Es schien nichts anderes übrig zu bleiben, als Anfisa Telyegin einen Brief zu schreiben. Willow erledigte das ohne Aufschub, meinte aber, sie könnte der einsiedlerischen alten Frau eine solche Nachricht nicht überbringen, ohne auch eine Lösung des Problems anzubieten. Sie fügte ihrem Schreiben also die Worte an: »Ich werde versuchen, Abhilfe zu schaffen«, kaufte eine Falle, versah sie mit Erdnussmus als Köder und nahm sie mit hinüber zum Nachbarhaus.
Am nächsten Morgen erzählte sie ihrem Mann beim Frühstück, was sie unternommen hatte, und er nickte zerstreut über seiner Zeitung.
»Ich habe ihr unsere Telefonnummer aufgeschrieben«, fuhr sie fort. »Ich dachte, sie würde anrufen, aber das hat sie nicht getan. Ich hoffe nur, sie denkt jetzt nicht, dass sie wegen der Ratte in ihrem Garten bei mir in ein schlechtes Licht geraten ist. Ich wollte sie natürlich auf keinen Fall beleidigen.«
»Hm«, machte Scott und knisterte mit seiner Zeitung.
»Ratten?«, rief Jasmine. »Hast du Ratten gesagt? Igitt, igitt!«
Und Max rief: »Igittigittigitt.«
Willow, die der Meinung war, was man begonnen habe, müsse man auch vollenden, kehrte später, als Scott schlief und die Kinder aus dem Haus waren, zum Nachbarhaus zurück, wo sie die Rattenfalle auf der Veranda deponiert hatte.
Weit beklommener als bei ihrem ersten Besuch ging sie den Gartenweg hinauf. Jedes Rascheln im Efeu kündete von einer Ratte, und ganz bestimmt kam dieses dünne scharrende Geräusch, das sie hörte, von der Ratte, die sich von hinten anschlich, um ihr an die Beine zu springen.
Aber ihre Ängste waren unbegründet. Als sie zur Veranda hinaufstieg, sah sie, dass ihre Bemühung, das widerliche Vieh zu fangen, erfolgreich gewesen war. In der Falle hing die tote Ratte. Willow schauderte bei dem Anblick und nahm kaum wahr, dass das Tier etwas überrascht darüber aussah, dass man ihm das Genick gebrochen hatte, wo es sich doch nur sein Frühstück hatte holen wollen.
Sie hätte in diesem Moment am liebsten Scott zu Hilfe geholt. Aber sie wusste, dass er seinen Schlaf brauchte, und war daher gut gerüstet gekommen. In der Hoffnung, dass ihr erster Ausflug in die Ungeziefervernichtungsbranche von Erfolg gekrönt sein würde, hatte sie eine Schaufel und einen Müllbeutel mitgebracht.
Sie klopfte bei Anfisa Telyegin, um diese wissen zu lassen, was sie hier tat, aber wie beim letzten Versuch rührte sich nichts. Doch als sie sich umdrehte, um die Entsorgung der toten Ratte in Angriff zu nehmen, bemerkte sie, dass die Sonnenjalousie an einem der Fenster sich bewegte. »Miss Telyegin? Ich habe eine Falle aufgestellt. Ich hab eine Ratte erwischt. Sie brauchen sich wegen ihr keine Gedanken mehr zu machen«, rief sie und war ein bisschen verärgert, dass die Nachbarin es nicht einmal für nötig hielt, die Tür zu öffnen und ihr zu danken.
Sie wappnete sich für ihre Aufgabe - sie fand tote Tiere immer eklig, ob es nun tierische Überreste waren, die im Profil ihrer Autoreifen hingen, oder eine Ratte in der Falle - und schob die Schaufel unter die Ratte. Gerade als sie den steifen Kadaver im Müllbeutel versenken wollte, lenkte ein Knistern von Efeulaub sie ab, dem ein Geräusch wie ein Huschen folgte, das sie augenblicklich erkannte.
Sie fuhr herum. Zwei Ratten hockten mit glitzernden Äuglein und zuckenden Schwänzen am Rand der Veranda.
Willow McKenna ließ die Schaufel fallen und stürzte wie eine Rasende zur Straße hinaus.
»Noch mal zwei?« Ava Downey war skeptisch. Sie klapperte mit den Eiswürfeln in ihrem Glas, und Beau, ihr Mann, sprang - auf das Signal gut gedrillt - herbei, um ihr Glas aufzufüllen. »Bist du sicher, dass du dir das nicht eingebildet hast?«
»Ich weiß, was ich gesehen habe«, entgegnete Willow.
»Ich hab's Leslie gesagt, und jetzt sag ich's dir. Eine habe ich in der Falle gefangen, aber ich habe noch mal zwei gesehen. Und ich schwör's dir, diewussten genau, was ich tat.«
»Aha, intelligente Ratten«, sagte Ava Downey und zog die Augenbrauen hoch. »Das ist ja eine erstaunliche Situation.«
»Das ist ein Problem, das uns alle angeht«, sagte Willow. »Ratten sind Krankheitsüberträger. Sie pflanzen sich fort wie - äh, sie pflanzen sich fort -«
»- wie Ratten«, warf Beau Downey ein. Er reichte seiner Frau das frisch gefüllte Glas und setzte sich in Ava Downeys schick eingerichtetem Wohnzimmer zu den Damen. Ava war die geborene Innenausstatterin, auch wenn das nicht ihr Beruf war. Alles, was sie berührte, erlangte augenblicklich eine Vollendung, die zur Abbildung inSchöner Wohnen reif war.
»Sehr witzig, Darling«, sagte Ava, ohne zu lächeln, zu ihrem Mann. »Du meine Güte! Hundert Jahre Ehe, und ich hatte keine Ahnung, dass du so geistreich sein kannst.«
Willow sagte: »Die werden sich in der ganzen Nachbarschaft ausbreiten. Ich wollte mit Anfisa darüber sprechen, aber sie geht nicht ans Telefon. Oder sie ist nicht zu Hause. Aber es brennt Licht im Haus, darum denke ich, dass sie da ist und ... wir müssen unbedingt etwas unternehmen. Wir müssen an die Kinder denken.«
Willow hatte selbst erst am frühen Nachmittag an die Kinder gedacht, nachdem Scott sich von seinen fünf Stunden Schlaf erhoben hatte. Sie war hinter dem Haus in ihrem Gemüsegarten gewesen und hatte die letzten Kürbisse gepflückt. Als sie nach einer der Früchte greifen wollte, war sie mit den Fingern in ein Häufchen Tierkot geraten und angewidert zurückgefahren. Hastig hatte sie den Kürbis aus seinem Blätter- und Rankengewirr herausgerissen und gesehen, dass die Schale von spitzen Zähnen angenagt war.
Der Kot und die Nagespuren sagten alles. Die Ratten waren nicht nur auf dem Grundstück nebenan. Die Ratten waren auf Wanderschaft. Jeder Garten war ihnen preisgegeben.
In diesen Gärten spielten Kinder. Familien veranstalteten dort im Sommer ihre Grillfeste. An heißen Tagen legten sich die Teenager ins Gras und sonnten sich, und an warmen Frühlingsabenden rauchten die Männer dort draußen ihre Zigarren. Ratten hatten in diesen Gärten nichts zu suchen. Ratten waren eine Gefährdung für die Gesundheit aller Bewohner.
»Das Problem sind nicht die Ratten«, erklärte Beau Downey. »Das Problem ist die Frau, Willow. Sie findet es wahrscheinlich ganz normal, Ratten zu haben. Menschens- kind, sie kommt aus Russland! Was willst du noch?«
Willow wollte in Ruhe leben. Sie wollte sicher sein, dass ihren Kindern nichts geschehen konnte, dass sie Blythe oder Cooper auf dem Rasen herumkrabbeln lassen konnte, ohne fürchten zu müssen, dass irgendwo eine Ratte - oder ein Haufen Rattenkot - wartete.
»Ruf die Schädlingsbekämpfung an«, riet Scott.
»Verbrenn ein Kreuz in ihrem Garten«, riet Beau Downey.
Sie rief beim Allround-Schädlingsbekämpfungsservice an, der prompt einen seiner Leute bei ihr vorbeischickte. Der Mann überprüfte das Beweismaterial in Willows Gemüsegärtchen und stattete sicherheitshalber auch gleich den Gilberts auf der anderen Seite von Nr. 1420 einen Besuch ab, um dort die gleichen Untersuchungen vorzunehmen. Das brachte Leslie wenigstens dazu, sich vom Sofa zu erheben. Sie schleppte eine Küchenleiter zum Zaun und spähte in den Garten von 1420 hinüber.
Abgesehen von dem Weg, der zum Hühnerstall führte, war alles von Efeu überwachsen, sogar die Stämme der rapide wachsenden Bäume.
»Das ist ein echtes Problem, Lady«, stellte der Mann vom Schädlingsbekämpfungsservice fest. »Der Efeu muss weg. Aber zuerst müssen die Ratten weg.«
»Dann packen wir's an«, sagte Willow.
Aber da gab es, wie sich herausstellte, leider ein Problem. Der Vertreter der Firma Allround konnte auf dem McKenna-Grundstück Ratten vernichten. Er konnte bei den Gilberts Ratten vernichten. Er konnte straßabwärts bei den Downeys tätig werden, und er konnte gegenüber bei den Harts nach dem Rechten sehen. Aber er durfte kein Grundstück ohne Genehmigung des Eigentümers und schriftliche Vereinbarung mit ihm betreten. Und diesen Vorschriften konnte nur im direkten Kontakt mit Anfisa Telyegin Genüge geleistet werden.