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Überraschenderweise öffnete sie ihm auf sein Klopfen sofort die Tür, anstatt wie sonst erst zu fragen, wer da sei. Aber das war nicht von Bedeutung. Er bat sie, einen Moment vor die Tür zu kommen, damit sie miteinander sprechen könnten, ohne die Kinder zu wecken.

Ich muss in einer Stunde weg, sagte er. Ich wollte vorher mit dir reden. Es geht um ...

Ja, worum ging es? Um seinen Entschluss, sich einer Scheidung nicht länger zu widersetzen? Um die Vermögensregelung, die sie wünschte? Um eines oder beide ihrer gemeinsamen Kinder?

Egal. Was er als Vorwand benutzte, wirkte. Sie kam vor die Tür, und er schlug so blitzschnell zu, dass sie gar nicht wusste, wie ihr geschah. Er riss sie herum, stieß ihr das Messer in den Hals und durchschnitt ihr die Kehle mit einer Kraft, die seiner rasenden Wut auf sie entsprang - weil sie ihm einfach nicht aus dem Kopf ging; weil sie ihm seine Kinder wegnehmen wollte; weil sie ihm alles nehmen wollte, was er hatte.

In Sekundenschnelle war es vorbei. Er ließ ihren blutigen Leichnam zu Boden sinken und wandte sich zum Gehen - als sich die Gartenpforte öffnete und der junge Mann eintrat.

Er wollte nur eine harmlose kleine Besorgung erledigen: eine vergessene Sonnenbrille zurückbringen. Er war auf dem Heimweg von der Arbeit und natürlich überhaupt nicht auf das vorbereitet, was ihn erwartete - der Anblick eines Mannes mit einem blutigen Messer in der Hand und einer Frauenleiche zu seinen Füßen.

Als Erstes schnappte der junge Mann erschrocken nach Luft. Dann sagte er: »Was zum -«, aber weiter kam er nicht. Der Mörder stürzte sich mit seinem Messer auf ihn und begann, wild auf ihn einzustechen.

Es ging alles völlig geräuschlos. Es war nicht wie in einem Hollywood-Film, wo Männer, von Toneffekten und Musik begleitet, um ihr Leben kämpfen. Das hier war echt. Und bei einem echten Kampf herrscht nur Schweigen, höchstens von Stöhnen unterbrochen, das aber von der Straße her nicht zu hören ist.

Im Kampf verlor der Mörder die Wollmütze, die er auf dem Kopf trug, und er verlor einen seiner beiden Handschuhe. Er war blutbespritzt und schnitt sich mit dem Messer selbst in die Hand. Aber er siegte. Der junge Mann starb.

Nun aber hatte der Mörder ein Problem. Bei dem Kampf war kostbare Zeit verloren gegangen. Er konnte es sich nicht leisten, nach der Mütze und dem Handschuh zu suchen, die er verloren hatte. Er musste schleunigst nach Hause, seine Kleider in die Waschmaschine werfen und duschen, um beim Eintreffen der Limousine bereit zu sein.

In der Eile verlor er auch noch den zweiten Handschuh.

Das Messer bereitete ihm keine Schwierigkeiten. Er steckte es einfach in die Golftasche, die er auf die Reise mitnehmen wollte. Die Tasche würde am Flughafen vielleicht zusammen mit dem anderen Gepäck durch­leuchtet werden, aber unter den Golfschlägern würde man das Messer wahrscheinlich gar nicht bemerken; und selbst wenn - es war kein Sprengkörper und würde daher nicht weiter beachtet werden.

Es war ein Kinderspiel, nach der Ankunft am Zielort das Messer verschwinden zu lassen. Er zog seinen Jogging­anzug an und lief los, um eine morgendliche Runde zu drehen. Das Messer nahm er mit und warf es irgendwo unterwegs weg.

In wenigen Stunden schon würde man ihn vom Tod seiner Frau unterrichten. Aber er hatte ein Alibi, und selbst wenn dieses nicht standhalten sollte, hatte er Geld genug, um sich die Anwälte zu kaufen, die ihn aus dem Schlamassel, in das der Junge mit der Sonnenbrille ihn hineingeritten hatte, wieder heraushauen würden.

Die Beschäftigung mit diesem Verbrechen und der möglichen Schuld des Ehemanns regte mich zu der folgenden Kurzgeschichte an. Darin wird einem Ehemann der Verdacht, dass seine Frau ihn betrügt, allmählich zur fixen Idee - mit unerwarteten Folgen.

Die Überraschung seines Lebens

Bei der ersten Sitzung mit Thistle McCloud hatte Douglas Armstrong keinerlei Absicht, seine Frau zu ermorden. Tatsächlich kam ihm der Gedanke an Mord erst zwei Wochen nach Sitzung Nummer vier.

Douglas beobachtete Thistle genau, während diese sich auf seine Offenbarung aus einer anderen Dimension vorbereitete. Sie hielt seinen Trauring auf ihrer geöffneten linken Hand. Sie schloss die Finger um den Ring. Sie ließ ihre rechte Hand über der Faust der linken schweben. Sie summte fünf Töne, die verdächtige Ähnlichkeit mit dem Anfang von »I Love You Truly« hatten. Langsam rutschten ihre Augen weg, verdrehten sich aufwärts und verschwanden hinter den gelb getönten Lidern. Was blieb, war der verwirrende Anblick einer Frau um die dreißig mit einem Strohhut auf dem Kopf, in gestreifter Weste und weißem Hemd mit getüpfelter Krawatte, die aussah wie ein Mitglied eines humorigen Sängerquartetts, das verzweifelt seine Partner suchte.

Bei seiner ersten Begegnung mit Thistle McCloud hatte Douglas ihren Aufzug - an dem sich bei den folgenden Begegnungen nichts Bemerkenswertes änderte - für die raffinierte Kostümierung einer Scharlatanin gehalten, der es darauf ankam, alle Aufmerksamkeit ihrer Klienten auf ihr äußeres Erscheinungsbild zu ziehen und so von den Manipulationen abzulenken, die sie anwenden würde, um in die Vergangenheit, die Gegenwart, die Zukunft und - vor allem - die Brieftasche ihrer Opfer einzudringen. Aber er hatte schnell erkannt, dass Thistles seltsame Auf­machung mit Ablenkungsmanövern überhaupt nichts zu tun hatte. Gleich bei der ersten Sitzung, als sie seine alte Rolex-Uhr in der Hand hielt und in leisem, hoch konzen­triertem Ton vom verlorenen Sohn zu sprechen begann, von seinen ewigen Abschieden und Heimkünften, von den betagten Eltern, die ihn stets mit offenen Armen und offenen Herzen wieder aufnahmen, und von dem Bruder, der das alles mit einem starren falschen Lächeln und einem stummen Schrei - und ich? Gelte ich denn gar nichts? - beobachtete, hatte er das Gefühl, dass Thistle genau das war, was sie zu sein vorgab: ein Medium.

Das erste Mal hatte er ihre Ladenpraxis nur aufgesucht, weil er vor seiner jährlichen Prostata-Untersuchung vierzig Minuten Zeit hatte, die er irgendwie totschlagen musste. Ihm graute vor der Untersuchung und dem peinlichen Moment, da er auf die joviale, von einem gutmütigen Rippenstoß begleitete Frage seines Arztes, »Na, alles lebhaft und munter?«, mit der Wahrheit würde herausrücken müssen: dass nämlich in letzter Zeit das Newton'sche Gesetz von der Schwerkraft sich bei seinem liebsten Körperglied deutlich bemerkbar machte. Und da er sechs Wochen vor seinem fünfundfünfzigsten Geburts­tag stand und alle Katastrophen seines Lebens sich jedes Mal in einem Alter ereignet hatten, das durch die Zahl fünf teilbar gewesen war, wollte er, wenn eine Chance bestand zu erfahren, was die Götter ihm und seiner Prostata für ein Schicksal zugedacht hatten, in der Lage sein, etwas zu unternehmen, um das Chaos abzuwenden.

All dies hatte ihn beschäftigt, als er im goldenen Dämmerlicht eines späten Dezembernachmittags den Pacific Coast Highway hinuntergefahren war. In einem hässlichen gewerblichen Teil der Straße - hauptsächlich Pizzerien und Läden, die Alphabettafeln für spiritistische Sitzungen verkauften - war ihm das kleine blaue Gebäude aufgefallen, an dem er vorher schon tausendmal vorüber­gekommen war. »Spiritistische Beratungen«, stand auf dem handgeschriebenen Schild im Fenster. Nach einem Vorwand zum Anhalten suchend, hatte er einen Blick auf seine Benzinuhr geworfen, und während er in der Tankstelle gegenüber dem kleinen blauen Gebäude seinen Mercedes mit bleifreiem Super vollpumpte, hatte er sich entschlossen. Was, zum Teufel, hatte er sich gedacht. Es gab schlimmere Arten, sich vierzig Minuten zu vertreiben.

So war es zu seiner ersten Sitzung bei Thistle McCloud gekommen, die seinen Vorstellungen von einer Wahr­sagerin überhaupt nicht entsprach, da sie weder Kristall­kugel noch Tarotkarten noch sonst was benutzte, sondern sich ganz einfach mit einem Schmuckstück von ihm begnügte. Bei den ersten drei Sitzungen hatte sie ihre Emanationen aus dem Jenseits stets über seine Rolex empfangen. Heute jedoch hatte sie die Uhr zur Seite gelegt, behauptet, diese habe ihre Kraft verloren, und hatte ihre nebelgrauen Augen auf seinen Trauring geheftet. Sie hatte ihn mit ihrem Finger berührt und gesagt: »Ich denke, ich werde den nehmen. Sofern Sie etwas wissen wollen, das von Ihrer Vergangenheit weiter entfernt und Ihrem Herzen näher ist.«