Das wäre schon möglich, antwortete er ihr. Er sei schon seit Monaten nicht mehr auf Reisen gewesen. Ob sie einen Vorschlag zur Hand habe?
»Ich sehe Lichter«, erwiderte sie, ihren Eingebungen folgend. »Ich sehe Kameras. Ich sehe viele Gesichter. Sie sind umgeben von Ihren Lieben.«
Das musste natürlich Donnas Beerdigung sein. Die Presse würde darüber berichten. Er war schließlich wer. Man würde die Ermordung von Douglas Armstrongs Frau nicht einfach übergehen. Was Thistle anging, so würde sie erfahren, wer er wirklich war, wenn sie die Zeitung las oder im Fernsehen die Lokalnachrichten ansah. Aber das machte nichts, da er ja Donna nie erwähnt hatte und für die Zeit ihres Todes ein Alibi haben würde.
Um vier Minuten vor sechs kam er im Notrufbüro an. Er löste eine Psychologiestudentin namens Debbie ab, die es kaum erwarten konnte, abhauen zu können. Sie sagte: »Nur zwei Anrufe, Mr. Armstrong. Wenn Ihre Schicht genauso wird, kann ich nur hoffen, dass Sie sich was zu lesen mitgebracht haben.«
Er schwenkte seine Zeitschrift,Money, und nahm den Platz am Schreibtisch ein, den sie frei gemacht hatte. Nachdem sie gegangen war, wartete er zehn Minuten, dann lief er zu seinem Wagen hinaus und holte die Anrufweiterschaltung.
Das Notrufbüro war in der Hafengegend von Newport, einem Gewirr enger Einbahnstraßen im oberen Teil der Baiboa-Halbinsel. Bei Tag lockten die Antiquitätengeschäfte, Schiffsausrüster und Second-Hand-Boutiquen in diesen Straßen sowohl Einheimische als auch Touristen an. Bei Nacht wurde das Viertel zur Geisterstadt, menschenleer bis auf die Beatniks neuer Generation, die drei Straßen vom Notrufbüro entfernt in einer Kneipe namensAlta Cafe herumhingen, wo anorektische Mädchen in schwarzen Gewändern Lyrik lasen und auf Gitarren klimperten.
Es war also niemand auf der Straße, der beobachtet hätte, wie Douglas die Anrufweiterschaltung aus seinem Mercedes holte. Und es war niemand auf der Straße, der beobachtet hätte, wie er um Viertel nach acht das kleine Kabuff des Notrufdienstes hinter dem Immobilienbüro verließ. Und sollte während seiner Heimfahrt ein Todessüchtiger sich beim Notruf melden, so würde dieser Anruf zu seinem Funktelefon weitergeschaltet werden, und er konnte ihn erledigen. Der Plan war wirklich perfekt.
Auf der Fahrt durch die gewundene Straße, die zu seinem Haus führte, dankte Douglas Gott im Himmel, dass er sich als Wohnort eine Gegend ausgesucht hatte, deren Bewohner nichts höher schätzten als Ruhe und Ungestörtheit. Jedes Haus stand, wie das von Douglas, hinter Mauern und Toren, von Bäumen den Blicken Fremder entzogen. Es kam vielleicht einmal in zehn Tagen vor, dass er einem Nachbarn begegnete. Meistens - wie auch an diesem Abend - war nirgends ein Mensch zu sehen.
Aber selbst wenn jemand seinen Mercedes den Hügel hätte hinaufgleiten sehen - es war wirklich dunkel, und sein Wagen war nur eine unter vielen Luxuskarossen in diesem Viertel voller Rolls Royces, Bentleys, BMWs, Lexus, Range Rovers und anderen Mercedes. Außerdem hatte er bereits beschlossen, dass er einfach umkehren, zur Notdienstzentrale zurückfahren und auf einen anderen Mittwoch warten würde, wenn er jemanden sehen oder etwas Verdächtiges bemerken sollte.
Aber er bemerkte nichts Ungewöhnliches. Er sah keinen Menschen. Es waren vielleicht ein paar mehr Autos auf der Straße geparkt als sonst, aber sie waren leer. Er hatte den Abend für sich allein.
Am Beginn der Auffahrt zu seinem Haus schaltete er den Motor aus und ließ den Wagen den Weg entlangrollen. Drinnen war alles dunkel, und das sagte ihm, dass Donna sich im hinteren Teil des Hauses aufhielt, in ihrem gemeinsamen Schlafzimmer.
Er brauchte sie aber hier draußen. Das Haus war mit einer Alarmanlage ausgestattet, die jedem Banktresor Ehre gemacht hätte, deshalb musste der Mord draußen im Freien verübt werden; damit es so aussah, als hätte ein Spanner, der plötzlich durchgedreht war, oder ein Einbrecher oder ein Serienmörder sie herausgelockt. Er dachte an Ted Bundy, wie der seine Opfer gekascht hatte, indem er an ihren mütterlichen Instinkt zu helfen appelliert hatte. Er beschloss, die Bundy-Methode anzuwenden. Donna war ein echter Ausbund an Hilfsbereitschaft.
Lautlos stieg er aus dem Wagen und eilte zur Haustür. Er drückte mit dem Handrücken den Klingelknopf, um ja keine Abdrücke zu hinterlassen. Keine zehn Sekunden später meldete sich Donnas Stimme an der Sprechanlage.
»Ja?«
»Hallo, Schatz«, sagte er. »Ich habe beide Hände voll. Kannst du mich reinlassen?«
»Eine Sekunde«, sagte sie.
Er zog den Satingürtel aus der Tasche, während er wartete. Er stellte sich ihren Weg vom Schlafzimmer zur Haustür vor. Er schlang den Satin um seine Hände und zog ihn stramm an. Sobald sie die Tür öffnete, würde er blitzschnell handeln müssen. Er würde nur eine Chance haben, ihr den Strick um den Hals zu werfen. Sein Vorteil war die Überraschung.
Er hörte ihre Schritte auf dem Naturstein. Er umfasste den Satin fester und machte sich bereit. Er dachte an Michael. Er dachte an sie und Michael zusammen. Er dachte an seine asiatische Erotika. Er dachte an Verrat, Versagen und Vertrauen. Sie hatte es nicht anders verdient. Sie hatten es beide nicht anders verdient. Er bedauerte nur, dass er nicht auch Michael gleich umbringen konnte.
Als die Tür sich öffnete, hörte er sie sagen: »Doug! Ich dachte, du wolltest ...«
Da packte er sie schon. Er sprang. Er warf ihr den Gürtel um den Hals. Er zerrte sie aus dem Haus. Er zog den Gürtel fester und fester. Sie war zu erschrocken, um sich zu wehren. Bis sie reflexartig die Hände zum Hals hob, um die Schlinge wegzuziehen, hatte sich der Gürtel schon so tief in ihre Haut eingepresst, dass ihre verzweifelten Finger den Stoff nicht mehr zu fassen bekamen.
Er spürte, wie sie erschlaffte. »O Jesus«, sagte er. »Ja. Ja!«
Und dann geschah es.
Im Haus gingen plötzlich die Lichter an. Eine Mariachi- Band begann zu spielen. Menschen riefen laut: »Überraschung! Überraschung! Überra ...«
Keuchend sah Douglas vom Leichnam seiner Frau auf, blickte in ein Blitzlichtgewitter und das Auge einer Videokamera. Das fröhliche Geschrei aus dem Inneren des Hauses wurde vom Kreischen einer Frau unterbrochen. Er ließ Donna zu Boden fallen und starrte fassungslos in den Vorsaal und das Wohnzimmer dahinter. Dort hatten sich mindestens zwei Dutzend Menschen unter einem Transparent mit der Aufschrift »Viel Glück zum Fünfundfünfzigsten, Dougie!« versammelt.
Er sah die entsetzten Gesichter seiner Brüder und ihrer Frauen und Kinder, seiner eigenen Kinder, seiner Eltern, einer seiner Verflossenen. Er sah seine Mitarbeiter und seine Sekretärin. Den Leiter der Polizei. Den Bürgermeister.
Er dachte, was ist das, Donna? Soll das ein Witz sein?
Und dann sah er Michael aus der Küche kommen, Michael mit einer Geburtstagstorte in den Händen, Michael, der sagte: »Ist die Überraschung gelungen, Donna? Der arme Doug. Hoffentlich hat sein Herz ...«
Er brach ab, als er seinen Bruder und Donna sah.
Scheiße, dachte Douglas. Was habe ich getan?
Tja, das war die Frage, deren Beantwortung ihn den Rest seines Lebens kosten würde.
VORBEMERKUNG zu Ein guter Zaun reicht nicht immer
Häufig werde ich gefragt, wie ich auf die Einfälle zu meinen Geschichten komme. Ich gebe stets die gleiche Antwort: Solche Einfälle können jederzeit und überall entstehen. Ich lese vielleicht eine Agenturmeldung in der LosAngeles Times und erkenne darin den Kern für eine Geschichte; so war es, als ichAuf Ehre und Gewissen schrieb. Oder ich entdecke einen Bericht in einer britischen Zeitung und denke mir wie damals, als ichDenn keiner ist ohne Schuld schrieb, er könnte die Grundlage für einen Roman bilden. Oder ich möchte einen Roman vielleicht an einem ganz bestimmten Ort ansiedeln; dann entwerfe ich eine Handlung, die dorthin passt, so wie ich das bei meinem RomanDenn bitter ist der Tod tat. Mir fällt vielleicht auf der Straße oder in der Untergrundbahn jemand auf, ich bekomme ein Gespräch zwischen zwei anderen Leuten mit, lasse mir die persönlichen Erfahrungen erzählen, betrachte eine Fotografie oder begegne jemandem, dessen Charakter als Vorlage für eine Romanfigur von Interesse ist. Manchmal kann auch ein Zusammenspiel mehrerer solcher Faktoren die Anregung zu einer Geschichte oder einem Roman geben.