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Häufig kann ich mich nach der Vollendung eines Projekts nicht mehr erinnern, was mich ursprünglich auf die Idee gebracht hat. Bei der nachfolgenden Geschichte ist das anders.

Im Oktober 2000 unternahm ich, nachdem ich den zweiten Entwurf meines RomansNie sollst du vergessen abgeschlossen hatte, eine Wandertour in Vermont. Ich hatte schon lang einmal den Herbst in Neu-England in der ganzen Vielfalt seiner Farben erleben wollen, und diese Reise sollte meine Belohnung für die endlosen, zermürbenden Stunden sein, die ich in den fünfzehn Monaten der Arbeit an dem Erst- und Zweitentwurf eines schwierigen Buchs am Computer verbracht hatte. Ich wollte die Landschaft sehen und fotografieren.

Da ich vorhatte, allein zu reisen, beschloss ich, mich einer Gruppe Gleichgesinnter anzuschließen, denen es wie mir vor allem um die körperliche Bewegung und die Begegnung mit der Natur ging. Nachts schliefen wir in Landgasthäusern, und tagsüber wanderten wir durch Landschaften in den prächtigsten Herbstfarben, die man sich vorstellen kann. Wir hatten zwei Führer, Brett und Nona. Was der eine nicht über die Flora, die Fauna, die Topographie und die Geographie der Gegend wusste, das wusste der andere.

Auf einer unserer Wanderungen erzählte mir Nona von einer exzentrischen Frau, die früher einmal in ihrer Nach­barschaft gewohnt hatte. Schon als ich die Geschichte hörte, wusste ich, dass ich aus ihr eine Geschichte machen würde.

Und das tat ich auch, sobald ich wieder zu Hause war. Die Abwandlung einer Zeile von Robert Frost - dem berühmten Dichter aus Neu-England - lieferte den Titel für meine Geschichte.

Ein guter Zaun reicht nicht immer

Zweimal jedes Jahr schaffte es eines der Viertel im hübschen alten Städtchen East Wingate in den Stand der Vollkommenheit erhoben zu werden. Immer wenn es soweit war - oder vielleicht zum Zeichen dafür,dass es wieder einmal soweit war -, feierte derWingate Courier das Ereignis mit mehreren Spalten angemessen lobender Kommentare, die sich samt Fotos mitten in seinen Kleinstadtseiten breit machten. Bürger des Städtchens, die nach höherem gesellschaftlichem Ansehen, besserer Lebensqualität oder einem besser sortierten Freundeskreis strebten, pflegten begierig in das gekrönte Viertel zu strömen, weil sie hofften, dort ein Grundstück zu ergattern.

Die Napler Lane war so eine Gegend, die jederzeit und unter den richtigen Umständen zumIdealen Wohngebiet gekürt werden konnte. Sie besaß eine Menge Potential, wenn sie auch noch nicht alle Ansprüche erfüllte. Ihre Atmosphäre verdankte die Straße riesigen Grundstücken, Häusern, die mehr als ein Jahrhundert alt waren, noch älteren Bäumen - Eichen, Ahornbäume und Platanen -, Bürgersteigen, die von Sprüngen durchzogen ein eigenes Gesicht gewonnen hatten, altmodischen Lattenzäunen und rot gepflasterten Wegen, die sich durch Vorgärten zu idyllischen Veranden schlängelten, wo sich an schönen Sommerabenden die Nachbarn versammelten. Auch wenn noch nicht jedes Haus von einem jungen Paar mit überschüssiger Energie und nostalgischen Neigungen renoviert worden war, barg doch das gewundene Auf und Ab der Napler Lane die Verheißung, dass die Häuser früher oder später alle in alter Schönheit wiederhergestellt werden würden.

Wenn, was selten genug vorkam, wirklich einmal ein Haus in der Napler Lane zum Verkauf stand, wartete die gesamte Nachbarschaft mit angehaltenem Atem darauf, wer es kaufen würde. Hatte der Käufer Geld, würde es vielleicht in den Rang der schmucken, frisch gestrichenen Vorbilder aufsteigen, die Haus um Haus das Prestige der Napler Lane erhöhten. Und saß beim Käufer das Geld locker, so konnte man damit rechnen, dass die Reno­vierung des betreffenden Anwesens sogar mit einigem Nachdruck erfolgen würde. Es war immer wieder vorgekommen, dass Leute, die mit dem festen Vorsatz, zu restaurieren und zu renovieren, ein Haus in der Napler Lane erworben hatten, sehr schnell das Handtuch geworfen hatten, wenn sie feststellten, wie langwierig und kostspielig dieses Unterfangen war. Mehr als einmal hatte jemand die aufwändige Aufgabe, die gemeinhin als »Restaurierung eines historischen Gebäudes« bezeichnet wird, beherzt in Angriff genommen, sich aber spätestens nach sechs Monaten geschlagen gegeben und am Gartentor das Verkaufsschild der Kapitulation aufge­richtet, ohne sich dem gesetzten Ziel auch nur angenähert zu haben.

So war es dem Haus Nummer 1420 ergangen. Die letzten Bewohner hatten es zwar außen streichen und den Garten vorn und hinten von Unkraut und Abfällen säubern lassen, die sich auf einem Grundstück leicht ansammeln, wenn die Eigentümer nicht mit Argusaugen darüber wachen, aber mehr war nicht geschehen. Nun stand das alte Haus da wie Miss Havisham fünfzig Jahre nach der Hochzeit, die nie stattgefunden hatte: von außen stattlich anzusehen, doch innen ein Wrack, das in einer dürren Landschaft enttäuschter Träume verkümmerte. Jeder, der in Blickweite von 1420 wohnte, hoffte inbrünstig, es werde endlich jemand das Haus erwerben und auf Vordermann bringen.

Außer Willow McKenna. Willow, die gleich nebenan wohnte, wünschte sich nur nette Nachbarn. Sie war vierunddreißig Jahre alt, hatte zwei Kinder und versuchte gerade, ein drittes Mal schwanger zu werden, um ihrem Traum von einer Familie mit sieben Kindern einen Schritt näher zu kommen. Sie erhoffte sich nichts weiter als Nachbarn, denen das Gleiche wichtig war wie ihr: eine Familie, in der die Partner einander achteten und einer Schar einigermaßen wohlerzogener Kinder liebevolle Eltern waren. Rasse, Hautfarbe, Glaube, Herkunft, Parteizugehörigkeit, Lieblingsauto, bevorzugter Einrich­tungsstil - das alles war unwichtig. Sie wünschte sich nichts weiter, als dass die Leute, die das Nachbarhaus einmal kauften, eine positive Ergänzung zu ihrem, wie sie es sah, geglückten Leben bilden würden. Dieses Leben wurde verkörpert durch eine heile Familie, in der der Vater einer ordentlichen Arbeit gehobener Art nachging, während die Mutter zu Hause blieb, um sich um die Kinder zu kümmern, und die Kinder selbst fantasievoll aber gehorsam waren, respektvoll den Erwachsenen gegenüber, glücklich und nicht mit ansteckenden Krank­heiten behaftet. Die Zahl der Kinder spielte keine Rolle.

Je mehr, desto besser, fand Willow.

Bei ihr, die ohne Familie aufgewachsen war und sich immer an die vergebliche Hoffnung geklammert hatte, dass dieses oder jenes Pflegeelternpaar sie adoptieren würde, hatte schon früh die Gründung einer eigenen Familie an erster Stelle ihrer Lebensziele gestanden. Nach ihrer Heirat mit Scott McKenna, den sie seit ihrem zweiten High-School-Jahr kannte, hatte sie sich unverzüglich daran gemacht, für sich das Glück zu schmieden, welches das Schicksal und eine Mutter, die sie in einem Lebensmittelgeschäft ausgesetzt hatte, ihr bis dahin verwehrt hatten. Zuerst kam Jasmine. Zwei Jahre später folgte Max. Wenn alles nach Plan ging, würde als Nächstes Cooper oder Blythe eintreffen. Ihr Leben, das ihr seit Max' Eintritt in den Kindergarten dunkel, kalt und leer erschien, würde sich von neuem mit heiterer Geschäftig­keit füllen, und die beklemmenden Ängste, die sie seit drei Monaten quälten, würden sich endlich legen.