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Der Schlüssel würde sie zu dem Schließfach bei eben der Bank führen, deren Kunden die Perrymans schon seit zweihundert Jahren waren. Als Witwe Bernard Perrymans, mit seinem Testament und dem Totenschein gerüstet, würde man ihr gestatten, das Fach zu öffnen. Und da würde sie vor dem Ende all ihrer Hoffnungen stehen.

Malcolm fragte sich, was sie denken würde, wenn sie das schmutzige Blatt Papier erblickte, welches das immer wieder beschworene Erbe der Perrymans darstellte. So dicht beschrieben mit eng gesetzten Schriftzügen, dass diese fast nicht zu lesen waren, sah es für das ungeschulte Auge nach nichts aus. Und eben das würde Betsy glauben - dass sienichts zu bieten hätte -, wenn sie sich endlich Malcolm auf Gnade und Ungnade auslieferte.

Aber Bernie Perryman hatte es besser gewusst an jenem lang vergangenen Abend, als er Malcolm das Schreiben gezeigt hatte.

»Hey, schau dir das mal an, Malkie«, hatte Bernie gesagt, »und verrat deinem alten Freund Bernie, was du davon hältst.«

Er war angetrunken wie immer, aber noch bei Verstand. Und Malcolm, der ihn soeben beim Schach vernichtend geschlagen hatte, war großzügiger Stimmung und bereit, sich das weitschweifige Gerede des Kindheitsfreunds anzuhören.

Im ersten Moment glaubte er, Bernie nähme ein Blatt aus einer großen alten Bibel, aber dann erkannte er, dass die vermeintliche Bibel ein altes Lederalbum irgend­welcher Art war, und das Blatt eine Urkunde, ein Brief, wie sich zeigte. Das Schreiben trug keine Anrede, aber es war unterzeichnet, und neben der Unterschrift waren Wachsreste eines Abdrucks von einem Siegelring zu erkennen.

Bernie beobachtete ihn auf diese durchtriebene Art, die Betrunkene an sich haben; er wollte seine Reaktion sehen. Daran merkte Malcolm, dass Bernie genau wusste, was er in seinem Besitz hatte. Und das machte ihn neugierig, aber auch vorsichtig.

Die Vorsicht gebot ihm, nach einem Blick auf das Schreiben zu sagen: »Ich weiß nicht, Bernie. Ich werde nicht recht klug daraus.« Während die Neugier ihn hinzuzufügen trieb: »Woher kommt das?«

Bernie zierte sich. »Der alte Boden, der hat denen doch immer Ärger gemacht, weißt du noch, Malkie? Einge­sunken war er, die Steine zu grob, einfach keine ordentliche Arbeit. Aber was kann man anderes erwarten, wenn so ein Gebäude eine kleine Ewigkeit auf dem Buckel hat?«

Malcolm klopfte diese scheinbar unsinnige Bemerkung auf eine Bedeutung ab. Die alten Gebäude in der Gegend waren die Schule, das Plantagenet Pub, das Rathaus von Market Bosworth, die Fachwerkhäuser in der Rectory Lane, die St.-James-Kirche in ...

Sein Blick wurde scharf, als er zuerst Bernie ansah und dann das Schreiben. Die St.-James-Kirche in Sutton Cheney, dachte er und schaute sich das Dokument genauer an.

Es gelang ihm, die erste Zeile des eng geschriebenen Texts zu entziffern - »Ich, Richard, Herrscher von Gottes Gnaden über Engelland, Frankreich und Herr über Irland ...« An dieser Stelle flog sein Blick zu der eilig hingeworfenen Unterschrift, die er ebenfalls entziffern konnte. »Richard R.«

Heiliger Herr Jesus, dachte er, was war Bernie, dem Säufer, da in die Hände gefallen?

Er wusste, dass es jetzt wichtig war, ruhig zu bleiben. Nur ein Anzeichen von Interesse, und Bernie würde sich ein Vergnügen daraus machen, mit ihm Katz und Maus zu spielen. Darum sagte er: »Bei dieser Beleuchtung kann ich kaum was erkennen, Bernie. Hast du was dagegen, wenn ich mir das Ding zu Hause mal näher ansehe?«

Aber da biss er bei Bernie auf Granit. »Kann ich nicht aus der Hand geben, das Ding, Malkie«, sagte er. »Das ist ein Familienerbstück. Es ist schon seit Ewigkeiten in unserem Besitz, und jeder von uns hat geschworen, es sicher aufzubewahren.«

»Wie seid ihr ... ?« Aber Malcolm wusste, dass es keinen Sinn hatte, Bernie zu fragen, wie die Familie in den Besitz eines Schreibens von der Hand Richard III. gekommen war. Bernie würde ihm diese Frage nur beantworten, wenn er es für nötig hielt, Malcolm einzuweihen. Er sagte deshalb: »Schauen wir es uns doch mal in der Küche an. Ist dir das recht?«

Das war Bernie Perryman sehr recht. Er wollte seinem alten Kumpel schließlich genau zeigen, was das für eine Urkunde war. Sie gingen also in die Küche und setzten sich an den Tisch, und Malcolm beugte sich über das Schreiben.

Die Handschrift war nahezu unleserlich, nicht klar und gestochen scharf wie die eines amtlichen Schreibers, der die Korrespondenz seines Königs zu erledigen pflegte. Nein, dies war die Schrift eines Menschen in großer Erregung. Beinahe seit zwanzig Jahren sammelte Malcolm jedes Fetzchen Wissen über Richard Plantagenet, Herzog von Gloucester, später Richard III., genannt der Usurpator, Englands Schwarze Legende, die bucklige Kröte, und praktisch mit jedem anderen denkbaren Schimpfnamen bedacht. Er wusste daher, wie leicht möglich es tatsächlich war, dass er hier, in diesem alten Bauernhaus, keine zweihundert Meter vom Bosworth Field und anderthalb Kilometer von der St.-James-Kirche entfernt, das echte Schreiben vor sich hatte. Richard hatte die letzte Nacht seines Lebens in dieser Gegend verbracht. Er hatte hier eine Schlacht geschlagen. Er war hier gestorben. Sollte es also nicht vorstellbar sein, dass Richard irgendwo in der Nähe auch einen Brief geschrieben hatte, in einem Gebäude, wo er sich versteckt gehalten hatte, bis .

Malcolm rief sich alles ins Gedächtnis, was er von der Geschichte dieser Gegend wusste. Und er stieß auf die Tatsache, die er brauchte. »Der Boden von St. James«, sagte er. »Er wurde vor zweihundert Jahren angehoben, nicht wahr?« Und einer der zahllosen Perryman- Taugenichtse war dabei gewesen, hatte wahrscheinlich bei der Arbeit geholfen und dieses Schreiben gefunden.

Bernie beobachtete ihn immer noch, und um seine Mundwinkel spielte ein arglistiges kleines Lächeln. »Was steht 'n drin, Malkie?«, fragte er. »Meinst du, mit dem Ding ließe sich was verdienen?«

Malcolm hätte ihm am liebsten den Kragen umgedreht, aber er fuhr ruhig fort, das kostbare Dokument zu studieren. Das Schreiben war nicht lang, nur ein paar Zeilen, die, wie er erkannte, den Lauf der Geschichte hätten ändern können und die, sobald sie dank dem Aufsatz, den er zu schreiben beschlossen hatte, publik würden, endlich das Ansehen des Königs wiederherstellen würden, der fünfhundert Jahre lang verleumderischen Anschuldigungen von Mord und Totschlag ausgesetzt worden war, für deren Richtigkeit es nie den Schatten eines Beweises gegeben hatte.

Ich, Richard, königlicher Herrscher von Gottes Gnaden über Engelland und Frankreich und Herr über Irland, beauftrage am heutigen Tage, dem 21. August 1485, die guten Mönche von Jervaulx, den Überbringer dieses Schreibens, Edward, genannt Lord Bastard, und seinen Bruder Richard, genannt Herzog von York, in Obhut zu nehmen. Der Besitz dieses Schreibens soll ausreichen, seinen Überbringer als John de la Pole, Graf von Lincoln, geliebter Neffe des Königs, auszuweisen. Niedergeschrieben in großer Eile in Sutton Cheney. Richard R.

Zwei Sätze nur, aber genug, den guten Ruf eines Mannes wiederherzustellen. Als der König an jenem 22. August 1485 in der Schlacht gefallen war, waren seine zwei jungen Neffen am Leben gewesen.

Malcolm sah Bernie unverwandt an. »Du weißt, was das ist, nicht wahr, Bernie?«, fragte er seinen alten Freund.

»Was? Ein Dummkopf wie ich«, erwiderte Bernie, »der nicht mal die Abschlussprüfung in der Schule geschafft hat? Woher sollte ich wohl wissen, was dieses Stück Scheißpapier ist? Aber was meinst du? Lässt sich damit Geld machen?«

»Du kannst dieses Dokument nicht verkaufen.« Malcolm sprach ohne Überlegung und viel zu hastig. Und damit verriet er sich.

Bernie packte das Schreiben und drückte es mit grober Hand an seine Brust. Es tat Malcolm weh, dies zu sehen. Wer konnte wissen, was für Schaden der Narr anrichten würde, wenn er betrunken war?

»Geh vorsichtig damit um«, sagte Malcolm. »Es ist sehr empfindlich.«