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»Alles Attrappe«, stellte Cleve Houghton trocken fest.

Und alle im Hof starrten Polly Simpson an.

Die Stimmung war sehr gedrückt, als die Seminargruppe an diesem Abend nach Cambridge zurückkehrte. Sie war natürlich um drei Mitglieder geschrumpft. Ralph Tuckers sterbliche Hülle lag derzeit auf dem Seziertisch. Seine Witwe hatte aus der Situation das Beste gemacht und die gastliche Einladung der sehr bemühten Gräfin von Fabringham angenommen, die, vertraut mit der fatalen amerikanischen Neigung, beim geringsten Anlass vor Gericht zu ziehen, bestrebt war, ein Rencontre mit der amerikanischen Gerichtsbarkeit unter allen Umständen zu vermeiden. Und Polly Simpson war von der zuständigen Polizei in Gewahrsam genommen worden und stand nun wegen Mordes und versuchten Diebstahls unter Anklage.

Selbstverständlich spukte Polly Simpson allen ihren ehemaligen Kommilitonen unablässig im Kopf herum. Und selbstverständlich bewegten jeden von ihnen andere Gefühle in Bezug auf sie.

Sam Cleary, zum Beispiel, fühlte sich wie ein ausgemachter Narr, weil er nicht fähig gewesen war, zu erkennen, dass Pollys Interesse an ihm sich in Wahrheit einzig auf seine botanischen Fachkenntnisse beschränkt hatte. Gewiss, sie hatte bei jedem Wort und Anekdötchen förmlich an seinen Lippen gehangen, aber hatte sie nicht sehr geschickt das Gespräch immer wieder auf seine Arbeit gelenkt, bis sie bekommen hatte, was sie wollte: den Namen und die Beschreibung eines Gifts, das sie sich ganz leicht auf einem Spaziergang durch die Grünanlagen der Colleges in Cambridge beschaffen konnte.

Frances Cleary andererseits fühlte sich beruhigt. Der Preis war hoch, und Ralph Tucker hatte ihn bezahlt, aber sie wusste jetzt, dass ihr Mann nicht das Ziel der tödlichen Leidenschaft einer jungen Frau gewesen war, wie sie geglaubt hatte, und fühlte sich daher ihrer Ehe sicherer. So sicher, dass sie keine Einwände erhob, als Sam sich auf der Rückfahrt im Kleinbus neben Emily Guy setzte.

Emily Guy und Victoria Wilder-Scott waren enttäuscht und niedergeschlagen von den Ereignissen des Tages, jedoch aus unterschiedlichen Gründen. Victoria hatte soeben die erste wahrhaft begeisterte, amerikanische Sommerkursteilnehmerin seit Jahren verloren, während Emily Guy entdeckt hatte, dass eine hübsche junge Frau, die man so sehr dafür bewundert hatte, dass sie keine Schwäche für Männer hatte, dafür eine Schwäche für anderes besaß.

Und die Männer - Howard Breen und Cleve Houghton? Sie empfanden Polly Simpsons Verhaftung als einen Verlust. Cleve betrauerte den Verlust aller Hoffnungen darauf, sie trotz des Altersunterschieds von siebenund­zwanzig Jahren, der zwischen ihnen bestand, irgendwie ins Bett zu kriegen. Howard Breen hingegen war froh, sie los zu sein - da nun der Weg zu Cleve Houghton frei war. Man konnte schließlich immer hoffen.

Und das war es letztendlich, was die Amerikaner in ihrem Seminar über die Geschichte der britischen Architektur in diesem Jahr in Cambridge lernten: Hoffen war erlaubt, auch wenn es manchmal, wie im Fall Polly Simpsons, vergeblich war.

VORBEMERKUNG zu Die Überraschung seines Lebens

Auf die Idee zu dieser Geschichte hat mich ein Doppelmord gebracht, der Anfang der Neunzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts meine Aufmerksamkeit erregte. Der Fall war damals in aller Munde, und obwohl der Angeklagte vom Gericht freigesprochen wurde, dachte ich viel über die Möglichkeit nach, dass er doch der Täter war, und überlegte mir, wie es zu der Tat gekommen sein könnte, wenn tatsächlich er sie begangen hatte. Ich kam zu folgendem Schluss:

Es gab bei diesem Verbrechen zwei Todesopfer - einen jungen Mann und eine nur wenig ältere Frau -, aber ich war überzeugt, dass die Frau - die Ehefrau des Täters - das Ziel des Anschlags gewesen war.

Der Ehemann war ein zwanghafter Mensch, der von seiner Frau getrennt lebte. Sein Leben war beherrscht von Gedanken an sie, insbesondere daran, wie sie ihn verlassen und damit gedemütigt hatte. Er war eine Lokalgröße. Sie war in seinen Augen ein Nichts. Trotzdem hatte sie es gewagt, ihm den Laufpass zu geben, und - das machte die Sache noch schlimmer - tat nicht einmal mehr so, als hielte sie eine Aussöhnung für möglich. Anfänglich hatte sie erklärt, sie wolle eine Weile Abstand, weil ihre Beziehung so explosiv sei. Damit war er einverstanden gewesen. Aber jetzt sprach sie von Scheidung, und er kam sich vor wie ein Idiot. Nicht nur, dass er wahrscheinlich seine Kinder verlieren würde - sie hatten zwei, einen Jungen und ein Mädchen -, sondern die Scheidung würde ihn auch eine Stange Geld kosten, und seine Frau verdiente nicht einen Penny von dem, was er besaß.

Solche Gedanken quälten ihn immer häufiger, bis ihm schließlich jede Stunde des Tages zur Tortur wurde. Nur wenn er schlief, war er frei von den Gedanken an seine Frau und ihre Pläne, ihm seine Kinder und sein Geld zu nehmen, um sich dann mit irgendeinem jungen Hengst zusammenzutun - und das alles aufseine Kosten. Aber selbst bei Nacht träumte der Mann von seiner treulosen Frau. Und die ständigen Gedanken bei Tag und die Träume bei Nacht peinigten ihn so mörderisch, dass er meinte, er würde umkommen, wenn er nicht irgendetwas gegen sie unternähme.

Er war überzeugt, er könnte sich diese Frau nur aus dem Kopf schlagen, indem er sie tötete. Verdient hatte sie sowieso nichts Besseres. Er hatte jahrelang beobachtet, wie sie die Männer anmachte. Wahrscheinlich hatte sie ihn bereits ein Dutzend Mal betrogen. Sie war eine lausige Ehefrau und eine lausige Mutter, und wenn er sie tötete, würde er damit nicht nur sich selbst, sondern auch seinen Kindern einen Gefallen tun.

Er begann also zu planen.

Er und seine Frau lebten zwar getrennt, aber sie wohnten nicht weit voneinander entfernt. Wenn er das Timing des Mordes auf die Sekunde genau plante, konnte er innerhalb von ungefähr fünfzehn Minuten alles erledigen - zu ihr hinüberlaufen, sie umlegen und wieder zurücklaufen in sein Haus. Vielleicht würde er es sogar in weniger Zeit schaffen. Aber ihm war klar, dass die Polizei über jede Sekunde der geschätzten Mordzeit von ihm Rechenschaft verlangen würde. Er beschloss daher, für sein Vorhaben einen Abend zu wählen, an dem er in einen anderen Teil des Landes fliegen musste. Und um es zeitlich noch knapper erscheinen zu lassen, wollte er einen Limousinendienst beauftragen, ihn abzuholen und zum Flughafen zu fahren. Wer, zum Teufel, sagte er sich, würde auf den Gedanken kommen, dass ein Killer knapp eine halbe Stunde vor Abholung durch einen Limousinen­dienst noch schnell seine Frau umlegen würde?

Schwierig war die Wahl der Waffe. Eine Schusswaffe konnte er aus offenkundigen Gründen nicht verwenden: In dieser dicht besiedelten Wohngegend würde der Lärm eines einzigen Schusses genügen, um die ganze Nachbar­schaft auf die Straße zu treiben. Im Inneren des Hauses konnte er sie auch nicht erschießen, weil um diese Zeit die Kinder oben in ihren Betten liegen würden. Er konnte nicht riskieren, dass sie aufwachten und, wenn sie herunterkamen, ihren Vater mit rauchendem Colt vor der Leiche ihrer Mutter stehen sahen. Eine Möglichkeit war natürlich eine Drahtschlinge um den Hals, aber da würde es ihr unter Umständen gelingen, sich seiner zu erwehren. Das kam also auch nicht in Frage. Er brauchte etwas, das schnell war wie eine Pistole und geräuschlos wie eine Würgeschlinge - ein Messer schien ihm die einzige Lösung zu sein.

Am fraglichen Abend kleidete er sich ganz in Schwarz.

Um der Polizei keine Spuren zu hinterlassen, zog er Handschuhe an und setzte eine Wollmütze auf. Er war ein massiger Mann - groß, wuchtig, muskulös und kräftig -, und sie war klein und zierlich. Wenn alles nach Plan verlief, würde er in weniger als einer Minute mit ihr fertig und sie endlich für immer los sein.

Er ging zu ihrem Haus, das von der Straße ein Stück zurückgesetzt hinter einer Mauer stand. Er klopfte an die Haustür. Sie hatte einen Hund, aber der Hund kannte ihn, dürfte also keine Schwierigkeiten machen.