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»Kümmer dich um die Pferde, verdammt!« schrie Bayard, und ich vergaß die Warnung, das Pendel und sogar den Skorpion, als Pfeile und Speere auf uns niederregneten.

Ich lag Bayard immer noch zu Füßen, als ein großer Satyr seinen Bogen spannte und einen Pfeil in meine Richtung abschoß.

Ich konnte das Gelb der Fiederung sehen, aber ich konnte nichts weiter tun, als einen Aufstehversuch zu unternehmen. Doch genau bevor der Pfeil traf, was er bestimmt getan hätte, weil ich immer fester daran glaubte, daß er treffen würde, streckte Bayard seinen großen, gutgepanzerten Schwertarm auf und fing ihn damit ab.

Neben mir hörte ich Agion grunzen, und ein rascher Blick verriet mir, daß ihm ein Satyrspeer im Arm steckte. Plötzlich fürchtete ich um ihn wegen seiner Größe, die bisher immer von Vorteil gewesen war. Jetzt, unter Feuer, war er nur eine große, dumme Zielscheibe.

Die größte, aber nicht die dümmste. So kam es uns jedenfalls vor, als Brithelm plötzlich an uns vorbeilief und auf den Thron und die Satyre zurannte. Um ihn herum regneten Pfeile nieder, von denen einer seinen Mantel zerriß. Die anderen fielen harmlos auf den Boden. Bayard ließ mich runter und wollte meinem Bruder nachlaufen, doch es war zu spät. Brithelm war längst an ihm vorbei, und an Verfolgung war nicht zu denken, da Bayard wegen dem ganzen Gewicht der Rüstung schon Schwierigkeiten hatte, sich auf den Beinen zu halten.

»Wenn nicht der eine Pfadwächter, dann der andere!« schimpfte er. Dann sank er auf die Knie und sah mit uns zu, wie mein Bruder freudestrahlend auf den Skorpion zulief.

Die Reihen der Satyre öffneten sich merkwürdigerweise für meinen Bruder, als ob die häßlichen, bewaffneten Wesen nur Schilf wären, das er auf der Suche nach einem Pfad beiseite schob. Manche wichen nicht nur zur Seite, sondern verschwanden bei Brithelms Kommen völlig. Wo vorher neben ihm Satyre drohend mit ihren Waffen gefuchtelt hatten, grasten jetzt friedliche Ziegen, die uns kaum beachteten.

Das reichte Bayard. Mit einem Mal bewegte er sich leichtfüßig. Er sah zu mir zurück. Ich lag auf dem feuchten Boden, wo ich wieder versucht hatte, mich zwecks Deckung einzugraben, und sprach ruhig, aber sicher.

»Steh sofort auf, Galen, und folge deinem Bruder. Die Armee, gegen die wir kämpfen, ist reine Illusion. Auf dieser Lichtung ist nichts Gefährliches. Verstehst du? Keine Gefahr auf dieser Lichtung.«

Ich fand, der Augenschein spräche gegen ihn. Aber er funkelte mich so unbeugsam und streng an, daß ich ihn mehr fürchtete als die Satyre.

Dazu kam, daß – ob Illusion oder nicht – die Satyre einen harten Stand gegen meinen Gefährten hatten. Agion griff sich zwei an ihren wolligen Nacken und schlug ihre Köpfe gegeneinander, als ob er haarige, gehörnte Becken spielte. Der Sumpf hallte von dem hohlen Krachen wider, und die Satyre fielen bewußtlos zu Boden. Lachend stürmte der Zentaur auf zwei weitere zu, die unter dem Thron des Skorpions kauerten.

Mit gezogenem Schwert schritt Bayard ganz ruhig mitten durch die Satyre zu der Plattform, auf der der Skorpion saß. Die Satyre umringten ihn, schrien und hopsten wie Aasgeier um einen Sterbenden, doch keiner kam ihm zu nahe. Einer sprang ihn mit einem gefährlichen, langen Messer an, doch Bayard wehrte die Waffe ab, so daß sie über den Boden der Lichtung schlidderte, trat den Satyr aus dem Weg und ging weiter.

Schon der Blick von Bayard schien die anderen vom Angriff abzuhalten. Die Satyre fauchten und fluchten und wichen vor ihm zurück.

Es war wie im Märchen.

Ich kam auf die Beine und rannte meinem Bruder nach, der unten an der Plattform stand. Die Satyre hatten angefangen, ihn zu umzingeln.

Ich sah mich nach Agion um, der damit beschäftigt war, mit zwei weiteren Satyren zu jonglieren, dann nach Bayard, der immer noch Meter von meinem Bruder entfernt war. Keiner von ihnen würde Brithelm rechtzeitig erreichen. Ich wollte rufen, ohne jede Vorstellung davon, was das helfen sollte, außer daß ich halt etwas tat. Dann ließ ich es sein, denn ich blieb wie angewurzelt stehen.

Brithelm nämlich hatte die Arme erhoben und stieg jetzt langsam in die Luft auf. Vielleicht auf dem Wind, doch es gab kein Blätterrascheln, kein Zweig bewegte sich. Er hob Kopf und Schultern, dann Bauch und Füße über die aufgeregten Satyre, deren Waffen harmlos nach ihm schlugen.

Seine Hände glänzten in einem silbernen Licht, das das grüne, matte Licht des Irrlichts zu überstrahlen schien, bis die Lichtung in einem frischen, weißen Schein leuchtete, der dem einer wunderbaren Kerze ähnelte.

Mein Mut und mein Vertrauen wuchsen, und so preschte ich mitten durch den Feind und rief laut nach Brithelm, um das Kreischen zu übertönen, das sich langsam in Gemecker verwandelte. Die Satyre wandten sich mir zu, taten aber nichts, und ich passierte sie widerstandslos und ohne Verletzung.

Ich stürmte zu einem der Pfosten, die die Plattform trugen, und kletterte wie ein Eichhörnchen hinauf, bis ich keuchend und schwitzend auf der morschen Plattform stand und meinen Triumph herausschrie.

In diesem Moment erhob sich der Skorpion von seinem Thron.

Die dunkle Kapuze verhüllte immer noch sein Gesicht, aber etwas in seinen gebeugten Schultern und seinen Knien verriet seine Niederlage. Es war eine Haltung, wie sie jemand auf einem schlechten Gemälde annehmen würde.

Doch als Brithelm auf die Plattform zuschwebte, richtete sich der Skorpion zu voller Größe auf und starrte uns an.

Seine Augen wurden rot, dann gelb, dann weiß, dann blau wie tausend glühende Sonnen. Im unklaren Sumpflicht richtete er den schimmernden Kristall auf uns.

Er blitzte grün, gelb und grün auf. Einen Augenblick verlor Brithelm das Gleichgewicht und stürzte ab, doch dann fing er sich am Rand der Plattform. Ich taumelte zum Rand zurück und fiel lang auf den Boden. In diesem Moment hatte sich das Blatt gewendet. Wir beide waren geschlagen.

Aber nicht Bayard. Wie jeder an seinem Gang und an der geraden, makellosen Haltung seines Rückens sehen konnte, als er zur Plattform hochsprang, sich ohne Schwierigkeiten festhielt und sich mit einer einzigen, unglaublichen Bewegung nach oben zog. Der Skorpion drehte sich zu ihm um. Nur noch ein einziger Satyr, allerdings ein großer, war zwischen dem Ritter und der bösen, vermummten Gestalt.

Der Satyr sprang Bayard an, und sein Speer durchbohrte den Ritter, der weiterging, als wäre nichts geschehen. Er ging einfach durch den wabernden, durchscheinenden Körper seines Gegners hindurch, als wäre der Satyr aus Rauch oder Dampf. Der Unhold löste sich in Luft auf, und an seiner Stelle stand eine verwirrte, etwas beschämte Ziege, die in die rauchige Hütte hinter uns floh.

Jetzt stand Bayard neben dem geduckten Skorpion. Er erhob sein Schwert mit beiden Händen wie ein Henker oder ein Holzfäller und ließ es heruntersausen.

Durch Kapuze, Mantel, Tunika und in das verrottete Holz der Plattform. Und sonst nichts.

Denn auf der Plattform waren nur wir drei, wenn man die Ziege nicht zählte. Bayard und ich standen vor einer dunklen Robe, einer dunklen Tunika und einem Paar glänzend schwarzer Stiefel. Wir standen vor der baufälligen Hütte, die ich zuvor schon gesehen hatte, und hinter der Hütte rötete sich allmählich der Sumpf – nicht von den Feuern, die diesen Ort bis eben umgeben hatten, sondern von echtem, wahrhaft willkommenem Sonnenlicht.

Brithelm zog sich unter Schmerzen über den Rand der Plattform, wo er sich festgeklammert hatte.

Unter uns rieb sich Agion still die Schulter und bestaunte eine Herde Ziegen. Als das erste Sonnenlicht die Lichtung berührt hatte, hatte sich seine Wunde geschlossen. Als ich das sah, staunte ich auch.

»Das war’s dann wohl?« rief der Zentaur zu uns hoch, während er sanft ein geflecktes Zicklein wegschob, das an seinem Bein nuckeln wollte.

Ich blickte zu Brithelm, der sich still den Kopf rieb und voller Verwunderung die Hütte angaffte.

Er schwieg, denn er war in der eigentümlichen Gedankenwelt der Gesegneten verloren.

Also sah ich wieder Bayard an, der über dem Haufen alter Kleider stand und sich zu mir umdrehte.