Khouri stellte das Eskalationsprotokoll so ein, dass sie dem feindlichen Angriff immer einen Schritt voraus war, ohne die Gegner zu vernichten. Der Anzug fuhr auf beiden Schultern kleine Türmchen aus, auf denen drehbare schwache Laser angebracht waren. Die Strahlen konvergierten vor ihren Augen und jagten weiter. Jeder Schuss zog einen lila Kondensstreifen aus ionisierter Luft hinter sich her. Wenn die glänzend purpurroten, fliegenden Wolfshunde getroffen wurden, fielen sie wie Steine vom Himmel und hüpften über den Boden oder explodierten zu feurigen Blumen. Sich jetzt ohne Raumanzug im Saal aufzuhalten wäre nicht ratsam gewesen.
»Du warst zu langsam«, sagte Sudjic über die allgemeine Frequenz, obwohl der Angriff noch nicht beendet war. »Wenn das echt gewesen wäre, könnten wir dich jetzt mit dem Schlauch von der Wand spritzen.«
»Wie oft warst du schon im Nahkampf, Sudjic?«
Kjarval — die bisher noch kaum etwas gesagt hatte — schaltete sich ein. »Wir haben alle schon Einsätze absolviert, Khouri.«
»Ja? Wart ihr auch schon einmal so nahe daran, dass ihr den Feind um Gnade winseln hören konntet?«
»Ich meine damit… Scheiße.« Kjarval hatte einen Treffer abbekommen. Ein Zucken durchlief ihren Anzug, er wechselte durch eine Reihe von falschen Chamäleonfarben: Weltraumschwarz, Schneeweiß und schließlich buntes Tropenlaub. Kjarval sah aus wie eine Tür, die aus dem Saal mitten in eine weit entfernte Dschungelwelt führte.
Noch ein kurzes Flackern, dann war die reflektierende Spiegeloberfläche wieder da.
»Die anderen Anzüge beunruhigen mich.«
»Dazu sind sie da. Damit du unruhig wirst und Mist baust.«
»Seit wann brauchen wir dazu Hilfe? Das wäre ja ganz neu.«
»Schnauze, Khouri! Konzentriere dich lieber auf den verdammten Krieg!«
Sie gehorchte. Es fiel ihr nicht schwer.
Etwa ein Drittel der Wolfshunde war abgeschossen. Die Klappe am anderen Ende des Saales stand noch offen, entließ aber keine neuen Truppen mehr. Die fremden Raumanzüge — Khouri zählte drei — hatten bisher untätig in der Nähe der Öffnung geschwebt. Jetzt sanken sie langsam zu Boden, wobei sie den Flug mit nadelfeinen Schubstößen aus den Fersen steuerten. Zugleich passten sie ihre Farbe und ihre Struktur dem zerschossenen Untergrund an. Ob einer von ihnen besetzt war und welcher, war nicht zu erkennen.
»Aber die Anzüge gehören zum Szenarium. Sie… sie müssen doch irgendeine Bedeutung haben.«
»Ich sagte Schnauze, Khouri!«
Sie ließ sich nicht beirren. »Wir haben einen Auftrag, richtig? Davon müssen wir ausgehen. Wenn wir nicht irgendeine Struktur in das Ganze hineinbringen, wissen wir doch nicht einmal, wer eigentlich der Feind ist!«
»Gute Idee«, sagte Sudjic. »Wir halten eine Besprechung ab.«
Inzwischen schossen die Wolfshunde mit Teilchenstrahlen, und die Anzüge der drei zahlten mit gleicher Münze zurück. Die Laser mochten echt gewesen sein — das lag noch knapp innerhalb der Grenzen des Möglichen —, aber jede nennenswert stärkere Waffe musste eine Simulation sein. Schließlich wäre es nicht günstig, wenn das Training damit endete, dass einer von ihnen ein Loch in die Saalwand sprengte und die gesamte Luft ins All entweichen ließe.
»Verdammt«, überlegte Khouri. »Wir müssen davon ausgehen, dass wir wissen, wer wir sind und warum wir hier sind — wo immer das auch sein mag. Die nächste Frage ist, ob wir auch die Dreckskerle in den drei anderen Anzügen kennen.«
»Das wird mir zu philosophisch«, sagte Kjarval und sprang zur Seite, um das Feuer auf sich zu ziehen.
»Wenn wir überhaupt eine Besprechung abhalten müssen«, fuhr Khouri hartnäckig fort, ohne Sudjics Zwischenrufe zu beachten, »ist anzunehmen, dass wir nicht wissen, wer sie sind. Damit sind es Feinde. Und das heißt, wir sollten das Pack erschießen, bevor sie Zeit haben, das zu tun, was immer sie tun wollen.«
»Das könnte ein Riesenfehler sein, Khouri!«
»Ja, aber wie du freundlicherweise bemerkt hast, bin ich diejenige, die sowieso nicht mit hinuntergeht.«
»Dazu sage ich Amen.«
»Äh… Leute…« Das war Kjarval. Sie hatte etwas bemerkt, was Khouri und Sudjic erst einen Moment später auffiel. »Das gefällt mir nicht.«
Die Handgelenke der drei fremden Raumanzüge veränderten sich, und aus jedem schob sich eine bislang noch formlose Waffe. Es ging so schnell wie das Aufblasen eines Luftballons auf einer Party.
»Schießt die Arschlöcher ab«, sagte Khouri mit einer Ruhe, die sie selbst erschreckte. »Feuer auf den Anzug links außen konzentrieren. Betriebsart beschleunigte Antimaterie, kleinste Impulsstärke, konische Streuung mit Quereinschlag.«
»Seit wann gibst du hier die…«
»Verdammt, Sudjic, tu einfach, was ich sage!«
Sie schoss bereits und Kjarval ebenfalls. Die drei standen jeweils zehn Meter voneinander entfernt, und ihre Anzüge nahmen den Feind unter Feuer. Die beschleunigten Antimaterie-Impulse waren simuliert… natürlich. Sonst wäre vom Saal nicht mehr genug übrig gewesen, um darauf zu stehen.
Ein greller Blitz fuhr Khouri wie mit Klauenfingern in die Augen. Zu intensiv für eine gute Simulation… die Erschütterung war zu stark. Der Knall war vergleichsweise sanft, aber die Wucht des Aufpralls war so groß, dass sie rückwärts gegen die fleckige Mauer geschleudert wurde. Sie fiel wie auf eine Matratze in einem teuren Hotelzimmer. Der Anzug war kurzzeitig tot; auch als sie wieder klar sehen konnte, waren die Anzeigen entweder erloschen oder spuckten unleserlichen Zeichensalat aus. Der Zustand hielt einige qualvolle Sekunden lang an, dann sprang endlich das Ersatzgehirn stolpernd ein und stellte wieder her, was es konnte. Ein einfacheres, aber zumindest verständliches Display leuchtete auf und zeigte an, was zerstört und was noch vorhanden war. Die meisten stärkeren Waffen waren futsch. Die Anzugautonomie war auf fünfzig Prozent gesunken, die Anzugpersönlichkeit auf dem Weg in den Maschinenautismus. An drei Gelenken waren die Servomechanismen schwer beschädigt. Die Flugfähigkeit war eingeschränkt, jedenfalls so lange, bis die Reparaturprogramme ihre Arbeit aufnahmen, und die brauchten minimal zwei Stunden, um die erforderlichen Überbrückungen auszurechnen.
Ach ja — und wenn die biomedizinische Anzeige stimmte, dann fehlte ihr ein Arm vom Ellbogen abwärts.
Sie kämpfte sich zum Sitzen hoch und warf einen Blick auf das abgeschossene Glied, obwohl alle ihre Instinkte sie beschworen, sich um ihre Sicherheit zu kümmern und die Lage zu peilen. Ihr rechter Arm endete genau da, wo die Med-Anzeige sagte — in einer schrumpligen Masse aus verkohlten Knochen und Fleisch, mit Metallsplittern gespickt. Weiter oben hatte sich wohl das Luftgel schockverfestigt, um Druck- und Blutverluste zu verhindern, aber solche Details musste sie einfach voraussetzen. Schmerzen spürte sie natürlich nicht — auch darin war die Simulation vollkommen realitätsgetreu, denn der Anzug hätte ihrem Schmerzzentrum in jedem Fall befohlen, sich abzuschalten.
Lage peilen… Lage peilen…
Sie hatte vollkommen die Orientierung verloren. Umsehen konnte sie sich nicht, denn das Halsgelenk des Anzugs hatte sich verklemmt. Plötzlich war alles voll Rauch, dichte Schwaden schwebten mit der Luft aus dem Saal. Die unregelmäßigen Scheinwerferkegel der fliegenden Drohnen waren nur noch als kurze Blitze zu erkennen. Da drüben standen zwei Anzugwracks mit katastrophalen Schäden — vermutlich waren sie mehrfach von Antimaterie-Impulsen getroffen worden. Aber sie waren so ramponiert, dass Khouri nicht sehen konnte, ob es Insassen gab — oder je gegeben hatte. Ein dritter Anzug — weniger stark beschädigt, vielleicht nur betäubt wie ihr eigener — lehnte zehn oder fünfzehn Meter entfernt an der langen, gewölbten Saalwand. Die Wolfshunde waren verschwunden, vielleicht zerstört, sie wusste es nicht.