Die Rumpfwaffen hatten gezündet.
An der Resurgam-Projektion veränderten sich die Statusanzeigen, die neuen Werte beschrieben den Zustand der Bewaffnung nach dem Einsatz. Hegazi beugte sich über die Anzeige an seinem Sitz. Sein Okular klickte und schwirrte leise, als er die Information aufnahm.
»Suppressoren abgefeuert«, meldete er knapp und ohne allen Nachdruck. »Zielerfassung bestätigt korrekte Einschlagsposition.« Langsam und bedächtig hob er den Blick zur Kugel.
Khouri folgte seinem Beispiel.
Wo vorher nichts gewesen war, glitzerte jetzt nicht weit vom Rand von Resurgams nördlicher Polkappe ein schmaler glutroter Fleck wie ein giftiges Rattenauge auf der Kruste der Welt. Inzwischen wurde er dunkler wie eine Nadel, die man eben aus dem Feuer gezogen hatte. Aber er leuchtete immer noch schmerzhaft grell, und die Verdunklung kam weniger von der Abkühlung als von gigantischen Schleiern aus aufgewirbeltem Planetenschutt, die immer dichter wurden. Wenn sich im schwarzen Sturmgebrodel hin und wieder eine Lücke auftat, wurde die Landschaft auf Hunderte von Kilometern im Umkreis von aufzuckenden Blitzen erleuchtet. Von der Einschlagstelle raste eine fast kreisrunde Stoßwelle nach außen. Khouri konnte die Bewegung über eine leichte Veränderung im Brechungsindex der Luft verfolgen. Unterhalb davon schienen die Felsen für einen Moment selbst flüssig zu werden, als ginge im seichten Wasser eine Welle über sie hin.
»Erster Lagebericht trifft gerade ein«, sagte Hegazi. Er hörte sich immer noch an wie ein gelangweilter Messdiener, der einen besonders öden Bibeltext aufsagte. »Waffenfunktion innerhalb der Toleranzwerte. Ziel wurde mit einer Wahrscheinlichkeit von neunundneunzig Komma vier Prozent vollständig neutralisiert. Mit neunundsiebzig Prozent Wahrscheinlichkeit dürfte auf zweihundert Kilometer im Umkreis niemand überlebt haben, der nicht hinter einer kilometerdicken Panzerung saß.«
»Das genügt mir«, sagte Volyova. Sie sah sich die Wunde in Resurgams Oberfläche noch eine Weile an. Innerlich schwelgte sie offensichtlich in einer Zerstörungsorgie von planetaren Dimensionen.
Fünfzehn
Mantell,
Nord-Nekhebet
2566
»Sie haben geblufft«, sagte Sluka, doch im gleichen Augenblick kroch im Nordosten eine falsche Dämmerung über den Horizont und verwandelte die Bergrücken und Klippen in gezackte schwarze Scherenschnitte. Ein purpurgesäumter Lichtschein so grell wie brennendes Magnesium überlastete kurzzeitig weite Teile von Sylvestes Sichtfeld und ließ nur eine taube Leere zurück.
»Drei Mal dürfen Sie raten«, sagte er.
Sluka war nicht gleich zu einer Antwort fähig. Stumm starrte sie in den Feuerschein, wie gebannt von der Helligkeit und ihrer Schreckensbotschaft.
»Er hatte es vorhergesagt«, erinnerte Pascale. »Aber Sie wollten nicht auf ihn hören. Er kannte diese Leute und wusste, dass sie ihr Versprechen halten würden.«
»Ich konnte es nicht glauben.« Sluka sprach leise, wie zu sich selbst. Ungeachtet des grellen Lichts war der Abend völlig still, sogar die gewohnte akustische Untermalung der Resurgam-Winde war ausgeblieben. »Ich hielt die Drohung für so ungeheuerlich, dass ich sie nicht ernst nehmen konnte.«
»Für diese Menschen ist nichts zu ungeheuerlich.« Sylvestes Augen erholten sich langsam so weit, dass er die Gesichter der Frauen sehen konnte, die neben ihm auf der Mesa von Mantell standen. »Von jetzt an sollten Sie Volyovas Worte für bare Münze nehmen. Sie meint, was sie sagt. In vierundzwanzig Stunden wird sich der Schrecken wiederholen, es sei denn, Sie liefern mich aus.«
Sluka tat, als habe sie nichts gehört. »Vielleicht sollten wir gehen«, sagte sie nur.
Sylveste war einverstanden, doch bevor sie den Berg hinunterstiegen, stellten sie noch ungefähr die Richtung fest, aus der der Blitz gekommen war. »Wir kennen den Zeitpunkt«, sagte Sylveste. »Und wir kennen die Richtung. Wenn die Druckwelle kommt, wissen wir auch, wie weit die Explosion entfernt war. Die Ansiedlungen auf Resurgam sind noch dünn gesät, wir müssten die Einschlagstelle also finden können.«
»Sie hat den Namen des Ortes genannt«, sagte Pascale.
Sylveste nickte.
»Ich würde Volyova jede Drohung glauben, aber ich weiß auch, dass man ihr nicht vertrauen kann.«
»Dieses Phoenix ist mir völlig unbekannt«, sagte Sluka, als sie mit einem Lastenfahrstuhl hinunterfuhren. »Ich hatte geglaubt, die meisten neueren Siedlungen zu kennen. Allerdings saß ich in den letzten Jahren nicht gerade im Herzen der Regierung.«
»Sie hat sich für den Anfang sicher einen kleinen Ort ausgesucht«, sagte Sylveste. »Sonst hätte sie keinen Spielraum für Eskalationen. Wir können davon ausgehen, dass Phoenix ein weiches Ziel war; eine wissenschaftliche oder geologische Forschungsstation, nichts, wovon der Rest der Kolonie materiell abhängig gewesen wäre. Mit anderen Worten, nur Menschen.«
Sluka schüttelte den Kopf. »Menschen, von denen wir in der Vergangenheit reden, ohne sie in der Gegenwart jemals erwähnt zu haben. Als wäre der Tod ihre einzige Existenzberechtigung gewesen.«
Sylveste war übel, körperlich übel, als müsse er sich tatsächlich übergeben. Zum ersten Mal in seinem Leben wurde dieses Gefühl durch ein äußeres Ereignis ausgelöst, an dem er nicht direkt beteiligt war. So hatte er nicht einmal empfunden, als Carine Lefevre starb. Diesmal war es nicht sein Fehler — seine Fehlentscheidung — gewesen. Doch obwohl er Sluka beteuert hatte, die Besatzung würde ausführen, was sie androhte, hatte er sich innerlich an die Hoffnung geklammert, sie würde es doch nicht tun; er hätte Unrecht, und Sluka und die anderen Menschenfreunde hätten Recht. Vielleicht hätte an Slukas Stelle auch er die Warnung ignoriert, ob er sich vor dem Angriff nun sicher gefühlt hätte oder nicht. Wenn man selbst spielt, sehen die Karten immer anders aus und die Möglichkeiten verändern sich kaum merklich.
Die Druckwelle kam drei Stunden später. Inzwischen war sie kaum stärker als eine Windbö, aber auch die gehörte nicht in diese stille Nacht. Dahinter folgten Turbulenzen und Gewitterfronten wie vor einem ausgewachsenen Schmirgelsturm. Aus der Geschwindigkeit der Welle ließ sich errechnen, dass das Angriffsziel etwas mehr als fünftausend Kilometer entfernt war (das bestätigten auch die seismischen Daten); der Augenschein hatte gezeigt, dass es fast genau im Nordosten lag. Die drei zogen sich unter Bewachung in Slukas Kabine zurück, hielten sich mit starkem Kaffee wach und riefen aus den Archiven von Mantell Übersichtskarten der Kolonie ab.
Sylveste nippte nervös an seinem Becher.
»Wie gesagt, es könnte eine jüngere Siedlung sein. Sind die Karten auf dem neuesten Stand?«
»So gut wie«, sagte Sluka. »Vor einem Jahr, bevor die Lage hier zu kritisch wurde, hat das kartografische Zentrum in Cuvier die letzten Änderungen übertragen.«
Sylveste betrachtete die projizierte Karte, die Slukas Tisch bedeckte wie ein geisterhaftes topografisches Tischtuch. Sie zeigte ein Gebiet von zweitausend Quadratkilometern, groß genug, um die zerstörte Kolonie zu enthalten, auch wenn sie die Richtung nur sehr grob hatten schätzen können.
Aber Phoenix war nicht zu finden.
»Wir brauchen neuere Karten«, sagte er. »Es könnte sein, dass der Ort erst im letzten Jahr gegründet wurde.«
»Die lassen sich nicht so einfach beschaffen.«