Douglas fühlte sich in einen Strudel gerissen, aber er brachte dennoch ein ironisches Lächeln zustande und sagte: »Mann-o-Mann, jetzt komm ich mir wirklich wie ein kompletter Idiot vor.«
»Wie das?«, fragte Cowley.
»Der Mann da?« Douglas zeigte auf den sportlich wirkenden Mann auf dem Foto. »Das ist ihr Bruder.«
»Das gibt's doch nicht!«
»Doch. Er ist Leichtathletiktrainer in der Newport Harbor High School. Er heißt Michael. Er ist so ein freier, unkonventioneller Typ.« Douglas umklammerte das Geländer mit einer Hand und schüttelte den Kopf, als wäre er tief beschämt. »Ist das alles, was Sie haben?«
»Das ist alles. Ich kann sie ja noch eine Weile überwachen und sehen ...«
»Nein. Vergessen Sie's. Mensch, komm ich mir blöd vor.« Douglas zerriss die Fotografien in kleine Fetzen, die er ins Wasser warf, wo sie flüchtig eine Decke bildeten, ehe sie von den Wellen schnell auseinander getrieben wurden.
»Was schulde ich Ihnen, Cowley?«, fragte er. »Wie viel muss dieser Oberesel dafür bezahlen, dass er der besten Ehefrau der Welt nicht getraut hat?«
Er lud Cowley ins Dillman's an der Ecke Main Street und Baiboa Boulevard ein, und sie setzten sich zu den Einheimischen an den geschwungenen Tresen und kippten jeder zwei Bier. Douglas zeigte sich von seiner jovialsten Seite und spielte den beschämten Ehemann, dem mit einem Schlag klar geworden ist, was für ein verbohrter Idiot er gewesen war. Er ging alle Handlungen Donnas in den vergangenen Wochen noch einmal durch, um sie Cowley erneut zu interpretieren. Die unerklärten Abwesenheiten wurden damit begründet, dass sie zweifellos eine liebevolle Überraschung für ihn plante: den Kauf eines neuen Autos vielleicht; eine Europareise; die Renovierung seiner Jacht. Die geheimnistuerischen Telefongespräche wurden als Anrufe seiner Kinder ausgelegt, die bei der Überraschung mit von der Partie waren. Die neue Unterwäsche verwandelte sich in einen Beweis dafür, dass sie für ihn noch begehrenswerter sein wollte, ihm über seine vorübergehende Impotenz hinweghelfen wollte, indem sie sein Interesse an ihrem Körper neu entflammte. Er käme sich wirklich wie ein kompletter Idiot vor, sagte er wieder. Sollten sie nicht die verdammten Negative gemeinsam verbrennen?
Sie machten eine rituelle Handlung daraus und ließen die Negative der belastenden Bilder in der Gasse hinter JJ's Frisiersalon in Flammen aufgehen. Hinterher fuhr Douglas in einem Nebel der Benommenheit zur Newport Harbor High School und parkte gegenüber. Er wartete zwei Stunden. Endlich sah er seinen jüngsten Bruder vom Nachmittagstraining kommen. Er hatte einen Basketball unter dem Arm und eine Sporttasche in der Hand.
Michael, dachte er. Diesmal aus Griechenland heimgekehrt, aber immer noch der mit Freuden wiederaufgenommene verlorene Sohn. Vor Griechenland war es ein Jahr bei Greenpeace gewesen, auf derRainbow Warrior. Davor war es eine Amazonas-Expedition gewesen. Und davor ein Marsch gegen die Apartheid in Süd-Afrika. Er hatte einen Lebenslauf, der jeden vorpubertären Jungen, der was erleben wollte, mit Neid erfüllen musste. Er war der Abenteurer, der Leichtsinnige, der Charmante. Er war ein Mann voll guter Vorsätze, an die er sich nie hielt. Wenn es galt, ein Versprechen einzulösen, war er aus den Augen, aus dem Sinn, außer Landes. Aber alles vergötterte den Hurensohn. Er war vierzig Jahre alt, der jüngste der Armstrong-Brüder, und er bekam immer genau das, was er sich in den Kopf gesetzt hatte.
Jetzt hatte er sich Donna in den Kopf gesetzt, der elende Bastard. Ohne Rücksicht darauf, dass sie die Frau seines Bruders war. Im Gegenteil, das machte die Eroberung um so amüsanter.
Douglas war speiübel. In seinen Eingeweiden rumorte es, als ob ein Haufen Murmeln in einem Eimer herumrollte. Der Schweiß brach ihm am ganzen Körper aus. So konnte er nicht in die Firma zurückfahren. Er griff zum Telefon und rief sein Büro an.
Er fühle sich nicht wohl, sagte er seiner Sekretärin. Anscheinend habe er beim Mittagessen irgendwas erwischt. Er fahre direkt nach Hause. Sie könne ihn dort erreichen, wenn es etwas Dringendes gäbe.
Daheim ging er von Zimmer zu Zimmer. Donna war nicht da - würde erst viel später heimkommen -, er hatte also mehr als genug Zeit, darüber nachzudenken, was er tun sollte. Sein Gedächtnis reproduzierte die Bilder, die Cowley von Michael und Donna aufgenommen hatte. Sein Verstand sagte ihm, wo die beiden gewesen waren, bevor diese Aufnahmen gemacht worden waren, und was sie dort getrieben hatten.
Er ging in sein Arbeitszimmer. Die Elfenbeinfigürchen seiner Sammlung asiatischer Erotika, die dort in der Glasvitrine zur Schau gestellt war, schienen ihn zu verhöhnen. Miniaturmenschen in allen möglichen sexuellen Stellungen, die sich mit Genuss der Lust hingaben. Es schien ihm, als überlagerten die Züge Donnas und Michaels die gelblichen Gesichter der Figürchen. Sie amüsierten sich auf seine Kosten. Sie nahmen sein Versagen als Freibrief für ihr Vergnügen. Schlapp machen gilt nicht, höhnte Michaels Stimme. Was ist los mit dir, großer Bruder? Kannst du deine Frau nicht halten?
Douglas fühlte sich vernichtet. Mit allem anderen, sagte er sich, hätte er fertig werden können, ganz gleich, was sie getan, mit wem sie ihn betrogen hätte. Aber dass es ausgerechnet Michael sein musste, der ihn sein Leben lang verfolgt hatte, der sich auf jedem Gebiet, auf dem Douglas vorher versagt hatte, hervorgetan hatte! Auf der High School im Sport und im Schülerbeirat. Auf dem College in der Welt der Studentenverbindungen. Als Erwachsener hatte er ihn ausgestochen, indem er sich ins Abenteuer gestürzt hatte, anstatt sich in die Tretmühle des Geschäftslebens pressen zu lassen. Und jetzt stach er ihn bei Donna aus, indem er ihr bewies, was ein richtiger Mann war.
Douglas konnte sie so klar zusammen sehen, wie er die Figürchen in der Glasvitrine sehen konnte. Ihre Körper ineinander verschlungen, die Köpfe zurückgeworfen, die Hände miteinander verflochten, die Hüften aufeinander zudrängend. O Gott, dachte er. Die Bilder in seinem Kopf würden ihn wahnsinnig machen. Er hätte morden können.
Die Telefongesellschaft lieferte ihm den Beweis, den er noch brauchte. Er verlangte einen Ausdruck aller Anrufe, die von seinem Haus aus getätigt worden waren. Und als er ihn erhielt, sah er Michaels Nummer. Nicht ein- oder zweimal, sondern immer wieder. Alle Anrufe waren gemacht worden, wenn er - Douglas - nicht zu Hause gewesen war.
Es war schlau gewesen von Donna, die Abende zu nutzen, an denen Douglas, wie sie wusste, seinen ehrenamtlichen Dienst beim Telefonnotruf für Selbstmordgefährdete in Newport versah. Sie wusste genau, dass er niemals einen Mittwochabend versäumte, weil es ihm so wichtig war, sein soziales Engagement unter Beweis zu stellen. Sie wusste, dass er politisches Profil gewinnen wollte, um sich in den Gemeinderat wählen zu lassen, und der Einsatz beim Telefonnotdienst gehörte zu dem Bild, das er von sich erzeugen wollte: Douglas Armstrong, Ehemann, Vater, Unternehmer und Anteil nehmender Gesprächspartner der seelisch Notleidenden. Er brauchte etwas, das er zum Ausgleich seiner ökologischen Sünden in die Waagschale werfen konnte. Dank seinem Dienst beim Telefonnotruf konnte er sagen, man könne ihm zwar vorwerfen, ein paar lumpige Pelikane - ganz zu schweigen von ein paar miesen Ottern - mit Öl getränkt zu haben, aber niemals würde er einen Menschen, dessen Leben gefährdet war, einfach hängen lassen.