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Mehrere der deutschen Touristen applaudierten anerkennend.

Die Führerin sagte: »Das ist eine Gibb-Tür. Raffiniert, nicht? Hier konnten die Bediensteten zu jeder Zeit kommen und gehen, ohne in den Gesellschaftsräumen des Hauses gesehen zu werden.«

Man reckte die Hälse, man knipste, man brummelte Beifälliges.

Und da passierte es.

Die Führerin sagte gerade: »Achten Sie bitte besonders auf-«, als ihr sozusagen die Ereignisse in die Parade fuhren.

»Schatz! Nor! Schatz!«, röchelte jemand, und jemand anders schrie: »O mein Gott!«, und eine dritte Person rief erschrocken: »Vorsicht! Vorsicht! Ralph kippt um!«

Und genau das geschah. Ralph Tucker stieß einen unartikulierten Schrei aus und stürzte krachend auf einen der kostbaren Atlasholztische, die zur Einrichtung von Abinger Manor gehörten. Er riss ein pompöses Blumenarrangement mit sich, zertrümmerte eine Porzellanschale mit einer Duftmischung aus getrockneten Blüten und Kräutern, die sich über den ganzen Perserteppich verteilten, und warf den Tisch um. Die Samtkordel sprang aus den Haken der Messingpfosten, die in Abständen längs im Raum aufgestellt waren, als Ralph zu Boden schlug und reglos liegen blieb.

»Ralphie! Schatz!«, kreischte Noreen Tucker und drängte sich wie eine Rasende zu ihrem Mann durch. Sie packte ihn bei der Schulter und schüttelte ihn, während die Menschen ringsum mit kopfloser Aufregung reagierten. Die einen drängten vorwärts, die anderen wichen zurück. Jemand begann zu beten, jemand anderer fluchte laut. Drei Frauen aus der deutsche Gruppe ließen sich auf die Sofas fallen, die jetzt, ohne Absperrung, zugänglich waren. Ein Mann verlangte mit lauter Stimme nach Wasser, während ein anderer frische Luft forderte.

Es waren zweiunddreißig Menschen im Raum, aber es war keiner da, der das Kommando übernommen hätte. Die Führerin - die sich zwar in den Kunstschätzen von Abinger Manor auskannte, aber nicht in erster Hilfe - stand da wie angewurzelt, als hätte der Schlag, der den still auf dem Boden liegenden Ralph Tucker getroffen hatte, auch sie getroffen.

Stimmen schallten aus allen Richtungen.

»Ist er -?«

»Um Gottes willen. Er kann doch nicht -«

»Ralph! Mein Ralphie!«

»Er ist ohnmächtig geworden, nicht wahr?«

»Ruf doch jemand einen Krankenwagen, Herrgott noch mal!«, sagte Cleve, dem es gelungen war, sich durch das Gedränge zu boxen, und der nun, nach einem Blick auf Ralph Tuckers Gesicht, neben dem Leblosen niederkniete und mit Wiederbelebungsversuchen begann.

»Na los!«, brüllte er die Führerin an, die endlich aus der Trance erwachte, durch die Geheimtür stürzte und die Treppe hinaufrannte.

»Ralphie! Ralphie!«, klagte Noreen Tucker in den höchsten Tönen, als Cleve einen Moment Pause machte, um Ralphs Puls zu suchen, und dann mit seinen Bemühungen fortfuhr.

»Kann er nicht etwas unternehmen?«, rief eine der Deutschen, während ein anderer sagte: »Schauen Sie sich nur die Gesichtsfarbe an.«

Das war der Moment, als Thomas Lynley eingriff. Nachdem er sein Jackett abgelegt und Helen Clyde gereicht hatte, schob er sich durch das Gewühl der Leute, hockte sich rittlings auf den Elefantenleib Ralph Tuckers und übernahm die Herzmassage, während Cleve Houghton nach oben rückte und mit der Mund-zu-Mund-Beatmung weitermachte.

»Sie müssen ihn retten! Bitte!«, jammerte Noreen.

»Tun Sie doch etwas! Helfen Sie ihm!«

Victoria Wilder-Scott trat an ihre Seite. »Sie sind ja schon dabei, ihm zu helfen«, sagte sie beschwichtigend.

»Kommen Sie, gehen wir da hinüber ...«

»Nein! Ich lasse meinen Ralphie nicht allein. Er brauchte nur etwas zu essen.«

»Ist ihm was im Hals stecken geblieben?«

»Haben Sie es mit dem Heimlich-Griff versucht?«

Die Führerin stürzte wieder in die Galerie. »Ich habe angerufen -«, begann sie und brach ab. Wie alle anderen sah sie, dass der unglücklich Gestürzte, um den die beiden Männer sich immer noch bemühten, bereits tot war.

Thomas Lynley übernahm nun das Kommando. Er zog seinen Dienstausweis heraus und sagte, ihn der Führerin unter die Nase haltend, mit gedämpfter Stimme: »Thomas Lynley, New Scotland Yard. Schicken Sie jemanden zu meiner Tante - Lady Fabringham -, um sie von dem Unglück zu unterrichten. Aber sorgen Sie, um Gottes willen, dafür, dass sie nicht hier erscheint. In Ordnung?«

Er kannte Augustas fatalen Hang, sich in Dinge einzumischen, die sie nichts angingen, und wollte unter allen Umständen vermeiden, dass sie in dieser Situation mit eigenmächtigen Befehlen unnötige Verwirrung stiftete. Ein Rettungswagen war schließlich bereits unterwegs, und man konnte im Moment nicht mehr tun, als diesen armen Burschen in ein Krankenhaus zu bringen, wo man den amtlichen Totenschein ausstellen würde. Um den Raum für das Eintreffen des Notarzts freizumachen, schlug Lynley vor, die anderen sollten ihren Rundgang fortsetzen.

Keiner hatte jetzt noch große Lust, weitere Kostbarkeiten von Abinger Manor zu besichtigen, dennoch schlurfte die ganze Gesellschaft mit Ausnahme der weinenden Noreen Tucker gehorsam im Gänsemarsch aus der Galerie hinaus. Aber noch ehe alle weg waren, beugte sich Lynley zu dem Toten auf dem Boden hinunter und öffnete die im Tod geballte Faust.

»Herzversagen«, bemerkte Cleve Houghton. »Ich habe so was schon häufiger erlebt.«

Lynley nickte zwar, aber er sagte nichts. Er war damit beschäftigt, die Reste von Studentenfutter zu prüfen, die aus Ralph Tuckers Hand zu Boden fielen. Als er den Kopf hob, sah er nicht Cleve an, sondern blickte der Gruppe nach. Er tat dies ernst und nachdenklich, denn dem auf dem Land groß gewordenen Thomas Lynley war klar, das Ralph Tucker ermordet worden war. Indes Noreen Tucker schluchzend in einen Chippendale­Sessel von unschätzbarem Wert sank und Helen Clyde zu ihr ging, um sie zu trösten, fiel hinter der Touristengruppe die Tür zu, und schon wenige Augenblicke später standen alle im Salon und wurden aufgefordert, den Raum und insbesondere seine reich verzierte Stuckdecke zu bewundern. Dies, eröffnete die nunmehr sehr gedämpfte Führerin der Gruppe, sei der König-Eduard-Salon, der seinen Namen von dem Standbild Eduards IV. habe, das über dem Kaminsims stand. Es sei ein Standbild in Dreiviertelgröße, erklärte sie, nicht in Lebensgröße; Eduard IV. war im Gegensatz zu den meisten Männern seiner Zeit gut über einen Meter achtzig groß gewesen. Und als er am26. Februar 1460 in London eingezogen sei

Es war ihnen unbegreiflich, wie die junge Frau es fertig brachte, einfach weiterzumachen. Es hatte etwas Unanständiges, im Angesicht des Todes von Ralph Tucker Kronleuchter, seidene Tapeten, antike Möbel, chinesische Vasen und einen französischen Kaminaufsatz zu be­wundern. Dabei spielte es keine Rolle, dass der Mann keinem von ihnen persönlich etwas bedeutete. Er war tot, und aus Respekt vor seinem Hinscheiden hätte der Rundgang von Rechts wegen abgeblasen werden müssen.

Kein Wunder also, dass alle unruhig und bedrückt waren. Die Stimmung war gespannt, die Ruhe wurde nur mühsam bewahrt. Als dann endlich im Winterspeisesaal Cleve Houghton mit der Nachricht zu ihnen stieß, dass Ralph Tucker abtransportiert worden war, teilte er den Versammelten gleich auch noch mit, dass Thomas Lynley die zuständige Polizeidienststelle alarmiert hatte.