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»Wie Freundschaft, richtig?« Bernie torkelte aus der Küche hinaus.

Kurz danach musste Bernie das Dokument an einem anderen Ort versteckt haben, denn Malcolm hatte es nie wieder gesehen. Aber das Wissen von seiner Existenz gärte in seinem Inneren. Und erst als Betsy auf der Bildfläche erschienen war, hatte er endlich eine Möglich­keit gesehen, dieses kostbare Stück Papier in seinen Besitz zu bringen.

Nun würde es bald so weit sein. Wenn Betsy all ihren Mut zusammennahm und ihn anrief, um ihm das Schreckliche mitzuteilen - dass das Erbe nichts weiter war als ein altes Stück Papier, das höchstens dazu taugte, einen Vogelkäfig auszulegen.

Während Malcolm auf ihren Anruf wartete, legte er letzte Hand an sein Werk,Die Wahrheit über Richard und die Schlacht auf dem Bosworth Field, an dem er zehn Jahre lang geschrieben hatte und zu dessen Vollendung nur ein einziges, bisher unbekanntes, historisches Dokument fehlte, das als Zeugnis der Richtigkeit seiner Theorie darüber dienen konnte, was den beiden jungen Prinzen geschehen war. Die Stunden, die er an der Schreibmaschine saß, flogen dahin wie Blätter, die der Wind von den Bäumen des Ambion Forest riss, wo einst ein Sumpf Richards Südflanke vor einem Angriff von Heinrich Tudors Söldnerheer geschützt hatte.

Das Schreiben bestätigte Malcolms Vermutung, dass Richard jemanden über den Aufenthaltsort der Knaben unterrichtet hatte. Im Fall eines Sieges Heinrich Tudors, das wusste Richard, würden die Prinzen in tödliche Gefahr geraten; darum hatte er am Vorabend der Schlacht schließlich einem anderen sein bestgehütetes Geheimnis anvertrauen müssen: Den Ort, an dem die beiden Knaben sich befanden. So konnten sie, wenn Tudor siegen sollte, aus dem Kloster geholt und außer Landes gebracht werden, um sie vor Schaden zu bewahren.

John de la Pole, der Graf von Lincoln und geliebte Neffe Richards III., kam für die Aufgabe am ehesten in Frage. Er hatte vermutlich Anweisung erhalten, wenn der König fiele, unverzüglich nach Yorkshire zu reiten, um das Leben der beiden Knaben zu retten, die für legitim erklärt wurden - und daher für den Usurpator die größte Bedrohung bedeuteten -, sobald Heinrich Tudor ihre Schwester heiratete.

John de la Pole war sich zweifellos der großen Gefahr, die den Knaben drohte, bewusst gewesen. Aber obwohl sein Onkel ihm gewiss gesagt hatte, wo die Prinzen versteckt waren, hätte man ihm ohne persönliche Anweisung des Königs an die Mönche niemals den Zugang zu ihnen gestattet und sie ihm erst recht nicht ausgeliefert.

Das Schreiben hätte ihm den gewünschten Zugang verschafft. Aber er hatte nach Süden fliehen müssen, weil der Norden nicht sicher gewesen war, und darum hatte er das Schreiben nie unter den Steinen von St. James hervorholen können, wo sein Onkel es am Vorabend der Schlacht versteckt hatte.

Dennoch verschwanden die Knaben, und es wurde nie wieder von ihnen gehört. Wer hatte sie entführt?

Auf diese Frage konnte es nur eine Antwort geben: Elisabeth von York, Schwester der Prinzen, aber auch Verlobte des neuen Königs, der sich hier auf dem Schlachtfeld hatte krönen lassen.

Als Elisabeth gehört hatte, dass ihr Onkel gefallen war, hatte sie ganz klar erkannt, welche Möglichkeiten ihr sein Tod eröffnete: Königin von England, sollte Heinrich Tudor den Thron behalten, oder bloß Schwester eines sehr jungen Königs, sollte ihr Bruder Eduard Anspruch auf den Thron erheben, sobald Heinrich sie für legitim erklären ließ oder das Gesetz aufhob, mit dem sie für illegitim erklärt worden war. Sie konnte also die Stammmutter eines königlichen Hauses werden oder nur eine Marionette, die aus machtpolitischen Gründen mit jedem Mann verheiratet werden konnte, der ihrem Bruder als Verbündeter wünschenswert erschien.

Sheriff Hutton, ihr vorübergehender Aufenthaltsort, war von keiner der Abteien weit entfernt. Als Lieblingsnichte ihres Onkels wohlvertraut mit seiner Neigung zum Religiösen, hatte sie, wenn Richard es ihr nicht selbst gesagt hatte, vermutlich erraten, wo er ihre Brüder versteckt hielt. Und die Knaben wären ihr bereitwillig gefolgt, schließlich war sie ihre Schwester.

»Ich bin Elisabeth von York«, hätte sie dem Abt in dem gebieterischen Ton erklären können, den sie so häufig bei ihrer schlauen Mutter gehört hatte. »Ich möchte meine Brüder gesund und wohlauf sehen. Auf der Stelle.«

Wie leicht musste dies alles zu bewerkstelligen gewesen sein. Die beiden jungen Prinzen, die ihre Schwester nach Gott weiß wie langer Zeit zum ersten Mal wieder sahen, waren ihr entgegengelaufen, hatten sie umarmt, sich voll Eifer dem Abt zugewandt, als sie ihnen mitteilte, dass sie gekommen sei, um sie endlich zu holen ... Und wie hätte der Abt sich anmaßen können, einer königlichen Prinzessin - die ja offensichtlich von den Knaben erkannt worden war - ihre Brüder vorzuenthalten? Zumal in der gegebenen Situation, da Richard tot war und ein Mann den Thron bestiegen hatte, der seine Blutrünstigkeit bereits gezeigt hatte, indem er als eine seiner ersten Amtshandlungen als König alle diejenigen, die in der Schlacht von Bosworth auf Richards Seite gekämpft hatten, zu Verrätern erklären ließ! Tudor würde den Mönchen gegenüber keine Nachsicht zeigen, wenn bekannt würde, dass sie die Knaben versteckt gehalten hatten. Gott allein wusste, wie er sich rächen würde, sollte er sie finden.

Dem Abt schien es also nur vernünftig, Eduard, den Lord Bastard, und seinen Bruder Richard, Herzog von York, ihrer Schwester zu übergeben. Und Elisabeth wiederum übergab sie jemand anderem. Einem der Stanleys? Dem falschen Herzog von Northumberland, der Heinrich Tudor fortan im Norden diente? Sir James Tyrell, einem ehemaligen Gefolgsmann Richards, der zweimal in den Genuss einer allgemeinen Amnestie kam, die Tudor kein Jahr nach seiner Thronbesteigung erließ?

Ganz gleich, wer es war - sobald sich die Prinzen in der Gewalt des Betreffenden befanden, war ihr Schicksal besiegelt. Und danach hätte keiner, dem sein Leben lieb war, es gewagt, Anklage gegen die Gemahlin eines regierenden Königs zu erheben, der bereits Neigung gezeigt hatte, Untertanen zum Tode verurteilen und ihrer Ehrenrechte berauben zu lassen, um dann ihren Besitz zu konfiszieren.

Ein brillanter Plan von Elisabeth, fand Malcolm. Sie war eben doch die Tochter ihrer Mutter, und sie wusste, wie wichtig es war, die eigenen Interessen an die erste Stelle zu setzen. Außerdem hatte sie sich vermutlich gesagt, dass es die Kämpfe um den Thron, die bereits dreißig Jahre andauerten, nur verlängern würde, wenn man die Knaben am Leben ließ. Sie konnte dem Blutvergießen ein Ende bereiten, indem sie noch ein wenig mehr Blut vergoss. Welche Frau in ihrer Position hätte anders gehandelt?

Dass Betsy mehr als drei Monate brauchte, um den Mut zu finden, Malcolm die enttäuschende Nachricht beizubringen, bereitete ihm nun doch ab und zu eine gewisse Sorge. Nach dem Zeitplan, den er schon vor langer Zeit im Kopf aufgestellt hatte, wäre sie spätestens vierundzwanzig Stunden nach der grausamen Entdeckung, dass ihr Erbe nur ein voll geschmiertes altes Blatt Papier war, in Tränen aufgelöst zu ihm gekommen. Sie hätte sich ihm weinend in die Arme geworfen und auf Rettung gewartet. Um die schreckliche Situation, in der sie sich befand, zu illustrieren, hätte sie das Schreiben mitgebracht. So, hätte sie gesagt, hatte Bernie Perryman seine liebende Gattin hinters Licht geführt. Und er - Malcolm - hätte ihr das Papier aus der zitternden Hand genommen, hätte einen Blick darauf geworfen, hätte es zu Boden flattern lassen und, in ihre Klagen einstimmend, mit ihr gemeinsam den Tod ihrer schönsten Träume betrauert. Denn sie war finanziell am Ende, und er konnte ihr mit seinem kläglichen Gehalt von der Schule nicht das Leben bieten, das sie verdiente. Nach einer beherzten und unvergesslichen Runde im Bett wäre sie dann gegangen, und das Papier wäre auf seinem Teppich liegen geblieben. Das Schreiben hätte ihm gehört. Und wenn sein Werk dann veröffentlicht worden wäre und Vorträge, Fernseh­interviews, Talk-Show-Termine und Lesungen sich in seinem Terminkalender gedrängt hätten, wäre für eine biedere kleine Hausfrau, die zu blöd gewesen war, um zu erkennen, was sie in Händen gehabt hatte, keine Zeit mehr gewesen.