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Ehrfürchtig staunend beobachtete er, mit welcher Routiniertheit sie das tat. Sie musste das tagelang geübt haben. Sie war so geschickt, dass sie es mit einer Hand mitten im Gespräch tat: Sie ließ das Fläschchen aus dem Ärmel ihres Pullis gleiten, schraubte es auf, kippte es aus und ließ es wieder unter ihrem Pulli verschwinden. Dann beendete sie ihre Unterhaltung und setzte ihren Weg zurück zum Tisch fort. Niemand außer Malcolm ahnte, dass sie ein klein wenig mehr getan hatte, als ihrem Mann an der Bar einen Whisky zu holen. Malcolm betrachtete sie mit neuem Respekt, als sie das Glas vor Bernie auf den Tisch stellte. Er war froh, dass er nicht die geringste Absicht hatte, sich mit dieser eiskalten Mörderin zusammenzutun.

Er wusste, was in dem Glas war: das Resultat von Betsys kurzem Ausflug ins Internet. Sie hatte mindestens zehn Digitoxin-Tabletten zu einem todbringenden Pulver zerstampft. Bernie würde eine Stunde nach der Einnahme ein toter Mann sein.

Brav trank Bernie seinen Whiskey. Er kippte ihn hinunter, wie er jeden doppelten Black Bush hinunter­zuspülen pflegte, und wischte sich hinterher mit dem Handrücken den Mund ab. Malcolm wusste nicht, wie viele Whiskys Bernie an diesem Abend getrunken hatte, aber er meinte, wenn das Gift ihn nicht tötete, dann würde es gewiss der Alkohol tun.

»Bernie«, sagte Betsy nörgelnd, »lass uns nach Hause fahren.«

»Kann noch nicht, Betsy«, erwiderte Bernie. »Erst muss ich die Partie hier mit Malkie fertig spielen. Wir haben seit Jahren keine Session mehr gehabt. Das letzte Mal war ...«

Er grinste Malcolm mit glasigem Blick an. »Ha, ich erinnere mich noch an den Abend oben auf dem Hof. Du nicht, Malkie? Muss um die zehn Jahre her sein? Oder isses länger? Als wir die letzte Partie miteinander gespielt haben.«

Malcolm wollte sich auf dieses Thema nicht einlassen. Er sagte: »Du bist am Zug, Bernie. Oder willst du dich mit einem Unentschieden zufrieden geben?«

»Kommt nicht in Frage.« Bernie schwankte auf seinem Hocker und starrte aufs Brett.

»Bernie ...«, sagte Betsy einschmeichelnd.

Er tätschelte ihre Hand, die auf seiner Schulter lag.

»Fahr du mal schon vor, Bets. Ich finde schon heim. Malkie fährt mich, stimmt's, Malkie?« Er kramte seine Autoschlüssel aus der Hosentasche und drückte sie seiner Frau in die Hand. »Aber schlaf mir nicht ein, Mamilein. Wir haben noch was zu erledigen, wenn ich heimkomme.«

Betsy spielte Widerstreben und Besorgnis, dass Malcolm selbst zu viel getrunken haben könnte, um ihren kostbaren Bernie wohlbehalten nach Hause zu chauffieren, aber Bernie sagte: »Wenn er draußen auf dem Parkplatz nicht auf 'ner geraden Linie laufen kann, geh ich zu Fuß. Ich versprech dir's, Mamilein. Ehrenwort.«

Betsy sah Malcolm mit viel sagendem Blick an. »Dann pass mir gut auf ihn auf.«

Malcolm nickte. Betsy ging. Jetzt hieß es nur noch Warten.

Bernie Perryman schien trotz seines erblichen Herzfehlers die Konstitution eines Maulesels zu haben. Eine Stunde später, als Malcolm ihn in seinen Wagen bugsiert hatte, um ihn nach Hause zu fahren, quasselte er immer noch wie einer, dessen Lebensgeister neu erwacht sind. So wie er redete, konnte er es gar nicht erwarten, nach Hause zu kommen und seiner Frau die Kleider vom Leib zu reißen. Höchstens das Jüngste Gericht konnte Bernie davon abhalten, seiner Mama die tollste Nacht ihres Lebens zu bereiten.

Malcolm, der den größten Umweg zum Hof genommen hatte, der möglich war, ohne Bernies Verdacht zu erregen, begann allmählich zu glauben, dass seine Geliebte ihrem Mann gar keine Überdosis seines Herzmittels verabreicht hatte. Erst als Bernie vor der Einfahrt zum Haus aus dem Wagen stieg, regten sich Malcolms Hoffnungen von neuem.

Bernie sagte: »Mir geht's 'n bisschen mies, Malkie. Puh! Jetzt nichts wie ab in die Falle«, und torkelte in Richtung zum Haus davon. Malcolm beobachtete ihn, bis er kopfüber in die Hecke am Rand der Einfahrt stürzte. Als er sich danach nicht mehr rührte, wusste Malcolm, dass die Tat endlich vollbracht war.

Zufrieden fuhr er ab. Wenn Bernie nicht gleich tot gewesen war, dann würde er auf jeden Fall bis zum Morgen tot sein.

Wunderbar, dachte er. Die Ausführung hatte zwar Ewigkeiten gedauert, aber sein Plan würde aufgehen.

Malcolm hatte ein wenig Angst gehabt, dass Betsy ihren Part in dem nachfolgenden Drama vermasseln würde. Aber in den nächsten Tagen entpuppte sie sich als Schauspielern von beachtlichem Talent. Nachdem sie beim morgendlichen Erwachen das Bett an ihrer Seite leer vorgefunden hatte, tat sie, was jede vernünftige Ehefrau eines Trinkers getan hätte: Sie suchte ihren Mann. Als sie ihn weder im Haus noch in den Stallgebäuden fand, machte sie ein paar Anrufe. Sie fragte im Pub nach; sie fragte in der Kirche nach; sie fragte bei Malcolm nach. Hätte Malcolm nicht mit eigenen Augen gesehen, wie sie ihren Mann vergiftet hatte, er wäre überzeugt gewesen, eine Frau am Telefon zu haben, die außer sich vor Sorge um das Wohlergehen ihres Mannes war. Aber sie war natürlich wirklich besorgt. Sie brauchte einen Leichnam, um zu beweisen, dass Bernie tot war.

»Ich habe ihn an der Einfahrt abgesetzt«, sagte Malcolm, ganz Hilfsbereitschaft und rührende Besorgnis.

»Als ich ihn zuletzt gesehen habe, war er auf dem Weg zum Haus, Bets.«

Daraufhin ging sie hinaus und fand Bernie genau an der Stelle, wo er in der vergangenen Nacht gestürzt war. Und mit der Auffindung seines Leichnams kam alles Notwendige ins Rollen.

Natürlich gab es eine gerichtliche Untersuchung. Sie erwies sich allerdings als reine Formalität. Auf Grund von Bernies bekanntem Herzleiden und seinen »Alkohol­problemen«, wie die Behörden es formulierten, in Verbindung mit der äußerst ungünstigen Witterung der vergangenen Tage, gelangte das Gericht zu einem höchst vernünftigen Urteiclass="underline" Bernie Perryman habe nach übermäßigem Alkoholkonsum im Plantagenet Pub, wo sechzehn Zeugen beobachtet hatten, dass er in weniger als drei Stunden mindestens elf doppelte Whisky getrunken hatte, in der kältesten Nacht des Jahres auf dem recht langen Weg von der Straße zu seinem Haus das

Bewusstsein verloren und sei an Unterkühlung gestorben.

Es gab keinen Anlass, sein Blut nach Giftstoffen zu untersuchen. Zumal nachdem der Arzt erklärt hatte, es sei in Anbetracht der Krankengeschichte seiner Familie und seiner »Alkoholprobleme« ein Wunder, dass der Mann überhaupt so alt geworden sei.

Bernie war an der Seite seiner Vorfahren auf dem Friedhof von St. James begraben worden, jener Kirche, um deren schmuckes Aussehen bei Gottesdiensten und anderen Anlässen sich die Männer seiner Familie seit Generationen verdient gemacht hatten.

Malcolm beruhigte die wenigen Gewissensbisse, die er wegen Bernies Tod hatte, indem er sie ignorierte. Bernie war herzkrank gewesen. Bernie war ein Gewohnheits­trinker gewesen. Wenn Bernie im Suff in der Einfahrt zu seinem Haus, das keine fünfzig Meter entfernt war, das Bewusstsein verloren hatte und infolgedessen an Unterkühlung gestorben war - tja, wer konnte sich da die Schuld geben?

Zwar war es traurig, dass Bernie Perryman für Malcolms Suche nach der Wahrheit sein Leben hatte lassen müssen, aber er hatte sich sein vorzeitiges Hinscheiden selbst zuzuschreiben.

Malcolm wusste, dass er nach der Beerdigung nur noch Geduld brauchte. Er hatte nicht zwei Jahre fleißig den Boden, sprich Betsy, beackert, um sich dann am Tag der Ernte durch unüberlegtes und überstürztes Handeln um die Früchte seiner Arbeit zu bringen. Außerdem war Betsy ungeduldig genug für sie beide, und ihm war klar, dass sie höchstens Tage - vielleicht sogar nur Stunden - warten würde, ehe sie sich zum langjährigen Rechtsberater der Familie Perryman begab, um sich über die Erbschaft informieren zu lassen, die sie zu erwarten hatte.