»Was meint Ihr, Sir? War’s das?«
»Nein, Galen«, erwiderte Sir Bayard, während er sein Schwert einsteckte und einen verwirrten Blick auf den Sumpf warf. »Obwohl ich das kaum verstehe, was sich hier gerade zugetragen hat, soviel kann ich dir sagen: Das war ganz bestimmt noch nicht alles.«
Haus di Caela
9
»Ganz gleich, was du sagst, Brüderchen – das ist der Ort, den ich gesucht und erwartet habe. Ein Ort, wie ich ihn mir beständig und hoffentlich demütig erträumt habe. Ich habe die Götter um solch einen Ort angefleht, an dem ich zum Einsiedler werden kann: allein mit Gedanken und Meditationen und mit den sanften Geschöpfen des Sumpfes.«
So hörte ich Brithelm unaufhörlich reden, der in dem Kampf im Sumpf Sinn und Zweck entdeckt hatte. Am späten Vormittag saßen wir immer noch auf dieser Lichtung und erwogen verschiedene von zahlreichen Unwägbarkeiten.
Auch Bayard war Brithelms Loblied auf die »sanften Geschöpfe des Sumpfes« leid, besonders nachdem einige dieser sanften Geschöpfe – genau gesagt, die Satyre – uns aufgelauert hatten.
»Meine Träume führen mich an andere Orte, Brithelm«, sagte er. »Und ich für meinen Teil würde aufstehen und zum Kastell di Caela reisen, damit ich um die Hand der Lady Enid anhalten kann, würde unser zentaurischer Aufpasser hier nicht etwas anderes verlangen.« Bayard deutete mit dem Kopf auf Agion.
So ging das nun schon stundenlang, ein schwelender Streit zwischen Sir Bayard und Agion, ob die Forderungen nun erfüllt waren oder nicht. Bayard fand, daß der Sumpf jetzt von den Satyren und dem Bösen, das sie zunächst auf die Zentauren gehetzt hatten, befreit war. Er fand, daß wir hier nichts mehr verloren hatten, da es keinen Feind mehr gab. Und da wir unsere Namen in dieser Angelegenheit zweifellos reingewaschen hatten, sollten uns die Zentauren doch erlauben, unserer Wege zu ziehen.
Agion hingegen hätte sich erheblich besser gefühlt, wenn er seinen Zentaurenfreunden die aufgespießten Köpfe einiger Satyre hätte bringen können. Ihm zufolge war eine grausige Trophäe besser als Frieden oder als jede beliebige Anzahl glaubhafter Versprechen. Und von auf geheimnisvolle Weise verschwundenen Satyren würde es weder Trophäen noch Friedensangebote geben.
Ich konnte Agions Standpunkt nachvollziehen und hatte den großen, dummen Kerl inzwischen ziemlich gern. Aber solange er auf einem Beweis bestand, saßen wir im Sumpf fest – er konnte keine Satyrköpfe bekommen, weil es schlicht und einfach keine Satyre mehr gab (falls es je welche gegeben hatte).
Bayard wiederum dachte nur noch an das Turnier in Kastell di Caela. Er konnte sich immer noch vorstellen, rechtzeitig für die Teilnahme am Kampf um Enid di Caelas Hand einzutreffen, für deren verstohlenes Lächeln oder heimlich anerkennenden Blick unser Held freudig alle Junggesellen von Ansalon erledigen würde. Bis dahin waren es seiner Aussage nach immer noch zehn Tage, und wenn wir sofort aufbrechen würden, konnten wir rechtzeitig in Kastell di Caela sein, ohne dabei Valorus oder uns allzusehr zu überanstrengen. Aus diesem Grunde mußten wir sofort los.
Der unverzügliche Aufbruch war auch ganz in meinem Sinne. Die Gegend gefiel mir überhaupt nicht, und ich hatte keineswegs meinen anderen, älteren Bruder vergessen, der zweifellos irgendwo hier in der Rüstung meines Vaters herumlag, und der mich – tot oder lebendig – in eine peinliche Lage bringen konnte, wenn er auftauchen würde.
»Agion«, argumentierte Bayard, »wir haben einander beigestanden, haben Seite an Seite gekämpft. Wenn wir die Ereignisse von gestern abend noch einmal durchgehen, finden wir bestimmt jeder eine Situation, wo einer von uns sagen kann, daß er dem anderen das Leben gerettet hat. Bei einer solchen Nähe, so viel Vertrauen, das zwischen uns gewachsen ist, kannst du mich da noch von der Weiterreise abhalten?«
»Ja.«
Ich mußte eingreifen. So kamen wir einfach nicht weiter.
»Schau mal, Agion«, fing ich an, wobei ich mich an die Wand der Hütte anlehnte, dann merkte, was ich tat, und erschreckt einen Schritt machte, weil ich dem verrotteten Holz und der Statik mißtraute. »Schau mal, Agion, was hält dich denn davon ab, uns einfach gehen zu lassen, nachdem wir doch durch unsere Handlungsweise unsere Unschuld bewiesen haben? Oder glaubst du immer noch, daß wir es waren, die die Satyre aufgehetzt haben?«
»Oh, Ihr seid wirklich die edelsten aller Seelen, Meister Bayard und Meister Galen!« rief Agion aus. »Das kann ich nicht bestreiten und würde das auch nie tun. Aber gleichzeitig sind auch Archala und die Ältesten – nun, es sind Archala und die Ältesten. Und ihnen bin ich Treue schuldig. Ich muß mein Versprechen halten.«
»Was hast du denn genau versprochen, Agion?«
Bei meiner Frage runzelte der große Zentaur die Stirn und kratzte sich mit einer Geste den Kopf, die mich unangenehm an Alfrik erinnerte.
»Wenn ich mich recht entsinne, Meister Galen, waren es genau diese Worte: Ich sollte keinen – weder den Ritter noch den Knappen – aus den Augen lassen, bis ich sie wieder in die Obhut der Ältesten zurückbringe.«
Perfekt.
»Du hast also nur versprochen, uns nicht aus den Augen zu lassen, bis du uns zurückbringst?« rief ich dem Zentauren zu, der von der Plattform zu einem nahen Vallenholzbaum geschlendert war, von dem er Blätter abrupfte.
»Ja, Meister Galen«, rief er zurück, während er eine Handvoll Vallenholzblätter in den Mund stopfte.
»Dann komm doch mit.«
Agion schluckte. »Mitkommen?«
»Mitkommen?« Bayard blieb wie angewurzelt auf der Plattform stehen.
»Warum nicht? Du weißt doch, daß man wortwörtlich gehorchen kann, Agion, nicht wahr?«
»Ja«, sagte er zögernd.
»Na also«, fuhr ich fort. »Wenn du mitkommst, Agion, hast du dein Versprechen nicht gebrochen. Es kann eine Zeit kommen – nein, es wird auf jeden Fall eine Zeit kommen –, wo unsere Unschuld selbst dem mißtrauischsten Richter klar wird. Aber bis dahin haben wir zu tun. Wozu ein Turnier in elf Tagen gehört, bei dem«, ich nickte Bayard bedeutsam zu, »unsere Anwesenheit erwartet wird.«
Jetzt wußte Agion nicht mehr weiter. Er verschränkte die Arme und scharrte mit dem rechten Vorderhuf in dem nassen Boden. Er steckte in einem Dilemma, das ich mir bestens ausmalen konnte, und wegen seiner Blödheit und seiner guten Absichten flog ihm mein Herz zu.
Agion kaufte mir meine Argumentation ab. Er nickte heftig, und sein Gesicht brach in ein dummes Grinsen aus. Plötzlich keilte er aus und erschreckte damit diverse Ziegen.
»Verstanden, Meister Galen! Wenn ich nicht mit Ihm zu meinen Ältesten zurückkehre, habe ich mein Versprechen nicht gebrochen! Also ist die beste Entscheidung mitzukommen!«Kastell di Caela war immer noch ziemlich weit entfernt. Wir mußten nach Südsüdosten und das Vingaard-Gebirge auf einem Pfad durchqueren, den Bayard kannte, dann über den Südwestausläufer der Solamnischen Ebene ziehen, den südlichsten Zufluß des Vingaard überqueren und auf halbem Wege zwischen der Furt und Solanthus anhalten. Per Luftlinie war es eine einwöchige Reise.
Leider waren wir keine Krähen, und wir würden uns sputen müssen, um die Zeit aufzuholen, die wir durch die Zentauren, Satyre und Skorpione verloren hatten. Zehn Tage, befand Bayard, und auch das nur bei gutem Wetter.
Nur mit einem Umhang und einer schmutzigen Reisetunika bekleidet, führte uns Bayard auf dem Rücken von Valorus aus dem Sumpf. Als wir schließlich offeneres, trockeneres Gelände erreichten, kamen wir zu etwas, was ich für einen kleinen Berg hielt, was sich aber als hügelige Hochebene erwies, die sich weit nach Osten erstreckte, und wo das einzig Herausstechende ein paar Wäldchen und unsere Straße waren. Auf dieser ritten wir in unseren vom gestrigen Regen verschlammten Kleidern dahin.