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»Polizei?«, fragte Emily Guy entsetzt.

Das Wort machte schnell die Runde in der Gruppe. Die Seminarteilnehmer begannen einander mit Zweifel und Argwohn zu mustern.

Alle wussten, dass es nur das Studentenfutter gewesen sein konnte. Und alle hatten sie die gleiche Schwierigkeit: Nicht einer von ihnen wusste eine Antwort auf die bohrende Frage, warum, in Gottes Namen, irgendjemand das Verlangen verspürt haben sollte, Ralph Tucker zu ermorden. Noreen Tucker, ja. Die Frau hatte vom ersten Tag an ihre Nase in Dinge gesteckt, die sie absolut nichts angingen, und sie würde bei einem Beliebtheitswett­bewerb unter ihnen bestimmt an letzter Stelle enden. Oder auch Sam Cleary, der nach Meinung seiner Frances einmal zu oft nach anderen Frauen geschielt hatte. Oder sogar Frances, die Sam bei seinen Bemühungen, bei Polly Simpson mehr zu erreichen, im Weg gewesen war. Aber Ralph? Nein, das ergab überhaupt keinen Sinn.

So wanderten also die Gedanken aller in die gleiche Richtung, und als sie bei Polly Simpson anlangten, erinnerten sich mehrere Personen eines erschreckenden, aber bedeutsamen Details: Auch Polly hatte von Ralph Tuckers Studentenfutter gegessen, und das, wohlgemerkt, nicht zum ersten Mal. Hatte sie nicht auch bei ihrer allerersten gemeinsamen Exkursion zugegriffen, als Ralph in einer Anwandlung von Aufgeschlossenheit, die sich nicht wiederholte, nach einem langen Tag von Haus­besichtigungen in Norfolk auf der Heimfahrt nach Cambridge großzügig sein Studentenfutter herumgereicht hatte, um die Gruppe für den entgangenen Nachmittagstee zu entschädigen? O ja, sie hatte zugegriffen. Als Einzige. Es war also möglich, dass der Anschlag ihr gegolten hatte und Ralph Tucker lediglich ein Unglücksrabe war, der auch hatte dran glauben müssen.

Das veranlasste mehr als einen aus der Gruppe, Polly mit Besorgnis zu beobachten, um beim geringsten Anzeichen dafür, dass auch sie unter der Wirkung dessen, was Ralph dahingerafft hatte, zusammenzubrechen drohte, eingreifen zu können. Jemand meinte sogar diskret, sie sollte doch eine Toilette aufsuchen und auf jeden Fall versuchen, sich zu übergeben. Aber Polly, die nicht zu verstehen schien, was hinter diesem Vorschlag steckte, schnitt nur eine Grimasse und fuhr fort, ihre Fotos zu schießen, wenn auch merklich gedämpft in ihrer Lebensfreude.

Tod durch Studentenfutter - da stellten sich diejenigen, die das in Erwägung zogen, natürlich die Frage nach dem Gift. Und das wiederum veranlasste sie zu fragen, wie man sich in Cambridge Gift beschaffen sollte. Man konnte nicht einfach in die nächste Apotheke gehen und sagen, geben Sie mir etwas, das schnell und schmerzlos wirkt und keine Spuren hinterlässt. Es war daher anzunehmen, dass das Gift von zu Hause mitgebracht worden war. Und diese Überlegung führte die Leute dazu, ernsthafter über Noreen Tucker und die Frage nachzudenken, ob sie ihren Ralphie tatsächlich so hingebungsvoll liebte, wie es den Anschein gehabt hatte.

Die Gruppe befand sich in der Bibliothek, als Thomas Lynley in Begleitung seiner Verlobten wieder zu ihr stieß und die Anwesenden der Reihe nach mit nachdenklichem Blick musterte; wie übrigens auch Helen Clyde das tat, die ins Bild gesetzt worden war, während der arme Ralph in den Krankenwagen verladen wurde. Die beiden - Thomas Lynley und Helen Clyde - trennten sich, als sie herein­kamen, und gesellten sich verschiedenen Leuten der Gruppe zu. Beide schenkten den Ausführungen der Führerin nicht die geringste Beachtung, sondern richteten ihre gesammelte Aufmerksamkeit auf die Besucher von Abinger Manor.

Begleitet vom hallenden Klang ihrer Schritte, der schallenden Stimme der Führerin und dem gelegentlichen Klicken von Fotoapparaten, zogen sie alle gemeinsam weiter von der Bibliothek in die Kapelle. Lynley ging zwischen den Leuten herum, sprach jedoch mit nieman­dem außer seiner Braut, mit der er an der Tür einige kurze Worte wechselte, bevor er sich wieder von ihr trennte.

Nach der Kapelle besichtigte man die Rüstkammer. Von dort aus ging es in das Billardzimmer, weiter ins Musikzimmer, und dann zwei Treppen hinunter in die Küchenräume. Die Speisekammer war in einen Souvenirladen umfunktioniert worden, der Deutsche wie Amerikaner gleichermaßen anlockte. Doch ehe die Gruppe auseinander laufen konnten, ergriff Lynley das Wort.

»Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie noch einen Moment hier, in der Küche, zusammenbleiben würden«, sagte er. »Seien Sie so freundlich und haben Sie etwas Geduld.«

Von den Deutschen kamen milde Proteste. Die Amerikaner sagten nichts.

»Es tut mir Leid«, fuhr Lynley fort, »aber wir haben ein Problem in Bezug auf Mr. Tuckers Tod.«

»Ein Problem?«, wiederholte Sam Cleary fragend, und andere riefen: »Wieso? Was ist denn los?« und »Was wollen Sie von uns?«

»Es war Herzversagen«, behauptete Cleve Houghton bestimmt. »Ich habe genügend ähnliche Fälle erlebt und kann Ihnen mit Sicherheit sagen -«

»Ich ebenfalls«, ertönte eine Stimme mit starkem Akzent. Sie gehörte einem Mitglied der deutschen Touristengruppe, einem älteren Mann, der offensichtlich gar nicht erfreut darüber war, dass der Rundgang schon wieder unterbrochen werden sollte. »Ich bin Arzt. Auch ich kenne diese Fälle von plötzlichem Herztod. Ich kenne mich da zur Genüge aus.«

Da musste man sich natürlich fragen, warum der Mann im Moment der Krise keinen Finger gerührt hatte, aber niemand sagte etwas. Lynley streckte seinen Arm aus und öffnete seine Hand. Auf ihr lag vielleicht ein halbes Dutzend schwarzbrauner Körner. »Es sieht aus wie Herzversagen«, erklärte er. »So wirken Alkaloide. Sie paralysieren innerhalb von Minuten das Herz. Das hier sind übrigens Eibensamen.«

»Eibensamen?«, fragte jemand. »Was haben Eiben -«

»Ach, die stammen sicher aus der Schale mit der Kräutermischung, die Mr. Tucker umgestoßen hat, als er stürzte«, warf Victoria Wilder-Scott ein.

Lynley schüttelte den Kopf. »Sie waren unter die Nüsse in seiner Hand gemischt«, sagte er. »Und in dem Beutel, den er unter seiner Jacke trug, war noch eine ganze Menge davon. Es tut mir Leid, es sagen zu müssen, aber Ralph Tucker wurde ermordet.«

Sie hatten also Recht gehabt mit ihren Befürchtungen. Und während einige von ihnen noch bei der Frage verweilten, warum ausgerechnet Ralph Tucker ermordet worden war, flogen die Blicke der anderen zu der einzigen Person in der Küche, die ganz ohne Zweifel wusste, was man mit ein paar Eibenkörnern anrichten konnte.

Die Deutschen protestierten derweilen aus vollem Hals. Anführer war der Arzt. »Wir haben mit dieser Sache nichts zu schaffen«, erklärte er. »Der Mann war uns völlig fremd. Sie haben kein Recht, uns hier festzuhalten. Wir werden jetzt gehen.«

»Selbstverständlich«, erwiderte Lynley »Das sollen Sie auch. Sobald die Sache mit dem Silber geklärt ist.«

»Wovon, um alles in der Welt, reden Sie?«

»Es sieht ganz so aus, als hätte einer von Ihnen die allgemeine Aufregung in der Galerie genutzt, um von dem Tisch neben dem offenen Kamin zwei Teile des silbernen Rokokoservice' zu entwenden. Es handelt sich um zwei Milchkännchen, klein, reich verziert und eindeutig verschwunden. Es ist natürlich richtig, dass ich hier nicht zuständig bin, aber diese kleine Geschichte mit dem verschwundenen Silber würde ich gern selbst aufklären, bevor die Kollegen eintreffen und mit ihren Unter­suchungen über Mr. Tuckers Tod beginnen.« Er konnte sich lebhaft vorstellen, was seine Tante Augusta zu der Angelegenheit zu sagen haben würde, wenn er sienicht regelte.

»Was wollen Sie denn tun?«, erkundigte sich Frances Cleary ängstlich.

»Haben Sie vielleicht die Absicht, uns hier festzuhalten, bis einer von uns ein Geständnis ablegt?«, fragte der deutsche Arzt in spöttischem Ton. »Sie sind nicht dazu berechtigt, uns zu durchsuchen.«

»Das ist richtig«, bestätigte Lynley wie zuvor. »Es sei denn, Sie erklären sich mit einer Durchsuchung einverstanden.«