Eigentlich seltsam. Er war — vielleicht unüberlegt — davon ausgegangen, dass Sajaki diese Ankündigung machen würde. Natürlich nicht der Captain selbst, sonst wären sie nicht hier. Der Captain musste wieder krank geworden sein.
Wo war Sajaki?
Er schlug sich die Frage aus dem Kopf und konzentrierte sich auf Volyovas Worte.
Nach weiteren zwei oder drei Wiederholungen hatte er die ganze Ansprache im Kopf und war fast sicher, sie wortwörtlich wieder ausspucken zu können. Sie hätte kaum knapper ausfallen können. Diese Ultras wussten, was sie wollten. Und sie wussten, was nötig war, um es zu bekommen. »Ich bin Triumvir Volyova vom Lichtschiff Sehnsucht nach Unendlichkeit.« So hatte sie sich vorgestellt. Kein Hallo; nicht einmal der übliche Dank an das Schicksal, das sie wohlbehalten durch die Weiten des Alls nach Resurgam gebracht hatte.
Sylveste wusste, dass Floskeln dieser Art nicht Volyovas Sache waren. Er hatte sie immer für eine der Stillen im Lande gehalten; zu sehr damit beschäftigt, ihr Arsenal an Schreckenswaffen in Ordnung zu halten, um sich um normale gesellschaftliche Umgangsformen zu bemühen. Mehr als einmal hatten die übrigen Besatzungsmitglieder im Scherz bemerkt — und sie scherzten selten —, Volyova zöge die Gesellschaft der Schiffsratten der ihrer menschlichen Kollegen vor.
Vielleicht war es auch gar kein Scherz gewesen.
»Ich spreche aus dem Orbit«, fuhr sie fort. »Wir wissen, auf welchem technischen Stand Sie stehen und schließen daraus, dass Sie militärisch keine Bedrohung für uns darstellen.« Sie hielt inne und schlug nun den Tonfall einer gestrengen Lehrerin an, die ihre Schüler zum Gehorsam ermahnte und ihnen verbot, aus dem Fenster zu schauen oder auf ihren Notepads ein Chaos anzurichten. »Sollten Sie jedoch zu der Vermutung Anlass geben, Sie versuchten uns gezielt zu schaden, dann würden wir mit unerbittlicher Härte und ohne Rücksicht auf Verhältnismäßigkeit zurückschlagen.« Jetzt lächelte sie beinahe. »Also nicht nach dem Grundsatz Auge um Auge, sondern eher Stadt gegen Auge. Wir sind ohne weiteres imstande, eine Ihrer Siedlungen oder auch alle aus dem All zu vernichten.«
Volyova beugte sich vor, bis ihre grauen Löwenaugen den ganzen Schirm auszufüllen schienen. »Was noch wichtiger ist, wir sind im Notfall auch dazu entschlossen.« Wieder legte sie eine dieser theatralischen Pausen ein. Sie wusste natürlich, dass sie jetzt ihr Publikum vollends in ihren Bann geschlagen hatte. »Wenn ich wollte, wäre in wenigen Minuten alles vorbei. Und glauben Sie ja nicht, dass ich deshalb eine schlaflose Nacht verbringen würde.«
Jetzt sah Sylveste, worauf sie hinauswollte.
»Aber lassen wir es vorerst mit den Pöbeleien genug sein.« Jetzt lächelte sie wirklich, aber ein Kryo-Tank hätte nicht mehr Kälte verströmen können als dieses Lächeln. »Sie fragen sich zweifellos, warum wir hier sind.«
»Ich nicht«, sagte Sylveste so laut, dass Pascale es hörte.
»Unter Ihnen befindet sich ein Mann, nach dem wir suchen. Er ist für uns so ungeheuer wichtig, dass wir uns entschlossen haben, nicht über die üblichen…« — wieder dieses Lächeln, noch kälter, noch gespenstischer als zuvor — »diplomatischen Kanäle zu gehen. Der Mann heißt Sylveste; das sollte eigentlich alles erklären, wenn sein Ruf seit unserer letzten Begegnung nicht verblasst ist.«
»Vielleicht beschmutzt«, bemerkte Sluka. Dann wandte sie sich an Sylveste: »Sie müssen mir wirklich mehr über diese letzte Begegnung erzählen. Sie können sich damit kaum noch schaden.«
»Aber Ihnen wird es nichts nützen, auch wenn Sie die Fakten kennen«, gab Sylveste zurück, ohne sich vom Bildschirm ablenken zu lassen.
»Normalerweise«, sagte Volyova gerade, »würden wir uns mit den zuständigen Behörden in Verbindung setzen und über Sylvestes Auslieferung verhandeln. Ursprünglich hatten wir das auch vor. Aber ein Blick aus dem Orbit auf die größte Siedlung ihres Planeten — Cuvier — zeigte uns, dass ein solches Vorgehen zum Scheitern verurteilt wäre. Wir müssen davon ausgehen, dass es keine Regierung mehr gibt, mit der sinnvolle Verhandlungen möglich wären. Und um uns mit streitsüchtigen Parteiengruppen herumzuschlagen, fehlt uns leider die Geduld.«
Sylveste schüttelte den Kopf. »Sie lügt. Sie hatten nie die Absicht zu verhandeln, ganz gleich, was sie hier vorgefunden hätten. Ich kenne diese Leute; bösartiges Pack.«
»Das sagten Sie schon«, erinnerte ihn Sluka.
»Damit sind unsere Möglichkeiten ziemlich begrenzt«, fuhr Volyova fort. »Wir wollen Sylveste, und unsere Ermittlungen haben ergeben, dass er sich nicht… wie soll ich mich ausdrücken… auf freiem Fuß befindet?«
»Und das alles aus dem Orbit?«, fragte Pascale. »Ein fähiger Nachrichtendienst, das muss man ihnen lassen.«
»Zu fähig«, bestätigte Sylveste mit einem Nicken.
»Wir werden also«, fuhr Volyova fort, »folgendermaßen vorgehen. Binnen vierundzwanzig Stunden wird Sylveste über Funk mit uns Kontakt aufnehmen und uns seinen Aufenthaltsort mitteilen. Entweder kommt er dazu aus seinem Versteck, oder er wird freigelassen, falls man ihn gefangen hält. Sollte er nicht mehr am Leben sein, so sind stattdessen zweifelsfreie Beweise für seinen Tod zu erbringen. Wobei es natürlich in unserem Ermessen liegt, ob wir diese Beweise anerkennen.«
»Sie können froh sein, dass Sie mich nicht getötet haben. Ich glaube nicht, dass Sie Volyova davon überzeugen könnten.«
»Ist sie wirklich so unnachgiebig?«
»Nicht nur sie; die ganze Besatzung.«
Aber Volyova war noch nicht fertig. »Dann also bis in vierundzwanzig Stunden. Wir werden warten. Und sollten wir bis dahin nichts hören oder Verdacht schöpfen, dass Sie uns in irgendeiner Form zu täuschen suchen, haben Sie mit einer Strafe zu rechnen. Unser Schiff verfügt über ein gewisses militärisches Potenzial — fragen Sie Sylveste, wenn Sie uns nicht glauben. Wenn wir innerhalb des nächsten Tages nichts von Ihnen hören, werden wir dieses Potenzial gegen eine der kleineren Gemeinden auf Ihrem Planeten einsetzen. Das Ziel wurde bereits ausgewählt, und im Falle eines Angriffs werden wir sicherstellen, dass niemand überlebt. Ist das klar? Keine Überlebenden. Sollten wir nach weiteren vierundzwanzig Stunden noch immer nichts von Ihrem schwer zu fassenden Dr. Sylveste gehört haben, werden wir uns ein größeres Ziel vornehmen. Vierundzwanzig Stunden danach zerstören wir Cuvier.« An dieser Stelle zeigte Volyova abermals ein kurzes Lächeln. »Auch wenn Sie dort selbst schon recht ordentliche Arbeit leisten.«
Hier endete die Botschaft, nur um gleich darauf mit Volyovas barscher Begrüßung von vorne zu beginnen. Sylveste hörte sie sich noch zwei Mal vollständig an. Niemand wagte, ihn in seiner Konzentration zu stören.
»Das kann nicht sein«, sagte Sluka endlich. »Das würden sie nicht tun.«
»Es ist barbarisch«, fügte Pascale hinzu und erntete ein zustimmendes Nicken von Sluka. »Auch wenn sie noch so sehr hinter dir her sind — so etwas können sie nicht ernst meinen. Wer würde schon eine ganze Siedlung zerstören?«
»Da irrst du dich«, sagte Sylveste. »Es wäre nicht das erste Mal. Ich zweifle nicht daran, dass sie auch diesmal nicht zögern werden.«
Volyova war sich nie wirklich sicher gewesen, dass Sylveste am Leben war — andererseits hatte sie die Möglichkeit, er könne etwa nicht verfügbar sein, bisher immer verdrängt. Die Folgen wären zu unerfreulich gewesen. Es spielte keine Rolle, dass die Initiative mehr von Sajaki ausgegangen war als von ihr selbst. Wenn die Suche vergeblich war, würde er sie ebenso streng bestrafen, als hätte sie sich die ganze Sache allein ausgedacht; als wäre es Volyova gewesen, die sie alle auf diese deprimierende Welt gelockt hatte.