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»Mit dem Gewehr. Bei der Vogeljagd. In der Wüste. Eric ist gestolpert, und Brent ist -« Sie brach ab. Terrys Miene verriet ihr mehr, als sie wissen wollte. Sie war den Tränen nahe. »O Gott! O mein Gott!«

»Komm, komm, Charlie.« Terry tätschelte ihr unbe­holfen die Hand. »Du meine Güte. Ich weiß nicht, was ich sagen soll.«

»Sag mir einfach alles, was zu weißt. Sag mir, warum er gelogen hat. Sag mir, wer sie ist. Sag mir, wer er war.«

»Ich schwöre -«

Sie schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. »Er war dein bester Freund!«

Terry warf einen Blick über die Schulter zum Tresen, wo die Bedienung mehr Interesse an ihrem Gespräch zeigte als an den Milchkaffees, die sie gerade machte. Dann wandte er sich wieder Charlie zu. »Es hat in seiner Familie einen Riesenkrach gegeben. Vor Jahren war das. Aber das ist alles, was ich weiß. Er hat nicht darüber gesprochen, und ich habe nicht gefragt.«

»Und warum hat er mir nichts davon erzählt? Warum hat er mir vorgemacht -«

»Ich weiß es nicht. Vielleicht klang es - na ja, interessanter oder so was.«

»Dass man den eigenen Bruder erschossen hat? Das kann nicht dein Ernst sein. So was würde ein Mann seiner Frau doch nur erzählen, wenn er vermeiden will, dass sie ihm Fragen nach seiner Familie stellt und sich wundert, weil er keinerlei Kontakt zu ihr hat. Aber warum sollte ein Mensch das vermeiden wollen, Terry? Da gibt's doch nur eine Antwort: Weil er noch ein zweites Leben führte, von dem sie wussten. Richtig?«

»Aber das stimmt nicht.«

»Woher weißt du das?«

»Hör zu, ist dir klar, was es an Planung bedarf, ein Doppelleben zu führen, wie es dir vorschwebt? Du lieber Gott! Weißt du, was das allein an Geld verschlingen würde? So viel Geld hatte er nicht, Charlie. Das Einzige, was er hatte, waren Rosinen im Kopf, wie wir alle.«

»Wie meinst du das?«

»Na ja, er hat Sprüche gemacht. Du weißt doch, wie er war.«

»Was für Sprüche?«

»Ich brauche jetzt erst mal eine Tasse Kaffee.« Terry stand auf und ging zum Tresen, wo er bestellte, seine Brieftasche herauszog und wartete.

Er will Zeit schinden, dachte Charlie, um sich sein Märchen zurechtzulegen. Zum ersten Mal seit Erics Tod fragte sie sich, ob es überhaupt einen Menschen gab, dem sie vertrauen konnte, und ließ sich bei diesem Gedanken deprimiert auf ihrem Stuhl zurücksinken.

»Er hat von Barbados geredet, von Grenada, den Bahamas«, sagte Terry, als er wieder zu ihr kam. Er stellte den Cappuccino auf den Tisch und riss ein Beutelchen Zucker auf. »Er hat davon geschwafelt, dass er sein Geld dorthin bringen und ein ganz neues Leben anfangen wollte, den ganzen Tag am Strand in der Hängematte liegen und Pina Coladas trinken.«

»Mein Gott, was war da eigentlich los?«, rief Charlie.

»Ja, verstehst du denn nicht? Gar nichts! Er war zweiundvierzig.Das war los. Er hat Sprüche gemacht, das war alles. Männer tun das. Sie reden von Geldanlage, von Börsengeschäften, von schnellen Autos und Frauen mit großem Busen, von Jachten und großen Regatten, möglichst gleich um den America's Cup. Sie reden davon, dass sie im Himalaya wandern und in Venedig einen Palazzo mieten wollen. Ehrlich, Charlie, es war nur Gerede. So was ist bei vielen zweiundvierzigjährigen Männern gang und gäbe.«

»Bei dir auch?«

Terry lief rot an. »Na ja, das ist so eine Männer­geschichte.«

»Bei dir auch?«

»Nicht alle Männer sind gleich.« Und als er die Verzweiflung in ihrem Gesicht sah, fügte er hastig hinzu:

»Charlie, es war nichts, gar nichts. Es wäre vorbeigegangen.«

»Er fühlte sich eingesperrt und hat etwas dagegen unternommen.«

»Bestimmt nicht.«

»Aber dann ist etwas passiert, was ihn daran hinderte, seine Pläne auszuführen, und da saß er dann richtig fest und -«

»Nein. So war es nicht.«

»Wie war es dann? Wie war es, Terry?«

Er ergriff seine Cappuccinotasse, aber er trank nicht.

»Ich weiß es nicht«, antwortete er.

»Das glaube ich dir nicht.«

»Ich sage dir die Wahrheit.« Er sah sie lange und ernst an, als besäße sein Blick die Macht, sie zu überzeugen und zu beruhigen. »Du musst in die Kanzlei kommen«, sagte er. »Wir müssen sein Testament durchsprechen. Die gesetzlichen Formalitäten erledigen . Charlie, ich möchte dir helfen. Ich bin genauso niedergeschmettert.

Er war mein bester Freund. Können wir nicht füreinander dasein?«

»So wie Eric für uns beide da war? Was heißt das überhaupt, Terry?«

Er war tot, und es war schwer für Charlie, damit fertig zu werden. Die Art seines Sterbens - so unerwartet und so unsagbar schrecklich - machte es ihr noch schwerer, sich mit seinem Tod auseinander zu setzen. Jetzt aber erkennen zu müssen, dass der Mann, den sie geliebt und verloren hatte, gar nicht der gewesen war, für den sie ihn gehalten hatte - das war kaum zu ertragen. Auf der Heimfahrt fühlte sie sich, als hätte die Pest von ihr Besitz ergriffen, ein schleichendes Gift, das ihren Körper zu erleiden zwang, was ihr Geist nicht erfassen wollte.

Somatisieren nannte man das. Sie erinnerte sich aus ihrem College-Seminar der Psychologie an den Ausdruck. Sie war nicht fähig, der ganzen Wahrheit ins Auge zu sehen, aber ihr Körper wusste die Wahrheit und reagierte entsprechend. Sie hatte überhaupt keine Grippe. Sie somatisierte. Und jetzt versuchte ihr Körper, sie von Erics Lügen zu reinigen, denn im Auto überkam sie plötzlich eine so heftige Übelkeit, dass sie meinte, sie würde es nicht mehr bis nach Hause schaffen, ohne sich zu übergeben.

Und sie schaffte es auch nicht. Kaum hatte sie den Wagen in ihrer Einfahrt angehalten, riss sie die Tür auf und torkelte ins Freie. Auf dem gepflegten Rasen des Vorgartens fiel sie auf die Knie, während Krampf um Krampf anfallartig ihren Magen zusammenzog und den mageren Inhalt aufwärts und in einem dünnen, übel riechenden Schwall durch ihren Mund aus ihrem Körper hinauspresste. Sie würgte, angewidert von Geschmack und Geruch, und begann erneut, sich zu erbrechen, bis nichts blieb als das krampfhafte Zucken ihres Magens, das sie nicht beherrschen konnte. Schließlich fiel sie keuchend auf die Seite und blieb liegen, Hals und Augen von Schweiß verschmiert. Sie starrte das Haus an.Vergiss nicht, dass ich dich immer lieben werde.

Sie rappelte sich hoch und schleppte sich taumelnd zur Veranda, froh, dass die Nachbarschaft wie in so vielen besseren Vierteln in den Vororten Südkaliforniens um diese Tageszeit wie ausgestorben war. Die beiden Doppelverdienerpaare, die ihre Nachbarn waren, würden vor dem Abend nicht nach Hause kommen. Sie war also nicht beobachtet worden. Gott sei Dank.

Erst als sie vor der Haustür stand, fiel ihr auf, dass etwas nicht in Ordnung war. Sie hielt schon den Schlüssel in der Hand, als sie die tiefen Schrammen und Kerben rund um die Stelle bemerkte, wo einmal das Schloss gewesen war.

Mit schwacher Hand stieß sie die Tür auf, war aber klug genug, nicht einzutreten. Sie konnte von der Veranda aus alles sehen, was zu sehen nötig war.

»Heiliger Strohsack«, brummte der Polizist. »Ein schöner Saustall.« Er stellte sich Charlie als Officer Marco Doyle vor. Keine zehn Minuten nach ihrem Anruf war er mit blinkendem Blaulicht und heulender Sirene vorgefahren, als wollte er dafür sorgen, dass sie als Steuerzahlerin auf ihre Kosten kam. Sein Partner war ein Hund namens Simba, der aussah wie eine Kreuzung aus einem deutschen Schäferhund und dem Hund von Baskerville.

»Er ist im Dienst«, hatte Doyle beim Eintritt ins Haus gesagt. »Bitte nicht streicheln.«

Charlie hatte gar nicht daran gedacht, das zu tun.

Simba blieb wachsam auf der Veranda, während Doyle ins Haus ging und sich drinnen umsah. Im Wohnzimmer machte er dann die Bemerkung über den »Saustall«, die Charlie, die sich an ihrem Handy festhielt, als wäre es ihr einziger Rettungsanker, vorn im Vestibül hörte.