Gewisse Zugeständnisse bei den Bedingungen Ihrer Gefangenschaft?«

»Ich fände das nicht übertrieben.«

»Es käme darauf an, wie wertvoll Ihre Spekulationen sind.«

»Spekulationen worüber?«

»Über die Identität der Besucher.« Sluka starrte mit schmalen Augen in die grellroten Streifen, die durch die Ritzen der Jalousie fielen. »Der Himmel weiß warum, aber ich möchte gern Ihre Sicht der Dinge hören.«

»Zuerst müssten Sie mir sagen, was Sie wissen.«

»Dazu kommen wir noch.« Sluka musste sich ein Lächeln verkneifen. »Zuerst sollte ich einräumen, dass ich Ihnen einen Schritt voraus bin.«

»In welcher Beziehung?«

»Wer sollen diese Leute schon sein, wenn nicht Remilliod und seine Besatzung?«

Damit gab sie praktisch zu, dass sie sein Gespräch mit Pascale — und damit auch alles andere, was zwischen ihnen vorgefallen war — hatte überwachen lassen. Er war weniger schockiert als erwartet. Offensichtlich hatte er den Verdacht schon die ganze Zeit gehegt, es aber vorgezogen, sich nicht damit zu beschäftigen.

»Gut gemacht, Sluka. Sie haben Falkender befohlen, die Besucher mir gegenüber zu erwähnen, nicht wahr? Ein geschickter Schachzug.«

»Falkender hat nur Anweisungen ausgeführt. Also, wer sind diese Leute? Remilliod hatte bereits Handelsbeziehungen mit Resurgam angeknüpft. Warum sollte er nicht zurückkommen, um sich einen zweiten Happen zu holen?«

»Dafür ist es viel zu früh. Er hätte kaum Zeit gehabt, irgendein anderes System zu erreichen, geschweige denn eines mit guten Geschäftsaussichten.« Sylveste entzog sich dem anschmiegsamen Sessel, trat ans Fenster und spähte durch die Ritzen der Eisenjalousien. Die Nordwände der Tafelberge in der Nähe leuchteten in kühlem Orange wie Bücherstapel, die gleich in Flammen aufgehen würden. Jetzt erst fiel ihm auf, dass der Himmel nicht mehr purpurrot war, sondern eher bläulich. Das musste daran liegen, dass man Megatonnen von Staub aus der Luft entfernt und durch Wasserdampf ersetzt hatte. Oder sein schlechter Farbensinn spielte ihm einen Streich.

Er berührte das Fensterglas und sagte: »Remilliod würde nie so schnell zurückkehren. Es gibt nur ganz wenige Händler, die geschäftstüchtiger sind als er.«

»Wer ist es dann?«

»Diese wenigen machen mir Sorgen.«

Sluka befahl einem ihrer Adjutanten, den Tisch abzuräumen, und forderte Sylveste auf, wieder Platz zu nehmen. Dann ließ sie vom Tisch ein Dokument ausdrucken und reichte es ihm.

»Die Information, die Sie hier sehen, erreichte uns vor drei Wochen von einem Kontaktmann in der Fackelwache Ost-Nekhebet.«

Sylveste nickte. Die Fackelwachen waren ihm ein Begriff, er hatte sogar selbst gedrängt, sie einzurichten; es handelte sich um kleine, auf ganz Resurgam verteilte Observatorien, die den Stern auf Spuren ungewöhnlicher Emissionen hin beobachteten.

Die Lektüre des Textes hatte große Ähnlichkeit mit der Entschlüsselung von Amarantin-Schriften: er musste Buchstabe für Buchstabe an jedem Wort entlang schleichen, bis ihm die Bedeutung ins Bewusstsein sprang. Cal hatte gewusst, dass Lesen zum großen Teil eine mechanische Tätigkeit war — das Problem war die Physiologie der Augenbewegung entlang einer Zeile. Er hatte dafür geeignete Routinen in Sylvestes Augen integriert, aber Falkender hatte sie nicht alle wiederherstellen können.

Immerhin wurde Folgendes klar:

Die Fackelwache in Ost-Nekhebet hatte einen Energieausstoß von bislang beispielloser Stärke aufgefangen. Für kurze Zeit befürchtete man eine Wiederholung der Sonnenfackel, mit der Delta Pavonis einst die Amarantin ausgelöscht hatte: jener gewaltigen koronaren Massenejektion, die man als das Ereignis kannte. Doch bei näherer Untersuchung zeigte sich, dass die Fackel nicht von der Sonne stammte, sondern mehrere Lichtstunden jenseits davon am Rand des Systems entstanden war.

Die Spektralanalyse des Gammastrahlenblitzes ergab eine geringe, aber messbare Dopplerverschiebung von wenigen Prozent Lichtgeschwindigkeit. Das ließ nur einen Schluss zu: der Blitz kam von einem Raumschiff, das sich nach einem Flug mit interstellaren Geschwindigkeiten in der letzten Dezelerationsphase befand.

»Da muss etwas passiert sein«, sagte Sylveste. Die Nachricht von der Zerstörung des Schiffes konnte ihn nicht aus der Ruhe bringen. »Irgendeine Störung im Antrieb.«