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Während der ersten Übungen gab es keine Verständigung zwischen den drei Teilnehmern; sie waren vollauf damit beschäftigt, ihre Reaktionsfähigkeit aufzubauen. Irgendwann war es, als würden sie zum zweiten Mal aufgezogen; sie erreichten einen Zustand der Stabilität, der sie über die scheinbaren Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit hinaus trug. Sie versetzten sich sozusagen in Trance. Dafür gab es gewisse Tricks, um die Konzentration zu steigern, gewisse Mantras, die man ständig wiederholte, bis man den Übergang geschafft hatte. Es war nicht so, als brauchte man nur den Wunsch zu haben, und schon war man dort; schon eher wie eine steile Felswand, die man erklimmen musste, um an ein hoch gelegenes Sims zu kommen. Aber wenn man nicht aufgab — wenn man es immer wieder versuchte —, wurden die Bewegungen allmählich fließender, und das Sims erschien nicht mehr ganz so hoch und unzugänglich wie zuvor. Einfach und ohne geistige Anstrengung war es freilich nie zu erreichen.

Auf dem Weg in diesen Zustand glaubte Khouri einmal, die Mademoiselle gesehen zu haben.

Es war nicht einmal ein kurzer Blick, nur eine Bewegung im Augenwinkel, der Eindruck, da sei für einen Moment noch ein Körper im Raum, dessen Umrisse sie an die Mademoiselle erinnerten. Aber das Bild verschwand so schnell, wie es gekommen war.

Ob sie es tatsächlich gewesen sein konnte?

Seit dem Zwischenfall im Leitstand hatte Khouri die Mademoiselle nicht mehr gehört oder gesehen. Die letzte Botschaft kam, nachdem Khouri Volyova geholfen hatte, das Weltraumgeschütz zu zerstören, und sie klang ziemlich pikiert. Die Mademoiselle erklärte, Khouri sei zu lange im Leitstand geblieben, nun habe Sonnendieb Einlass gefunden. Tatsächlich — als Khouri den Waffenraum verlassen wollte, war etwas auf sie zugerast wie ein riesiger Schatten. Doch als der Schatten sie umfing, hatte sie nichts gespürt. Als habe sich ein Loch geöffnet und sie unversehrt durchgelassen. Aber vermutlich war es nicht wirklich so gewesen, und die Wahrheit war sehr viel unerfreulicher. Khouri setzte sich nur ungern mit der Möglichkeit auseinander, der Schatten könnte Sonnendieb gewesen sein, aber sie war nun einmal nicht von der Hand zu weisen. Und wenn sie das akzeptierte, musste sie auch davon ausgehen, dass Sonnendieb inzwischen weitere Teile von sich in ihr Gehirn eingeschleust hatte.

Dabei hatte sie schon das Wissen belastet, dass mit den Bluthunden der Mademoiselle Spuren der Entität eingedrungen waren. Doch die waren immerhin noch beherrschbar gewesen; die Mademoiselle war stark genug, um sie in Schach zu halten. Nun musste sich Khouri damit abfinden, dass ein wichtigerer Teil von Sonnendieb in ihr weilte. Und die Mademoiselle hatte sich seither auffallend rar gemacht — bis zu dieser zweifelhaften stummen Erscheinung, die womöglich nicht einmal eine Ausgeburt ihrer Phantasie gewesen war. Jeder normale Mensch hätte sie als Lichtreflex am Rand des Blickfeldes abgetan.

Wenn sie es aber doch gewesen wäre… was hatte das nach so langer Zeit zu bedeuten?

Endlich ging die erste Übungsphase zu Ende, und die Anzüge bekamen einen Teil ihrer Funktionen zurück. Nicht alle, nur so viele, dass die drei wussten, die Tafel war abgewischt, von jetzt an galten neue Regeln.

»Schön«, sagte Volyova. »Ich habe schon schlechtere Leistungen gesehen.«

»Ich würde das ja als Kompliment nehmen«, sagte Khouri in der Hoffnung, den Kameradschaftsgeist ihrer Leidensgenossen zu aktivieren. »Das Problem bei Ilia ist nur, dass sie es wörtlich meint.«

»Wenigstens eine von Ihnen, die das kapiert«, sagte Volyova. »Aber lassen Sie sich das nicht zu Kopf steigen, Khouri. Jetzt wird es nämlich erst richtig Ernst.«

Am anderen Ende des Saales schob sich eine weitere Klappe auf. Das ständig wechselnde Licht verwandelte die Bewegungen in eine Reihe starrer, lichtgesättigter Einzelbilder. Aus der Öffnung quollen ellipsenförmige Gebilde in immer größeren Mengen. Jedes einzelne war vielleicht einen halben Meter lang und silbrig weiß und hatte verschiedene Auswüchse, Waffenmündungen, Manipulatoren und Luken an der Oberfläche.

Wachdrohnen. Khouri kannte sie — in ähnlicher Ausführung — von Sky’s Edge. Dort hatte man sie ›Wolfshunde‹ genannt, weil sie so erbittert kämpften und immer in Rudeln auftraten. Militärisch wurden sie hauptsächlich zur Demoralisierung des Feindes eingesetzt, aber Khouri wusste, wozu sie fähig waren, und sie wusste auch, dass sie sich in ihrem Anzug nicht mehr völlig sicher fühlen konnte. Wolfshunde zeichneten sich weniger durch Intelligenz als durch ihre Bösartigkeit aus. Sie hatten nur relativ leichte, aber dafür viele Waffen, und was noch wichtiger war, sie koordinierten ihre Attacken. Wenn die gepoolten Prozessoren darin eine sinnvolle Strategie sahen, feuerte auch ein ganzes Rudel gleichzeitig auf ein einziges Individuum. Diese bedingungslose Zielstrebigkeit machte die Wolfshunde zu gefürchteten Gegnern.

Doch damit nicht genug. In die hervorbrechende Drohnenschar waren etliche größere Objekte eingebettet, die ebenfalls silbrig weiß waren, aber nicht sphärisch symmetrisch wie die Wolfshunde. In den unregelmäßig aufflammenden Scheinwerferstrahlen waren sie nur schwer zu erkennen, aber Khouri glaubte zu wissen, worum es sich handelte. Es waren andere Raumanzüge und sie waren wohl kaum in freundlicher Absicht hier.

Die Wolfshunde und die feindlichen Anzüge lösten sich jetzt von der Zentralachse und strebten auf die drei wartenden Trainingsteilnehmer zu. Vielleicht zwei Sekunden waren vergangen, seit sich die zweite Tür geöffnet hatte, aber Khouri kam es sehr viel länger vor. Ihr Verstand hatte mühelos auf Schnellgang geschaltet, das war im Kampfgeschehen unerlässlich. Viele der höheren autonomen Anzugfunktionen waren deaktiviert, aber die Zielerfassungsprogramme waren noch aktiv, und so befahl sie dem Anzug, die Wolfshunde anzuvisieren und jeden einzelnen im Fadenkreuz zu behalten, aber noch nicht zu schießen. Jetzt würde ihr Anzug mit den beiden anderen Kriegsrat halten, sie würden sich eine kurzfristige Strategie zurechtlegen und sich gegenseitig Ziele zuweisen. Die Träger würden von diesen Verhandlungen so gut wie nichts mitbekommen.

Wo, zum Teufel, war Volyova?

Konnte sie sich so schnell von einem Ende des Saales zum anderen katapultiert und unter das Rudel gemischt haben? Ja, wahrscheinlich — ein Anzug konnte sich, wenigstens auf so engem Raum, so rasch bewegen, dass er an einem Punkt zu verschwinden und einen Lidschlag später Hunderte von Metern entfernt wieder aufzutauchen schien. Aber die feindlichen Anzüge waren eindeutig durch die zweite Tür gekommen, das hieß, Volyova hätte den Saal verlassen und auf normalem Wege durch Schiffskorridore und Einstiegsluken auf die andere Seite gelangen müssen. Khouri bezweifelte, dass sich das in der kurzen Zeit schaffen ließ, ohne dass man sich unterwegs verflüssigte, selbst wenn man in einem Raumanzug steckte und der Weg vorher einprogrammiert worden war. Aber vielleicht kannte Volyova eine Abkürzung; einen freien Schacht, durch den sie viel schneller…

Scheiße.

Sie wurde beschossen.

Die Wolfshunde feuerten mit schwachen Lasern. Jeweils zwei parallele Strahlen zuckten aus den bösartigen, dicht beieinander stehenden Augen in der oberen Hälfte der Ellipsoide. Inzwischen hatten sie ihre Chamäleo-Tarnung an den Metallfußboden angepasst und sahen aus wie tanzende, purpurrote Hustenbonbons, die immer wieder verschwammen. Khouris Anzug hatte seine Oberfläche zu einem optisch perfekten Spiegel versilbert, der die Energie zum größten Teil reflektierte, dennoch hatten die ersten Schüsse echte Schäden angerichtet. Das kostete Punkte; sie hatte sich zu sehr mit Volyovas Verschwinden beschäftigt und den Angriff übersehen. Natürlich war das mit Sicherheit Volyovas Absicht gewesen. Sie schaute sich um und stellte fest, dass die Anzeigen ihres Raumanzugs die Wahrheit sagten: ihre beiden Kampfgefährten hatten überlebt. Sudjic und Kjarval schillerten zwar wie Quecksilbertropfen in Menschengestalt, aber sie waren unverletzt und erwiderten das Feuer.