Выбрать главу

Sie betraten den Zylinder an einem Ende durch eine gepanzerte Türklappe, die an der Innenseite zahlreiche Brandspuren und Projektileinschläge aufwies. Die übrigen sichtbaren Flächen waren in ganz ähnlichem Zustand; so weit Khouri sehen konnte (und dank der Sichtverstärkungsprogramme des Anzugs konnte sie so weit sehen, wie sie wollte), gab es keinen Quadratmeter Wand, der nicht von irgendeiner Waffe aufgerissen, verkratzt, durchlöchert, verschrammt, ausgebeult, geschmolzen oder korrodiert gewesen wäre. Ursprünglich mochten die Wände silbern gewesen sein; jetzt leuchtete das Metall so purpurrot wie ein gigantischer Bluterguss. Beleuchtet wurde der Saal nicht aus einer stationären Lichtquelle, sondern mit Dutzenden von frei schwebenden Drohnen, von denen jede einen Bereich der Wand in strahlend helles Scheinwerferlicht tauchte. Die Drohnen waren wie aufgescheuchte Glühwürmchen in ständiger Bewegung. Infolgedessen blieb kein Schatten länger als eine Sekunde lang an derselben Stelle, und man konnte nicht länger als eine Sekunde in eine Richtung schauen, bevor ein blendend heller Beleuchtungskörper ins Blickfeld schwebte und alles andere auslöschte.

»Kommst du damit auch wirklich klar?«, fragte Sudjic, als die Tür hinter ihnen zufiel. »Du solltest den Anzug nicht beschädigen. Was man zerbricht, hat man gekauft, verstehst du?«

»Kümmere dich lieber um deine eigenen Angelegenheiten«, gab Khouri zurück. Dann schaltete sie auf die Privatverbindung um, so dass nur Sudjic allein sie hören konnte. »Vielleicht bilde ich es mir ein, aber ich werde das Gefühl nicht los, dass du mich nicht besonders leiden kannst.«

»Wie kommst du bloß auf die Idee?«

»Vielleicht hat es etwas mit Nagorny zu tun.« Khouri hielt inne. Ihr war eingefallen, dass die Privatverbindungen möglicherweise gar nicht so privat waren, andererseits wollte sie nichts sagen, was nicht jedem Lauscher und erst recht Volyova ohnehin längst bekannt gewesen wäre. »Ich weiß nicht genau, was ihm zugestoßen ist, ich weiß nur, dass ihr eng befreundet wart.«

»Befreundet ist nicht das richtige Wort, Khouri.«

»Dann eben ein Liebespaar. Ich wollte das nicht sagen, um dich nicht zu kränken.«

»Zerbrich dir nicht den Kopf darüber, ob ich gekränkt bin, Mädchen. Dafür ist es zu spät.«

Volyovas Stimme unterbrach sie. »Alle drei zur Wand hin abstoßen.«

Gehorsam schalteten sie den Antrieb ihrer Anzüge etwas höher und sprangen von der Platte am Zylinderende. Seit sie den Raum betreten hatten, waren sie im freien Fall, doch als sie nun mit zunehmender Geschwindigkeit zur Wand/Boden hinab sanken, verstärkte sich das Gefühl der Schwere. Die Veränderung war nur gering und wurde vom Luftgel abgefedert, lieferte aber immerhin so viele kleine Hinweise, dass sie ein Gefühl für oben und unten entwickeln konnten.

»Ich kann verstehen, warum du mich ablehnst«, sagte Khouri.

»Und ob du das kannst.«

»Ich habe seinen Platz eingenommen. Bin in seine Rolle geschlüpft. Nach allem, was mit ihm passiert ist, musstest du plötzlich auch mich noch ertragen.« Khouri bemühte sich, möglichst sachlich zu sprechen, als nähme sie das alles nicht persönlich. »Wenn ich in deinen Schuhen steckte, würde ich vermutlich ebenso empfinden, da bin ich ganz sicher. Aber deshalb ist es noch lange nicht richtig. Ich bin nicht dein Feind, Sudjic.«

»Mach dir keine Illusionen.«

»Worüber?«

»Dass du auch nur zu einem Zehntel verstehst, worum es hier geht.« Sudjics Anzug schwebte jetzt dicht neben Khouri: der glatte weiße Panzer hob sich grell von der beschädigten Wand ab. Khouri hatte Bilder von geisterhaft weißen Walen gesehen, die in den Meeren der Erde lebten — oder gelebt hatten. Diese Belugas, wie sie hießen, kamen ihr jetzt in den Sinn. »Hör zu«, sagte Sudjic. »Hältst du mich wirklich für so einfältig, dass ich dich nur deshalb hasse, weil du Boris’ Stelle eingenommen hast? Beleidige mich nicht, Khouri.«

»Das hatte ich bestimmt nicht vor.«

»Wenn ich dich hasse, Khouri, dann habe ich auch einen triftigen Grund dafür. Ich hasse dich, weil du ihr gehörst.« Den letzten Satz zischte sie wie eine gereizte Schlange. »Volyova. Du bist ihr Spielzeug. Ich hasse sie, und deshalb hasse ich natürlich auch alles, was ihr gehört. Besonders jeden, den sie schätzt. Und wenn ich eine Möglichkeit sähe, eins von ihren Spielsachen kaputt zu machen — glaubst du, ich würde nur einen Moment zögern?«

»Ich gehöre niemandem«, sagte Khouri. »Auch Volyova nicht.« Sie verabscheute sich selbst dafür, dass sie so energisch protestierte, und diesen Abscheu übertrug sie auf Sudjic, die sie in die Defensive gedrängt hatte. »Aber das geht dich gar nichts an. Weißt du was, Sudjic?«

»Nein, aber ich brenne vor Neugier.«

»Soviel ich gehört habe, war Boris nicht gerade der geistig gesündeste Mensch, den man sich vorstellen kann. Nicht Volyova hat ihn in den Wahnsinn getrieben, sie hat vielmehr versucht, seinen Wahn in konstruktive Bahnen zu lenken.« Ihr Anzug bremste sanft ab und sie landete mit den Füßen voran auf der verbeulten Wand. »Das hat nicht hingehauen. Wie schrecklich! Vielleicht habt ihr beiden ja gut zusammengepasst.«

»Mag schon sein.«

»Wie bitte?«

»Was du eben gesagt hast, Khouri, begeistert mich nicht unbedingt. Und wenn wir zwei allein wären und nicht in diesen Anzügen steckten, könnte ich dir ganz schnell zeigen, wie leicht es ist, dir das Genick zu brechen. Wer weiß, vielleicht bietet sich ja noch eine Gelegenheit. Aber eins muss ich zugeben. Du lässt dir nichts gefallen. Die meisten von ihren Püppchen geben sich sofort geschlagen; wenn sie nicht schon vorher auf kleiner Flamme gebraten wurden.«

»Willst du damit sagen, du hättest mich falsch eingeschätzt? Nimm es mir bitte nicht übel, wenn sich meine Dankbarkeit in Grenzen hält.«

»Ich will nur sagen, dass du ihr vielleicht nicht in dem Maße gehörst, wie sie glaubt.« Sudjic lachte. »Das ist kein Kompliment, Mädchen — nur eine Beobachtung. Wenn sie es merkt, könnte es dir schlecht bekommen. Und es heißt nicht, dass ich dich von meiner schwarzen Liste gestrichen hätte.«

Khouri hätte gern etwas darauf erwidert, aber sie kam nicht dazu, denn Volyova meldete sich wieder auf der allgemeinen Frequenz. Sie stand hoch über den dreien, fast in der Mitte des Raums, und wandte sich an alle. »Diese Übung ist nicht strukturiert«, sagte sie. »Jedenfalls brauchen Sie die Struktur nicht zu kennen. Sie müssen das Szenarium lediglich überleben. Das ist alles. Die Übung beginnt in zehn Sekunden. So lange sie läuft, bin ich für Fragen nicht erreichbar.«

Khouri war nicht allzu sehr beunruhigt. Auf Sky’s Edge hatte sie oft unstrukturierte Übungen absolviert, und im Leitstand waren noch mehr dazugekommen. Unstrukturiert hieß nur, dass der tiefere Sinn des Szenariums verborgen war, oder dass es sich — im wahrsten Sinne des Wortes — um eine Desorientierungsübung handelte, die das Chaos nach einer gründlich schiefgegangenen Operation simulierte.

Sie fingen mit Aufwärmübungen an. Volyova sah von oben zu. Aus bisher unsichtbaren Klappen in den Wänden kamen verschiedene Drohnenziele. Sie waren, wenigstens zunächst, nicht sonderlich schwer zu treffen. Anfangs besaßen die Anzüge noch so viel Autonomie, dass sie die Drohnen entdeckten und anvisierten, bevor der Träger sie überhaupt bemerkte, so dass der Mensch nur die Genehmigung zum Abschuss zu geben brauchte. Aber bald wurde es schwieriger. Die Ziele waren nicht mehr passiv, sondern schossen zurück — normalerweise wahllos, aber mit ständig steigender Feuerkraft, so dass selbst krasse Fehlschüsse eine Bedrohung darstellten. Auch wurden die Ziele kleiner und schneller und brachen in immer kürzeren Abständen aus der Wand hervor. Und die Anzüge zeigten — im gleichen Maße, wie die Gefahr durch feindliche Angriffe wuchs — zunehmend Funktionsausfälle. In der sechsten oder siebenten Runde war ihre Autonomie großenteils abgebaut, und die Sensornetze, mit denen sie sich umgaben, lösten sich auf, so dass die Träger zunehmend selbst auf visuelle Reize reagieren mussten. Doch Khouri ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Die Übung mochte schwierig sein, aber sie hatte sich oft genug durch ähnliche Szenarien gekämpft. Man durfte nicht vergessen, wie viele Funktionen noch blieben: immerhin verfügte man noch über die Waffen, die Energieversorgung und die Flugfähigkeit.