Am nächsten Tag ging er abends um Viertel vor sechs in die Personalabteilung. Das war besser als die Gelben Seiten, da er wenigstens wusste, dass die Leute, die die neuen Angestellten für South Coast Oil überprüft hatten, kompetent und diskret waren. Keiner hatte sich je darüber beschwert, dass irgendein superschlauer Privatdetektiv in seinen Privatangelegenheiten herumgeschnüffelt habe.
Die Personalabteilung war leer und verlassen, wie Douglas gehofft hatte. Die Bildschirme auf den Schreibtischen waren auf die animierten Bilder geschaltet, die die Geräte schonen sollten: ein Schwarm schwimmender Fische, springende Bälle, zerberstende Blasen. Das Büro des Abteilungsleiters am hinteren Ende der Räumlichkeiten war dunkel und abgeschlossen, aber dieses Problem löste der Hauptschlüssel in der Hand des Firmenpräsidenten. Douglas ging hinein und machte Licht.
Er fand den Namen, den er suchte, auf einer der eselsohrigen Karten in der Kartei des Personalchefs, einem merkwürdigen Anachronismus in einem Büro des Computerzeitalters.Cowley und Sohn, Diskrete Nachforschungen, stand da in verblasster Maschinenschrift. Darunter war eine Telefonnummer und eine Adresse auf der Balboa-Halbinsel angegeben.
Zwei Minuten lang starrte Douglas auf Telefonnummer und Adresse hinunter. War es besser zu wissen oder in seliger Unwissenheit zu leben?, fragte er sich in diesem schicksalhaften Moment. Aber er lebte ja nicht in seliger Unwissenheit. Mit der Seligkeit war es in dem Moment aus und vorbei gewesen, als er im Bett versagt hatte. Also war es besser zu wissen. Er musste es wissen. Wissen ist Macht. Macht war Kontrolle. Er brauchte beides.
Er griff zum Telefon.
Douglas ging zum Mittagessen stets außer Haus - es sei denn, es stand eine Besprechung mit seinen Geologen oder den Ingenieuren an -, daher zuckte niemand auch nur mit der Wimper, als er am folgenden Tag kurz vor Mittag die Firma verließ. Auf dem Jamboree Boulevard fuhr er wieder zum Küstenhighway, diesmal jedoch bog er nicht nach Norden ab, in Richtung Newport, wo Thistle ihre Vorhersagen machte, sondern überquerte den Highway und rollte den Hang hinunter, wo eine mäßig gewölbte Brücke einen ölglänzenden Teil des Hafens von Newport überspannte, der das Festland von einem amöbenförmigen Stück Land trennte. Das war Baiboa Island.
Im Sommer wimmelte es auf der Insel von Touristen. Sie blockierten die Straßen mit ihren Autos und rasten mit ihren Fahrrädern auf dem Bürgersteig rund um die Insel um die Wette. Kein vernünftiger Einheimischer wagte sich in den Sommermonaten ohne triftigen Grund auf die Insel, es sei denn, er hatte dort seinen Wohnsitz. Im Winter jedoch war die Gegend praktisch menschenleer. Er brauchte keine fünf Minuten, um sich durch die schmalen Straßen zum Nordende der Insel zu schlängeln, wo die Fähre wartete, um Autos und Fußgänger in kurzer Fahrt zur Halbinsel hinüberzubringen.
Dort drehten sich wie zwei Gegenräder eines gigantischen Uhrwerks ein Karussell mit bunt gestreiftem Dach und ein Riesenrad, Marksteine des so genannten Rummelplatzes, der im Sommer der Polizei ein ewiger Dorn im Auge war. Heute jedoch trieben sich hier keine Banden Jugendlicher mit gezückten Farbsprühdosen herum. Die einzigen Besucher des Rummelplatzes waren ein Querschnittgelähmter im Rollstuhl und sein Begleiter auf dem Fahrrad.
Douglas kam an ihnen vorüber, als er von der Fähre herunterfuhr. Sie waren vertieft in ihr Gespräch. Riesenrad und Karussell existierten für sie nicht. Ebenso wenig Douglas und sein blauer Mercedes. Das war gut so. Er wollte nicht unbedingt bemerkt werden.
Er parkte direkt am Strand, auf einem Platz, wo fünfzehn Minuten fünfundzwanzig Cents kosteten. Er schob vier Vierteldollarmünzen ein. Er schloss den Wagen ab und ging Richtung Westen zur Main Street, eine von Bäumen beschatteten kleinen Straße von etwa sechzig Metern Länge, die bei einem pseudo-neuenglischen Restaurant mit Blick auf den Hafen von Newport anfing und am Baiboa Pier endete. Weit ragte der Pier in den Pazifischen Ozean hinaus, der heute graugrün war und aufgewühlt von den Nachwehen eines alaskischen Wintersturms.
Er suchte Main Street Nummer 107-B und fand das Haus ohne Mühe. Es stand an der Ecke einer Seitengasse, ein einstöckiger Bau, in dessen Erdgeschoss sich ein museumsreifer Frisiersalon mit Namen JJ's befand - mit einem starken Hang zu Makrame, Topfpflanzen und Janis- Joplin-Postern -, während das obere Stockwerk in Büros aufgeteilt war, die über eine bautechnisch fragwürdige Treppe am Nordende des Gebäudes zu erreichen waren. 107-B war die erste Tür im ersten Stock - JJ's Frisiersalon schien 107 A zu sein -, aber als Douglas den angelaufenen Messingknauf unter dem gleichermaßen angelaufenen Messingschild mit der AufschriftCowley und Sohn, Diskrete Nachforschungen drehte, fand er die Tür verschlossen.
Stirnrunzelnd sah er auf seine Rolex. Sein Termin war um zwölf Uhr fünfzehn. Jetzt war es zwölf Uhr zehn. Wo also war Cowley? Und wo war sein Sohn?
Er kehrte zur Treppe zurück, entschlossen, sich auf den Weg zu seinem Wagen und seinem Funktelefon zu machen; entschlossen, Cowley aufzustöbern und ihn zur Schnecke zu machen für sein Versäumnis, den verabredeten Termin einzuhalten. Doch er war gerade erst drei Stufen hinuntergestiegen, als er einen Mann in Khaki kommen sah, der mit der Wonne eines Zwölfjährigen ein Orangeneisgetränk schlürfte. Sein schütteres graues Haar und das von der Sonne verwitterte Gesicht jedoch verrieten klar, dass er mindestens fünf Jahrzehnte älter war als zwölf. Und sein Hinkebein - in Kombination mit seiner Kleidung - ließ auf eine alte Kriegsverletzung schließen.
»Sind Sie Cowley?«, rief Douglas von der Treppe.
Der Mann schwenkte seinen Becher. »Sind Sie Armstrong?«, fragte er zurück.
»Ganz recht«, sagte Douglas. »Hören Sie mal, ich hab nicht viel Zeit.«
»Die hat keiner von uns«, erwiderte Cowley und hievte sich die Treppe hinauf. Er nickte freundlich, sog geräuschvoll an seinem Strohhalm und hüllte Douglas in Wolken eines Rasierwassers ein, das dieser seit gut zwanzig Jahren nicht mehr gerochen hatte.Canoe. Wahnsinn. Das Zeug wurde immer noch verkauft?
Cowley zog die Tür auf und bedeutete Douglas mit einer Kopfbewegung einzutreten. Das Büro bestand aus zwei Räumen: Der eine war ein spärlich möbliertes Wartezimmer, das sie durchquerten; der andere war offensichtlich Cowleys Reich. Das Prunkstück war ein olivgrüner Stahlschreibtisch. Aktenschränke und Regale derselben Serie zierten die Wände.
Der Privatdetektiv ging zu einem alten hölzernen Bürostuhl hinter dem Schreibtisch, aber er setzte sich nicht. Stattdessen öffnete er eine der Seitenschubladen und entnahm ihr, zur Überraschung Douglas', der eine Flasche Bourbon erwartet hatte, ein Fläschchen mit gelben Kapseln. Er schüttelte zwei auf seine offene Hand und spülte sie mit einem kräftigen Schluck Orangeneisgetränk hinunter. Dann erst ließ er sich auf seinen Stuhl fallen und umfasste die Armlehnen mit den Händen.
»Arthritis«, sagte er. »Sauschmerzen. Ich würge sie mit Nachtkerzenöl ab. Geben Sie mir einen Moment Zeit, ja? Wollen Sie auch welche?«
»Nein.« Douglas sah auf seine Uhr, um Cowley wissen zu lassen, dass seine Zeit kostbar war. Dann schlenderte er zu den Stahlregalen. Er erwartete Handbücher über Feuerwaffen zu sehen, Strafgesetzbücher, Texte zur Überwachungspraxis, Werke, die den zukünftigen Klienten davon überzeugten, dass er sich mit seinen Problemen an die richtige Adresse gewandt hatte. Doch er fand ausschließlich Lyrik, Band um Band, ordentlich aufgefädelt in alphabetischer Reihenfolge, von Matthew Arnold bis William Butler Yeats. Er wusste nicht, was er davon halten sollte.