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Malcolm hatte sich diesen Moment während seines Verhältnisses mit Betsy oft genug vorgestellt. Manchmal hatte ihn während der endlosen Beischlafübungen einzig die Vorstellung von dem Augenblick, wo Betsy die Wahrheit erfuhr, aufrechterhalten.

Howard Smythe-Thomas, in Nuneaton ansässig, würde sie in seine Kanzlei bitten und ihr die grausame Wahrheit zweifellos so schonend wie möglich beibringen. Und anfangs würde Betsy vielleicht glauben, seine Zurück­haltung sei dem traurigen Anlass angepasst.

»Meine liebe Mrs. Perryman«, würde er sagen, und das müsste sie eigentlich warnen, dass eine schlechte Nachricht wartete, aber wie die schlechte Nachricht aussah, würde sie natürlich erst erfahren, wenn er ihr die bitteren Tatsachen eröffnete.

Bernie hatte kein Geld. Der Hof war bis übers Dach verschuldet; Ersparnisse oder Wertpapiere waren keine da. Inventar von Haus und Nebengebäuden gehörten selbstverständlich ihr, aber den völligen Bankrott könne sie nur durch den Verkauf aller Besitztümer und des Hofs abwenden. Und selbst dann noch würde es auf Messers Schneide stehen. Die Bank hatte nur deshalb die Versteigerung noch nicht anberaumt, weil die Familie Perryman seit mehr als zweihundert Jahren bei ihr Kunde war. »Loyalität«, würde Smythe-Thomas salbungsvoll sagen. »Bernard mag seine Schwierigkeiten gehabt haben, Mrs. Perryman, aber die Bank hat seine Familie immer hoch geachtet. Wenn schon Vater und Vorväter treue Kunden ein und desselben Bankunternehmens waren, ist man bereit, einen gewissen Spielraum zu gewähren, den man jemandem, der der Bank weniger gut bekannt ist, wahrscheinlich nicht einräumen würde.«

Mit anderen Worten, da es auf der Windsong Farm keine Perrymans mehr gab - und Smythe-Thomas würde Betsy bestimmt mit gebotener Behutsamkeit erklären, dass die Ehefrau eines trunksüchtigen Perryman nicht zählte -, war damit zu rechnen, dass die Bank Bernies Schulden eintreiben würde. Sie wäre klug, würde Smythe-Thomas vermutlich sagen, sich auf diese Eventualität einzustellen Aber was ist mit dem Erbe?, würde Betsy fragen. »Bernie hat dauernd von einem Erbe palavert.« Und sie wäre fassungslos wegen der Falschheit ihres Mannes.

Smythe-Thomas würde natürlich nichts von einem Erbe wissen. Und in Anbetracht der Geschichte der Perrymans, die nie härter für ihren Lebensunterhalt gearbeitet hatten, als in der Kirche von Sutton Cheney herumzuwerkeln ... Er würde freundlich darauf hinweisen, dass mit solcher Hilfsarbeit wohl keiner ein Vermögen anhäufen könnte.

Betsy würde vielleicht einige Stunden - möglicherweise sogar einige Tage - brauchen, um diese Neuigkeit in ihren dicken Schädel hineinzubekommen. Zuerst würde sie glauben, es müsse ein Irrtum oder Missverständnis vorliegen. Ganz bestimmt war irgendwo wertvoller Schmuck oder Bargeld versteckt, Silber oder Gold oder Eigentumsurkunden für irgendwelche Immobilien oben auf dem Speicher. Sie würde anfangen zu suchen, also genau das tun, was Malcolm beabsichtigt hatte: zuerst suchen und dann in Tränen aufgelöst bei Malcolm aufkreuzen. Woraufhin Malcolm die Sache in die Hand nehmen würde.

Unterdessen arbeitete er frohgemut an seinem großen Werk. Auf erfreuliche Weise häuften sich links von seiner Schreibmaschine die Blätter, während er die Wiederher­stellung des Ansehens von Englands meist geschmähtem König in Angriff nahm.

Viele aufrechte Männer fielen an jenem Morgen des 22. August 1485, unter ihnen auch der Herzog von Norfolk, der die Vorausabteilung von Richards Heer befehligte. Als der Graf von Northumberland sich weigerte, seine Truppen in den Kampf zu schicken, um Norfolks führerlosen Männern beizustehen, begann das Glück der Schlacht sich zu wenden.

Fahnenflucht, Treuebruch und Verrat auf dem Schlachtfeld waren damals an der Tagesordnung. Natürlich war das sowohl dem König als auch Tudor, seinem Feind, bekannt. Damit ist leicht erklärt, warum beide Männer die Stanleys brauchten und ihnen gleichzeitig misstrauten und warum Heinrich Tudor mitten im Schlachtgetümmel zu den Stanleys floh, die es bisher abgelehnt hatten, in den Kampf einzutreten. Heinrich Tudor, dessen Heer dem des Königs an Größe weit unterlegen war, wusste, dass er ohne das Eingreifen der Stanleys zu seinen Gunsten verloren wäre. Und er war sich nicht zu gut, ihre Hilfe zu erbitten. Nur darum unternahm er jenen verzweifelten Ritt über die Ebene zu den Truppen der Stanleys.

König Richard donnerte mit seinen Männern den Ambion Hill hinunter und fing ihn ab. Nur einen Kilometer vom Heerlager der Stanleys entfernt kam es zum Kampf zwischen den beiden kleinen Streitkräften. Schnell fielen Tudors Ritter unter dem Angriff des Königs: William Brandon und das Banner von Cad­wallader stürzten zu Boden; der gewaltige Sir John Cheyney wurde von des Königs eigener Axt getroffen. Es war nur noch eine Frage von Minuten, dass Richard sich zu Heinrich Tudor selbst durchschlagen würde. Als die Stanleys das erkannten, beschlossen sie, die kleine Truppe des Königs anzugreifen.

Im folgenden Kampf wurde der König vom Pferd gestoßen und hätte fliehen können. Aber er erklärte, er würde als »König von England« untergehen, und kämpfte trotz schwerer Verletzungen weiter. Mehr als ein Mann waren nötig, um ihn in die Knie zu zwingen. Und er starb mit der Würde eines königlichen Prinzen.

Das Heer des Königs ergriff die Flucht, verfolgt vom Grafen von Oxford, der zweifellos entschlossen war, so viele Männer des Königs wie möglich zu töten. Sie flohen zum Dorf Stoke Golding, das in der entgegengesetzten Richtung von Sutton Cheney lag.

Das war entscheidend für die Ereignisse, die folgten. Wenn man um sein Leben bangen muss, wenn man mit dem geschlagenen König von England blutsverwandt ist, denkt man unweigerlich an die Rettung des eigenen Lebens. John de la Pole, Graf von Lincoln, Neffe König Richards, befand sich unter den flüchtenden Soldaten. Wäre er nach Sutton Cheney geritten, so wäre er dem Grafen von Northumberland in die Hände gefallen, der sich geweigert hatte, dem König Beistand zu leisten, und sich nur zu gern durch die Auslieferung von Richards Neffen die besondere Gunst Heinrich Tudors gesichert hätte. Also ritt er nach Süden anstatt nach Norden. Und mit dieser Entscheidung verdammte er seinen Onkel zu fünfhundert Jahren Verleumdung durch die Tudors.

Denn die Geschichte wird von den Siegern geschrieben, dachte Malcolm.

Aber manchmal wird sie auch neu geschrieben.

Und während er Geschichte neu schrieb, musste er immer wieder an Betsy und ihre wachsende Verzweiflung denken. Obwohl seit Bernies Tod mittlerweile zwei Wochen vergangen waren, war sie nicht wieder zur Arbeit gekommen. Der Direktor - der schniefende Samuel, wie Malcolm ihn mit Vorliebe nannte - berichtete, Betsy wäre völlig niedergeschmettert über den plötzlichen Tod ihres Mannes. Sie brauche Zeit, um sich mit ihrem Schmerz auseinander zu setzen und ihn zu verarbeiten, teilte er dem versammelten Lehrkörper bekümmert mit.

Malcolm wusste, dass sie sich in Wirklichkeit mit etwas ganz anderem auseinander setzen musste: Sie musste irgendetwas finden, das sie als »das Erbe« ausgeben konnte, um ihn an sich zu binden, obwohl die erwartete Erbschaft ausgeblieben war. Wie eine Furie durch das alte Bauernhaus tobend, würde sie in dem heftigen Bemühen, irgendetwas von Wert aufzustöbern, wahrscheinlich Bernies Kleiderschrank mit der Lupe durchsuchen, nach Landkarten, die zu verborgenen Schätzen führten, und Eigentumsurkunden über wertvollen Landbesitz. Sie würde sämtliche Bücher ausschütteln, den Inhalt der Truhen, die auf dem Speicher standen, von oben bis unten inspizieren. Sie würden in den Nebengebäuden Jagd machen, vor Kälte blau bis zu den Lippen. Und wenn sie gewissenhaft suchte, würde sie den Schlüssel finden.