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»Ich glaube, sie möchte gar nichts mit uns zu tun haben, Will«, sagte er.

»Sie ist zum Chili-Essen gekommen. Ich glaube, sie möchte es versuchen.«

Scott hob lächelnd die Hand zum Gesicht seiner Frau und strich ihr über die Wange. »Wenn du nur jemanden retten kannst.«

»Nur wenn du einverstanden bist.«

Er gähnte. »Okay. Aber erwarte nicht zu viel. Wir wissen ja nichts über sie.«

»Man muss ihr nur ein bisschen entgegen kommen.«

Und noch am selben Tag mache sich Willow ans Werk. Sie backte zwei Bleche Schokonussschnitten und schichtete ein Dutzend davon hübsch auf einen grünen Pressglasteller. Das Ganze hüllte sie sorgsam in dünne Plastikfolie und schmückte es mit einer fröhlichen Schleife aus bunt kariertem Geschenkband. So feierlich, als brächte sie Weihrauch und Myrrhe, trug sie ihre Gabe zum Nachbarhaus hinüber.

Es war ein kalter Tag. Es schneite nie in diesem Teil des Landes, aber der Herbst, der im Allgemeinen lang und farbenprächtig war, konnte auch bitterkalt und grau sein. Genauso war die Stimmung, als Willow aus dem Haus ging. Raureif lag auf dem gepflegten Rasen in ihrem Vorgarten, auf dem ordentlich in Stand gehaltenen Zaun, auf den leuchtend roten Blättern der Zauberhasel am Rand des Bürgersteigs, und Nebelschwaden zogen durch die Straße.

Willow ging achtsam auf dem Backsteinweg, der von der Haustür zur Gartenpforte führte, und hielt dabei die Schokonussschnitten an ihren Busen gedrückt, als könnte der Kontakt mit frischer Luft ihnen schaden. Fröstelnd fragte sie sich, wie der Winter werden würde, wenn schon ein Herbsttag so gnadenlos sein konnte.

Sie musste den Teller mit dem Gebäck einen Moment auf dem Bürgersteig abstellen, als sie vor Anfisas Grundstück angelangt war. Das alte Gartentörchen hing nur noch in einer Angel, man konnte es nicht einfach aufstoßen, sondern musste es erst anheben, aufdrücken und dann wieder loslassen, was bei den Massen von Efeu, die den Gartenweg überwucherten, gar nicht so einfach war.

Als Willow sich dem Haus näherte, bemerkte sie etwas, das ihr vorher noch nicht aufgefallen war. Der Efeu, der unter Anfisas Fürsorge so üppig gedieh, rankte sich nun schon die Vortreppe hinauf und begann, die breite Veranda zu überziehen und an ihrem Geländer emporzukriechen. Wenn Anfisa ihm nicht bald mit der Gartenschere zu Leibe rückte, würde er noch das ganze Haus verschlingen.

Auf der Veranda, die sie nicht mehr betreten hatte, seit die letzten Bewohner des Hauses alle Heimwerker­bemühungen aufgegeben hatten und in eine brandneue - und gesichtlose - Wohnanlage außerhalb des Städtchens gezogen waren, bemerkte Willow, dass Anfisa neben der Bepflanzung ihres Gartens mit Efeu noch eine Neuerung auf dem Anwesen eingeführt hatte. Neben der Haustür stand ein großer Metallkasten, auf dessen Deckel in weißen Lettern »Lebensmittellieferungen« geschrieben war.

Eigenartig, dachte Willow. Sich die Lebensmittel auf Bestellung liefern zu lassen, war eine Sache - sie hätte selbst nichts dagegen gehabt, solchen Service in Anspruch zu nehmen, wenn sie sich hätte vorstellen können, dass jemand anderer die Nahrung für ihre Familie auswählte. Aber die Sachen dann draußen stehen zu lassen, wo sie leicht verderben konnten, wenn man nicht Acht gab, das war doch etwas völlig Anderes und ziemlich Unsinniges.

Nun, Anfisa Telyegin hatte dennoch ein stolzes Alter erreicht, sie musste also, sagte sich Willow, wissen, was sie tat.

Sie klingelte. Sie zweifelte nicht daran, dass Anfisa zu Hause war und noch viele Stunden zu Hause sein würden. Es war schließlich heller Tag Aber niemand kam, obwohl Willow das deutliche Gefühl hatte, dass jemand ganz in der Nähe war, hinter der Tür stand und lauschte. »Miss Telyegin?«, rief sie.

»Ich bin's, Willow McKenna. Es war so nett, Sie neulich Abend beim Chili-Essen zu sehen. Ich wollte Ihnen nur ein paar Schokonussschnitten vorbeibringen. Die sind nämlich meine Spezialität. Miss Telyegin? Hier ist Willow McKenna. Von nebenan. Napler Lane 1410. Gleich links von Ihnen.«

Nichts geschah. Willow schaute zu den Fenstern hinüber, aber sie waren wie immer von den Sonnenjalousien verdunkelt. Die Türglocke muss kaputt sein, dachte sie und klopfte an die grüne Haustür. Noch einmal rief sie: »Miss Telyegin?« Dann kam sie sich albern vor. Sie machte sich ja hier vor der gesamten Nachbarschaft lächerlich.

»Da stand unsere Willow und trommelte bei der Frau an die Haustür wie ein kleines Mädchen, das sich vorm Gewitter fürchtet«, würde Ava Downey am Nachmittag bei ihrem Gin Tonic erzählen. Und ihr Mann Beau, der aus seinem Immobilienbüro stets rechtzeitig nach Hause kam, um seiner Frau die Drinks so zu mixen, wie sie es mochte, würde es beim wöchentlichen Pokerabend seinen Kum­peln weitererzählen, und die würden es zu ihren Frau nach Hause tragen, bis schließlich die ganze Nachbarschaft wusste, wie dringend nötig es Willow McKenna hatte, in ihrer kleinen Welt Verbindungen zu knüpfen.

Peinliche Verlegenheit bemächtigte sich ihrer. Sie beschloss, ihre Nachbarsgabe einfach stehen zu lassen und Anfisa Telyegin anzurufen. Also klappte sie den Deckel des Lebensmittelkastens hoch und stellte den Teller mit den Schokonussschnitten hinein.

Als sie den Deckel langsam wieder herunterließ, hörte sie es im Efeu hinter sich rascheln. Sie dachte sich nichts weiter dabei, bis sie ein Huschen und Scharren auf den abgetretenen alten Holzdielen der Veranda vernahm. Sie drehte sich um und stieß einen Schrei aus, den sie hinter vorgehaltener Hand erstickte. Eine große Ratte mit glitzernden kleinen Augen und nacktem Schwanz fixierte sie. Das Tier hockte keinen Meter entfernt an der Verandakante, bereit, wenn nötig sofort im Schutz des Efeus unterzutauchen.

»O Gott!« Willow sprang auf den metallenen Lebensmittelkasten, ohne einen Gedanken an Ava Downey, Beau, die Pokerrunde oder die Nachbarn zu verschwenden. Sie hatte furchtbare Angst vor Ratten - sie hätte nicht sagen können, warum - und sah sich nach irgendetwas um, womit sie das Tier verscheuchen könnte.

Aber die Ratte verkroch sich bereits im Efeu. Und sobald der dicke graue Körper verschwunden war, sprang Willow McKenna vom Lebensmittelkasten herunter und rannte nach Hause.

»Es war eine Ratte«, behauptete Willow steif und fest.

Leslie Gilbert wandte den Blick vom Bildschirm des Fernsehapparats. Sie hatte den Ton heruntergedreht, als Willow gekommen war, hatte sich aber nicht ganz von dem drastischen Schauspiel losreißen können, das in der Talkshow zum ThemaMein Vater hat's mit meinem Freund getrieben geboten wurde.

»Ich weiß doch, wie eine Ratte ausschaut«, sagte Willow.

Leslie griff sich ein Dorito und kaute nachdenklich.

»Hast du ihr Bescheid gesagt?«

»Ich hab sofort bei ihr angerufen, aber sie hat sich nicht gemeldet, und sie hat keinen Anrufbeantworter.«

»Du könntest ihr einen Zettel hinlegen.«

Willow schauderte. »In diesen Garten möchte ich am liebsten nie wieder reingehen.«

»Daran ist bestimmt der Efeu schuld«, meinte Leslie.

»So viel Efeu ist nicht gut.«

»Vielleicht weiß sie nicht, dass die Ratten Efeu mögen. Ich meine, in Russland ist es für Ratten doch sicher viel zu kalt, oder?«

Leslie nahm sich noch ein Dorito. »Ratten sind wie Kakerlaken, Will«, erklärte sie. »Die lassen sich von nichts stören.« Sie richtete den Blick wieder auf den Bildschirm. »Wenigstens wissen wir jetzt, warum sie diesen Kasten für die Lieferungen hat. Ratten fressen sich durch alles durch. Aber Stahl schaffen sie nicht.«