Выбрать главу

Daraufhin folgte Schweigen. Füßescharren. Räuspern. Hitziges Geflüster in Deutsch. Papierrascheln, als jemand ein Heft aufblätterte.

Cleve Houghton meldete sich als Erster zu Wort. Er ließ seinen Blick über die Gruppe schweifen und sagte:

»Also, ich hab nichts dagegen.«

»Aber die Damen ...«, bemerkte Victoria Wilder-Scott mit einer gewissen Zimperlichkeit.

Lynley wies mit einem Kopfnicken zu seiner Begleiterin, die vor einer Glasvitrine mit Kupfertöpfen am Rand der Gruppe stand. »Das ist Lady Helen Clyde«, sagte er.

»Sie wird die Durchsuchung bei den Damen vornehmen.«

Und dann begann das Unternehmen: Die Herren wurden in die Spülküche gebeten, die Damen in den Vorbe­reitungsraum auf der anderen Seite des Korridors.

Sowohl Thomas Lynley als auch Helen Clyde leisteten gründliche Arbeit. Lynley war ganz dienstliche Sach­lichkeit. Helen ging etwas zartfühlender zu Werke. Beide baten sie jeden ihrer Gruppe, sich zu entkleiden und danach wieder anzukleiden. Beide durchsuchten Kleidertaschen, Handtaschen, Rucksäcke und Leinen­beutel. Lynley absolvierte das Programm mit grimmigem Schweigen, das einschüchtern sollte. Helen plauderte mit den Frauen, um ihnen die Angst und Befangenheit zu nehmen.

Beide fanden nichts, obwohl sogar Victoria Wilder-Scott und die Führerin durchsucht wurden.

Lynley bat die Versammelten, im Teesalon zu warten, und ging selbst zur Treppe am hinteren Ende der Küchenräume.

»Wohin will er denn jetzt?«, fragte Polly Simpson, mit beiden Händen ihren Fotoapparat an die Brust drückend.

»Er muss in den anderen Räumen des Hauses nach dem Silber suchen«, meinte Emily Guy.

»Aber das kann ja ewig dauern«, jammerte Frances Cleary.

»Na und? Wir müssen doch sowieso warten, bis die hiesige Polizei kommt.«

»Alles Quatsch«, erklärte Cleve Houghton. »Es war schlichtes Herzversagen, und ich bin überzeugt, es fehlt überhaupt kein Silber. Wahrscheinlich wird es gerade irgendwo geputzt.«

Dies jedoch war nicht der Fall, wie Lynley feststellte, als er seiner Tante väterlicherseits berichtete, was er lieber nicht berichtet hätte. Augusta zeigte angemessenes Entsetzen und Bedauern, als sie hörte, dass in ihrem Haus ein offenbar harmloser Tourist von einer Minute auf die andere sein Leben hatte lassen müssen. Doch als sie erfuhr, dass »so ein hinterhältiger kleiner Gauner« die Frechheit besessen hatte, eine ihrer Kostbarkeiten in seinen Besitz zu bringen, gebärdete sie sich wie die Rachegöttin persönlich. Volle fünf Minuten lang ließ sie sich darüber aus, was sie mit diesem Verbrecher zu tun gedachte, und nur indem Lynley seiner Tante versicherte, dass die zuständigen Behörden - vertreten durch ihn selbst - nichts unversucht lassen würden, um den Dieb zu schnappen, konnte er sie davon abhalten, sich die Touristen gleich selbst vorzuknöpfen. Er ließ sie schließlich in Gesellschaft ihrer drei Corgis zurück und begab sich auf den Rückweg zur Gruppe.

Sie war nicht mehr in den Küchenräumen, sondern draußen im Hof. Lynley konnte sie von den Fenstern des privaten Flügels aus sehen, den seine Tante bewohnte. Er beobachtete sie einen Moment und vermerkte, dass kulturelle Stereotypen offenbar selbst in Momenten der Krise galten. Die Deutschen standen mit ernsten Mienen in kleinen Grüppchen beieinander, Vertraute unter sich:

Männer mit ihren Ehefrauen; Ehepaare mit ihren Kindern; Familien mit Verwandten. Studenten mit ihren Landsleuten. Über die Grenzen dieser bereits bestehenden Gruppen wagten sie sich nicht hinaus und verharrten zumeist starr und schweigend beieinander. Die Amerikaner andererseits suchten nicht nur untereinander Kontakt, sondern auch zu den englischen Familien, die den Rundgang mitgemacht hatten. Sie unterhielten sich miteinander, die einen ernst und bedrückt, die anderen recht lebhaft. Und eine Frau aus ihrem Kreis fotografierte sogar.

Polly Simpson war Lynley schon früher aufgefallen, in einer Art Gedächtnisreflex auf eine Liebesbeziehung, die ihn einmal mit einer jungen Fotografin verbunden hatte. Die Beziehung lag noch nicht so weit zurück, dass er nicht

-  wie damals - Polly Simpsons Ausrüstung zur Kenntnis genommen hätte. Es ist schon interessant, dachte er, während er sie beobachtete, welch unerwartete Dinge wir durch die Verbundenheit mit einem anderen Menschen erfahren und lernen können. Nicht nur über uns selbst und den anderen, sondern über Lebensbereiche, die uns sonst vielleicht für immer verschlossen geblieben wären. Den Blick auf die unten im Hof stehende Polly gerichtet, gelang es Lynley, sich seine frühere Freundin in gleicher Situation vorzustellen, mit vergleichbarem Enthusiasmus für Licht, Form und Komposition und ohne weiteres fähig, eben Geschehenes zu vergessen und sich völlig auf die Arbeit zu konzentrieren, die ihr im Moment am Herzen lag.

Das ist eben die unverwüstliche Kraft der Jugend, dachte er (etwas schwülstig, da er ja selbst noch keine vierzig war) und gönnte sich - ein Mann, der seit fünfzehn Jahren sein berufliches Leben der Verbrecherjagd gewidmet hatte

-  einen Moment wehmütiger Beobachtung Polly Simpsons bei der Arbeit mit ihrem Fotoapparat. Dann begab er sich auf den Weg in den Hof, um sich der Gruppe wieder anzuschließen.

Erst als er unten durch die Küche ging, erkannte er die Bedeutsamkeit dessen, was er gerade im Hof beobachtet hatte. Und auch nur deshalb, weil ihm plötzlich einfiel, wie seine frühere Freundin, für die er oft wie ein braver Packesel ihre gesamte Fotoausrüstung herumgeschleppt hatte, immer - mehr zu sich selbst als zu ihm - gesagt hatte: »Für die Aufnahme brauche ich das achtundzwanzig Millimeter«, und dann das Objektiv ausgewechselt hatte, während er geduldig dabei stand.

Ihm wurde auf einmal klar, dass er während des ganzen Rundgangs und vorher schon - als er und Helen mit der Besuchergruppe zusammen den Park von Abinger Manor durchstreift hatten - etwas beobachtet hatte, ohne die Beobachtung zu registrieren. Und das passiert ja so leicht, dachte er, wenn man sich keine Gedanken über die Logik dessen macht, was man vor Augen hat.

Er eilte rasch durch die Speisekammer und trat in den Hof hinaus. So sicher war er sich seiner Sache, dass er den Deutschen und den beiden englischen Familien die Abfahrt gestattete und schweigend wartete, bis sie den Hof verlassen hatten, ehe er zu Polly Simpson trat und ihr ohne lange Umstände den Riemen mit dem Fotoapparat von der Schulter zog.

»Hey!«, rief sie protestierend. »Das ist meiner. Was denken Sie sich -«

Sie brach ab, als er den ersten der Filmbehälter öffnete, die am Riemen des Apparats befestigt waren. Er war leer. Genau wie die anderen.

»Mir ist aufgefallen«, sagte er, »dass Sie seit unserer Ankunft unaufhörlich fotografiert haben. Was würden Sie sagen, wie viele Aufnahmen haben Sie gemacht?«

»Keine Ahnung«, antwortete sie. »Ich zähl nicht mit. Ich fotografiere einfach, bis mir der Film ausgeht.«

»Aber Sie haben keinen zusätzlichen Film mitgenom­men, nicht wahr?«

»Ich dachte nicht, dass ich einen brauchen würde.«

»Nein? Das ist merkwürdig. Sie haben angefangen zu fotografieren, sobald sie in den Park kamen. Und Sie haben seitdem keine Pause gemacht, außer vermutlich während der Ereignisse in der Galerie. Oder haben Sie die auch fotografiert?«

Emily Guy schnappte erschrocken nach Luft. Sam Cleary sagte aufgebracht: »Moment mal -«, aber da packte seine Frau ihn am Arm, und er hielt den Mund.

»Was soll das alles?«, fragte Victoria Wilder-Scott. »Wir wissen doch alle, dass Polly ständig fotografiert.«

»Ach ja? Mit diesem Objektiv?«, fragte Lynley.

»Es ist ein Makro-Zoom«, erklärte Polly und schrie, als Lynley energisch das Objektiv packte: »Hey! Lassen Sie das! Das Ding ist ein Vermögen wert.«

»Tatsächlich«, sagte Lynley und schraubte es ab. Dann kippte er mit einer kurzen Bewegung das Objektiv, und zwei silbern blitzende Gegenstände fielen in seine Hand.

Die Umstehenden rissen die Augen auf.