Um diesen Kontakt herzustellen, gab es nur ein Mitteclass="underline" Man musste der Frau abends, wenn sie gewöhnlich das Haus verließ, um ihrer Arbeit am College nachzugehen, auflauern. Willow erbot sich, diese Aufgabe für die Nachbarschaft zu übernehmen. Sie bezog Posten am Küchenfenster und verköstigte ihre Lieben mehrere Abende hintereinander mit chinesischen Gerichten und Pizzen, die sie über den Heim-Service bestellte, um nur ja nicht den Moment zu verpassen, wenn die Russin sich zur Bushaltestelle am Ende der Napler Lane auf den Weg machte. Als es endlich soweit war, packte Willow ihren Parka und stürzte aus dem Haus, um ihr nachzulaufen.
Sie holte sie vor dem Haus der Downeys ein, das wie jedes Jahr im Glanz weihnachtlichen Lichterschmucks erstrahlte, obwohl noch nicht einmal Thanksgiving vorbei war. Im milden Schein des Rentierschlittens auf dem Hausdach erklärte Willow die Situation.
Anfisa hatte das Licht im Rücken, so dass Willow ihre Reaktion nicht erkennen konnte. Sie sah überhaupt nichts vom Gesicht der Nachbarin, die über dem Kopftuch, in das sie sich vermummt hatte, auch noch einen breitkrempigen Hut trug. Aber Willow hielt es sowieso für selbstverständlich, dass zur Bereinigung der unerfreulichen Situation nicht mehr notwendig sein würde, als die erhaltenen Informationen weiterzugeben. Doch da hatte sie sich getäuscht.
»In meinem Garten sind keine Ratten«, erklärte Anfisa Telyegin mit einer hoheitsvollen Würde, die angesichts der Lage der Dinge erstaunlich war. »Ich fürchte, Sie irren sich, Mrs. McKenna.«
»O nein«, widersprach Willow, »ich irre mich nicht, Miss Telyegin. Wirklich nicht. Die eine Ratte habe ich nicht nur mit eigenen Augen gesehen, als ich Ihnen die Schokonussschnitten rüberbrachte - haben Sie die übrigens bekommen? Sie sind meine Spezialität, wissen Sie -, ich habe sie sogar in einer Falle gefangen. Und da habe ich dann noch mal zwei gesehen. Und kurz danach hab ich den Kot in meinem Garten entdeckt und die Schädlingsbekämpfung angerufen. Der Mann hat sich bei mir umgesehen -«
»Na bitte, da haben Sie es doch«, fiel ihr Anfisa ins Wort. »Das Problem liegt bei Ihnen, nicht bei mir.«
»Aber -«
»Ich muss weiter.«
Damit ging sie davon, ohne dass irgendetwas geregelt worden war.
Als Willow das ihrem Mann berichtete, fand der, es sei Zeit für einen Nachbarschaftsrat, der im Grunde genommen nichts anderes war als ein Pokerabend, an dem nicht gepokert wurde, und zu dem die Ehefrauen zugelassen waren. Der Gedanke, was entstehen würde, wenn erst einmal die ganze Nachbarschaft mit in das Problem hineingezogen war, stürzte Willow in ängstliche Erregung. Sie fürchtete Ärger in jeder Form. Andererseits jedoch wollte sie ihre Kinder vor Ratten und ähnlichem Ungeziefer sicher wissen. Sie kaute fast die ganze Sitzung hindurch nervös auf den Fingernägeln.
Die von den Beteiligten vertretenen Standpunkte spiegelten die Vielfalt der menschlichen Natur wider. Scott wollte seiner Regelgläubigkeit entsprechend den Rechtsweg einschlagen: Zuerst die Gesundheitsbehörde einschalten; wenn das nicht wirkte, die Polizei hinzuziehen, danach, wenn nötig, einen Rechtsanwalt beauftragen. Owen Gilbert gefiel dieser Vorschlag überhaupt nicht. Er mochte Anfisa Telyegin aus Gründen nicht, die mehr mit der Tatsache zu tun hatten, dass sie es abgelehnt hatte, ihm ihre Steuererklärung anzuvertrauen, als mit den Ratten, die sein Grundstück zu besetzen drohten, und er plädierte dafür, das FBI und das Finanzamt auf sie anzusetzen. Sie habe todsicher Dreck am Stecken. Von Steuerhinterziehung bis Spionage sei alles denkbar. Bei Erwähnung von Spionage musste Beau Downey sofort an die Einwanderungsbehörde denken und geriet prompt in Rage. Er gehörte zu den Leuten, die überzeugt sind, dass die Einwanderer Amerikas Verderb sind, und da die Justiz und die Regierung offensichtlich nicht daran dächten, vor den einfallenden Horden die Grenzen zu schließen, erklärte er hitzig, sollten sie auf eigene Faust handeln, um wenigstens ihr Viertel vor ihnen zu schützen.
»Machen wir der Alten doch einfach klar, dass sie hier nicht erwünscht ist«, sagte er, und seine Frau Ava verdrehte die Augen zum Himmel. Sie hatte nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass Beau ihrer Meinung nach zu nicht mehr taugte, als ihre Drinks zu mixen und ihre sexuellen Bedürfnisse zu befriedigen.
»Und wie sollen wir das anstellen, Darling?«, fragte sie. »Sollen wir ihr ein Hakenkreuz auf die Haustür malen?«
»Verdammt noch mal, wir brauchen sowieso eine Familie da drüben«, verkündete Johnny Hart und trank sein Bier. Es war sein siebtes, und seine Frau hatte ebenso mitgezählt wie Willow, die nicht verstand, warum Rose, anstatt tatenlos mit Märtyrerinnenmiene herumzusitzen, ihn nicht daran hinderte, sich vor aller Öffentlichkeit lächerlich zu machen. »Wir brauchen da drüben ein Paar in unserem Alter, Leute mit Kindern, mit einer halbwüchsigen Tochter vielleicht - die anständige Titten hat.« Mit einem anzüglichen Lachen warf er Willow einen Blick zu, der ihr nicht gefiel. Er nahm ihre normalerweise teetassengroßen Brüste, die mit der Schwangerschaft um einiges üppiger geworden waren, ins Visier und zwinkerte ihr zu.
Gibt es angesichts der Äußerung so vieler unterschiedlicher Meinungen noch Zweifel daran, dass nichts geklärt wurde? Erreicht wurde lediglich, dass die Temperamente sich erhitzten. Und dafür fühlte sich Willow verantwortlich.
Vielleicht, sagte sie sich, gab es eine andere Möglichkeit, mit der Situation fertig zu werden. Aber wie sehr sie sich an den folgenden Tagen auch das Gehirn zermarterte, es fiel ihr keine Lösung ein.
Erst als der Briefträger ihr versehentlich einen Brief brachte, der nicht für sie bestimmt war, kam ihr ein Einfall, der vielleicht zu einer Lösung führen würde. Der Brief steckte in einem Packen von Rechnungen und Katalogen, ein größerer brauner Umschlag, der Anfisa Telyegin aus Port Terryton, einem kleinen Ort am Fluss Weldy, etwa hundertfünfzig Kilometer nördlich von East Wingate, nachgesandt worden war. Vielleicht, überlegte Willow, könnte jemand von Anfisas ehemaligen Nachbarn ihren jetzigen Nachbarn raten, wie man am besten mit der Frau umging.
An einem kühlen Morgen, als die Kinder im Kindergarten beziehungsweise in der Schule waren und Scott sich seine wohlverdienten fünf Stunden Schlaf genehmigte, holte Willow also ihre Landkarte heraus und arbeitete eine Route aus, die sie vor Mittag nach Port Terryton führen würde. Leslie Gilbert fuhr mit, obwohl sie dafür auf einige Stunden ihres täglichen Fernsehkonsums verzichten musste.
Beide Frauen hatten schon von Port Terryton gehört. Es war ein malerischer kleiner Ort, vor etwa dreihundert Jahren erbaut, umgeben von alten Laubwäldern, die bis an die Ufer des Weldy heranreichten. In Port Terryton war Geld zu Hause. Altes Geld, neues Geld, Spekulantengeld, ererbtes Geld. Prachtvillen, die im achtzehnten und neunzehnten Jahrhundert gebaut waren, dienten als Schaustücke ungeheuren Reichtums.
Es gab auch bescheidenere Viertel im Ort, Straßen mit gefälligenCottages, wo die Zugehfrau und die sozial tiefer stehenden Sterblichen wohnten. In einem dieser Viertel fanden Willow und Leslie Anfisas ehemaliges Heim, ein gepflegtes, grau-weiß gestrichenes Häuschen mit viel Charme, das, von einem Blutahorn beschattet, in einem Garten mit kurz geschorenem Rasen und farbenfrohen Stiefmütterchenrabatten stand.
»Was wollen wir eigentlich rausbekommen?«, fragte Leslie, als Willow den Wagen am Bordstein anhielt. Sie hatte einen Karton Cremedonuts mit Zuckerguss mitgenommen und auf der Fahrt beinahe unaufhörlich gegessen. Jetzt leckte sie sich die Finger und beugte sich tiefer, um durch das Fenster Anfisas früheres Haus zu mustern.
»Das weiß ich auch nicht«, antwortete Willow: »Irgendwas, das uns weiterhilft.«
»Owens Vorschlag war der beste«, erklärte Leslie loyal. »Kurzen Prozess machen und sie dem FBI übergeben.«