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»Ich ... war mit ihm bekannt ... meine Schwester lebte in seinem Hause als Gouvernante ...«

»So, so, so ... Dann können Sie uns wohl einiges mitteilen. Und Sie haben es gar nicht geahnt?«

»Ich habe ihn gestern gesehen ... er ... trank Wein ... ich wußte nichts.«

Raskolnikow hatte ein Gefühl, als ob etwas auf ihn niedergefallen wäre und ihn erdrückt hätte.

»Sie sind wieder blaß geworden. Es ist hier bei uns eine so stickige Luft ...«

»Ja, ich muß gehen«, murmelte Raskolnikow. »Entschuldigen Sie, daß ich gestört habe ...«

»Oh, bitte sehr, soviel es Ihnen beliebt! Es war mir ein Vergnügen, und ich freue mich, es Ihnen zu sagen.«

Ilja Petrowitsch reichte ihm sogar die Hand.

»Ich wollte nur ... zu Samjotow ...«

»Ich verstehe, ich verstehe, und haben dabei mir das Vergnügen gemacht.«

»Ich ... ich freue mich ... auf Wiedersehen ...« stammelte Raskolnikow mit einem Lächeln.

Er ging hinaus; er schwankte. Der Kopf schwindelte ihm. Er fühlte nicht, ob er noch auf den Beinen stehe. Er begann die Treppe hinabzugehen, indem er sich mit der rechten Hand gegen die Wand stützte. Es schien ihm, als hätte ihn irgendein Hausknecht, der mit einem Buche in der Hand ins Bureau hinaufging, gestoßen; als bellte irgendwo im unteren Stock aus Leibeskräften ein Hündchen, und als hätte eine Frau mit einem Stock nach ihm geworfen und es angeschrien. Er ging hinunter und trat in den Hof. Hier auf dem Hofe, in der Nähe des Ausganges stand Ssonja, bleich und starr und sah ihn wie wahnsinnig an. Er blieb vor ihr stehen. Ihr Gesicht zeigte einen leidenden und gequälten Ausdruck, etwas wie Verzweiflung. Sie schlug die Hände zusammen. Ein häßliches, verlorenes Lächeln erschien auf seinen Lippen. Er stand eine Weile da, lächelte und ging wieder ins Polizeibureau hinauf.

Ilja Petrowitsch hatte sich hingesetzt und wühlte in irgendwelchen Papieren. Vor ihm stand derselbe Mann, der vorhin auf der Treppe Raskolnikow gestoßen hatte.

»Ah! Sie sind wieder da! Haben Sie etwas vergessen? ... ... Aber was ist mit Ihnen?«

Raskolnikow kam mit blassen Lippen und starrem Blick näher, trat langsam an ihn, dicht an den Tisch heran, stützte sich mit der Hand auf die Tischplatte, wollte etwas sagen, konnte aber nicht; man hörte nur irgendwelche unzusammenhängenden Töne.

»Ihnen ist schlecht! Einen Stuhl! Hier, setzen Sie sich auf den Stuhl, setzen Sie sich! Wasser!«

Raskolnikow ließ sich auf den Stuhl nieder, wandte aber die Augen nicht vom Gesicht des höchst unangenehm überraschten Ilja Petrowitsch. Beide sahen eine Minute lang einander an und warteten. Jemand brachte Wasser.

»Ich habe ...« begann Raskolnikow.

»Trinken Sie Wasser.«

Raskolnikow stieß mit der Hand das Glas zurück und sagte leise, stockend, doch vernehmlich:

»Ich habe damals die alte Beamtenwitwe und ihre Schwester Lisaweta mit dem Beil erschlagen und beraubt!«

Ilja Petrowitsch machte den Mund auf. Von allen Seiten kam man zusammengelaufen.

Raskolnikow wiederholte seine Aussage.

Epilog

I

Sibirien. Am Ufer eines breiten, öden Flusses steht eine Stadt, eines von den administrativen Zentren Rußlands; in der Stadt ist eine Festung, in der Festung befindet sich ein Zuchthaus. Im Zuchthause sitzt schon seit neun Monaten der Sträfling zweiter Klasse Rodion Raskolnikow. Seit dem Tage seines Verbrechens sind fast anderthalb Jahre vergangen.

Das Gerichtsverfahren gegen ihn verlief ohne große Schwierigkeiten. Der Verbrecher hielt seine Aussage bestimmt und klar aufrecht, ohne die Umstände zu verwickeln, ohne sie zu seinen Gunsten zu mildern, ohne die Tatsachen zu entstellen und ohne auch die geringste Einzelheit zu verschweigen. Er beschrieb bis zum letzten Detail den ganzen Vorgang des Mordes, erklärte das Geheimnis des »Pfandes« (des Holzbrettchens mit der Metallplatte), das man in den Händen der ermordeten Alten gefunden hatte; erzählte genau, wie er die Schlüssel von der Ermordeten genommen hatte, beschrieb diese Schlüssel, beschrieb auch die Truhe und womit sie angefüllt war; er erklärte das Rätsel der Ermordung Lisawetas; erzählte, wie Koch gekommen war und geklopft hatte und nach ihm der Student erschienen war, und gab alles wieder, was sie miteinander gesprochen hatten; erzählte, wie er, der Verbrecher, nachher die Treppe hinuntergelaufen war und das Geschrei von Mikolka und Mitjka gehört hatte; wie er sich in der leeren Wohnung versteckt hatte und dann nach Hause gekommen war; schließlich gab er den Stein auf dem Hofe auf dem Wosnessenskij-Prospekt hinter dem Tore an, unter dem man später die Sachen und den Beutel auch wirklich fand. Mit einem Wort: die Sache war vollkommen klar. Die Untersuchungsbeamten und die Richter waren unter anderem sehr darüber erstaunt, daß er den Beutel und die Sachen unter dem Stein versteckt hatte, ohne von ihnen Gebrauch zu machen, besonders aber darüber, daß er sich nicht nur aller Gegenstände, die er geraubt hatte, nicht erinnerte, sondern sich sogar in ihrer Zahl irrte. Der Umstand, daß er kein einzigesmal den Beutel geöffnet hatte und nicht einmal wußte, wieviel Geld er enthielt, erschien ganz unglaubwürdig. Im Beutel fand man dreihundertsiebzehn Rubel in Banknoten und drei Zwanzigkopekenstücke; von dem langen Liegen unter dem Stein hatten einige zu oberst liegende Scheine, es waren gerade die größeren, sehr gelitten. Lange mühte man sich ab, zu erfahren, warum der Angeklagte gerade in diesem einen Punkte log, während er in allen übrigen Dingen freiwillig und aufrichtig gestand. Schließlich gaben einige (besonders die Psychologen) die Möglichkeit zu, daß er in den Beutel wirklich nicht hineingeschaut hatte und darum auch nicht wußte, was er enthielt; ohne es zu wissen, hätte er den Beutel unter dem Steine versteckt; daraus schloß man aber auch, daß das Verbrechen nur im Zustande einer gewissen vorübergehenden Unzurechnungsfähigkeit verübt werden konnte, sozusagen einer krankhaften Monomanie, zu morden und zu rauben, ohne weitere Absichten auf Bereicherung. Sehr gelegen kam die neueste Theorie von vorübergehender Geistesstörung, die man heutzutage so oft auf manche Verbrecher anzuwenden versucht. Zudem wurde der seit langem datierende hypochondrische Zustand Raskolnikows genau von vielen Zeugen bestätigt – vom Arzte Sossimow, von seinen früheren Kollegen, seiner Wirtin und dem Dienstmädchen. Das alles unterstützte außerordentlich die Annahme, daß Raskolnikow einem gewöhnlichen Mörder, Räuber und Diebe gar nicht ähnlich sehe und daß hier etwas anderes vorliegen müsse. Aber zum größten Verdruß derer, die diese Ansicht vertraten, machte der Verbrecher selbst fast keine Versuche, sich zu verteidigen; auf die endgültigen Fragen, was ihn zum Morde habe bewegen können und was ihn zum Raube verleitet habe, antwortete er sehr klar mit der rohesten Genauigkeit, daß die Ursache davon seine schlechte Lage, seine Armut und Hilflosigkeit gewesen seien, der Wunsch, die ersten Schritte seiner Lebensbahn mit Hilfe der mindestens dreitausend Rubel zu sichern, die er bei der Ermordeten zu finden hoffte. Zum Morde habe er sich aber infolge seines leichtsinnigen und kleinmütigen Charakters entschlossen, der überdies durch Entbehrungen und Mißerfolge gereizt war. Auf die Frage, was ihn veranlaßt habe, mit einem Geständnis zu kommen, antwortete er unumwunden, daß es aufrichtige Reue gewesen sei. Das alles klang schon beinahe roh ...

Das Urteil fiel jedoch milder aus, als man es nach der Art des Verbrechens erwartet hatte, und zwar vielleicht gerade aus dem Grunde, weil der Verbrecher sich nicht nur nicht zu verteidigen versuchte, sondern sogar den Wunsch zeigte, sich noch mehr anzuklagen. Alle die seltsamen und besonderen Umstände wurden mit in Betracht gezogen. Der krankhafte Zustand und die Notlage des Verbrechers vor Ausführung der Tat unterlagen keinem Zweifel. Daß er vom Geraubten keinen Gebrauch gemacht hatte, wurde zum Teil der erwachten Reue und zum Teil dem nicht völlig normalen Zustande seiner geistigen Fähigkeiten bei der Verübung des Verbrechens zugeschrieben. Auch die zufällige Ermordung Lisawetas diente als Umstand, der die letzte Annahme bekräftigte: ein Mensch begeht zwei Morde und vergißt zugleich, daß die Tür offen steht! Schließlich das freiwillige Geständnis gerade zu einem Zeitpunkt, wo die Sache infolge der falschen Selbstanklage eines entmutigten Fanatikers (Nikolai) außerordentlich verwickelt wurde und außerdem, wo gegen den wahren Verbrecher nicht nur keine klaren Indizien, sondern auch fast keine Verdachtsgründe vorlagen (Porfirij Petrowitsch hatte Wort gehalten) – das alles trug außerordentlich viel zur Milderung des Loses des Angeklagten bei.